Franz Braumann

Die Feuer der Wildnis


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damals und heute lagen viele Jahre voll Trauer und Bitterkeit, aber heute begann sich die letzte Bedrückung zu lösen. Und wenn er den Duft des knisternden Heues einsog, dann schien es ihm, als wäre er endlich wieder heimgekehrt.

      Mac Lean war aus anderem Holz geschnitzt. Ihm sagte bald die zahme Arbeit im Heu nicht mehr zu, und eines Morgens entschloß er sich, zum erstenmal auf die Jagd zu gehen.

      Bill und Peer schauten ihm sehnsüchtig nach, als er zwischen den Bäumen untertauchte. Den Rechen schieben, mit der Gabel Heu hochheben, ach, wie langweilig erschien ihnen solche Arbeit. Viel lieber hätten sie eine lange Flinte geschultert und wären den Wald hinan und durch Schluchten gepirscht, bis sie das Lager eines Grizzlybären gefunden hätten. Dann käme der Kampf und die Gelegenheit, sich zu bewähren.

      Leise zischte der Rechen, blinkte die Gabel, rauschte das Heu; und drinnen im Gehege die friedlich weidenden Rinder und Tragetiere. Waren sie um dieser zahmen Lebensweise willen so weit nach dem wilden Nordwesten gezogen? Ach, einmal würde auch dieses langweilige Leben wieder zu Ende gehen. Vielleicht, wenn der Winter kam?

      Der Entiako-See und sein Weideland befanden sich etwa fünfzig Kilometer vom Tweedsmuir-Provinz-Park entfernt, dem ungeheuren, viele Hunderte Quadratkilometer großen Naturpark des Nordwestens von Brifisch-Kolumbien. Von diesem durfte kein Land an die Ranchers verkauft werden, nur die Ulgatchos, die wenigen streifenden Sippen, hatten dort noch Gelegenheit, frei auf ihre Art ihr Leben zu gestalten.

      Die Ranchers lebten nun schon zwei Wochen lang auf der Weide am Entiako-See, aber noch kein Indianer war ihnen begegnet. Offiziell herrschte längst Frieden zwischen Weißen und Indianern, aber es hatte in Anahim geheißen, daß in den äußersten Gebieten doch manche Zusammenstöße mit den Ulgatchos vorgekommen seien. Es gab Streit, auch manche Diebstähle geschahen. Bis aber die Mounted Police herbeigerufen werden konnte, waren die Ulgatchos längst wieder in der Weite der Wälder untergetaucht.

      Seit einigen Jahren ging die Regierung daran, auch für die Indianer einen Ausweiszwang einzuführen. Bei den Vergehen gegen die Weißen handelte es sich immer nur um einzelne böse Elemente, im übrigen ließen sich den Sommer über immer mehr Ulgatchos als Viehhirten auf den Ranches anwerben. Erst im Winter zogen sie wieder zu ihren Familien in ihre versteckten, schmutzigen Dörfer zurück.

      Eine ganze Woche über hatte das schönste Heuwetter geherrscht. Heute brauten sich schon am frühen Nachmittag um die Algack-Berge dunkle schwarze Wolken zusammen. Die Moskitos stachen, und die gepeinigten Tiere suchten Schutz in den rauschenden Büschen am Waldrand.

      Alle fünf Sattlers schafften auf der Heuwiese. Peter Sattler und Bill schleppten hohe Heubündel zu den Schobern, wo um lange in den Boden getriebene Stangen das Heu festgetreten wurde. „Einen Wagen müßte man hereinschaffen“, brummte der Mann. Aber er dachte an die steilen Berghänge, an das dichte Gefilz des Urwalds, an die brückenlosen Flüsse, durch die sie geschwommen waren, und es schien ihm, daß niemals ein Wagen bis zum Entiako Lake gelangen könnte.

      Die Sonne hatte sich inzwischen verdüstert, und dumpfes Gewitterrollen war zu hören. Rossy stand mit heißem Gesicht hoch auf dem Schober und trat Heu zusammen, das Peer heraufwarf.

      Auf einmal stand sie erstarrt. Fern vor der Rindenhütte auf dem Hügel tauchten zwei Männer auf. Zwei Männer, Mac Lean und –?

      Jetzt kamen sie mit Rechen und Gabeln auf den Schultern auf die Heuwiese heraus. Der Vater sah sie noch gar nicht. Sollte Rossy rufen?

      Ach, es gab doch keine Gefahr, wenn Mac Lean dabei war!

      Der Mann, der mit Mac Lean herauskam, hatte einen seltsam wiegenden Gang. Er schwang bei jedem Schritt mit den Beinen nach rechts und links aus, als trüge er lange Steigeisen an den Füßen. Die losen Ärmel seiner Lederjacke schlenkerten, der ganze Körper schien aus lauter wackelnden Gelenken zu bestehen.

      Peer und Bill starrten den Ankommenden entgegen. „He, daß euch die Augen nicht aus dem Kopf rollen!“ rief Mac Lean von weitem. „Seht nur gut her, was ich für Jagdbeute heimbrachte!“

      Dann begann er ein Lied zu trällern: „Nach einem Hasen ging ich aus und brachte einen Cowboy nach Haus!“

      Inzwischen war auch Peter Sattler mit einem letzten Heubündel auf der Wiese herangekommen. Als er es ablegte, pflanzte sich der neue Besucher in seiner ganzen Länge vor ihm auf.

      „Pat Bownie, wandernder Cowboy, Trapper und Rancher“, schnarrte er mit einer hohen Stimme seine Vorstellung. Er verzog dabei sein eingefallenes Gesicht zu einer Fratze, aber es konnte ebenso zu einem Weinen umschlagen. Seine Stimme klang bald milde, bald schrill. Mac Lean schien eine seltsame Sorte Mensch aufgelesen zu haben.

      „Wir trafen kurz vor der Ranch zusammen“, begann Mac Lean zu erklären. „Ich sah plötzlich einen Mann zwischen den Stämmen sitzen, eine lange Flinte vor sich auf den Knien, und dachte bei mir, das sei nun ganz wie zu Zeiten des Lederstrumpf. Es sieht zwar nicht nach Überfall aus, aber jedenfalls sind wir entdeckt!“

      Pat Bownie lachte heiser. „Ach, Mac, ich habe dich schon stundenlang hinter mir gefühlt. Der Geruch hat mich zu euch hergezogen, weißt du, der Rauch eines Feuers, der Geruch eurer Pferde, der meldet euch doch stundenweit im Umkreis an. Und überhaupt hatte ich irgendwo am Batnuni drüben läuten gehört, daß verrückte Ranchers unterwegs wären, mitten hinein zwischen die Ulgatchos.“

      Peter Sattler versuchte, diesem sprunghaften Bericht zu folgen. Er hatte schon drunten im Anahim-Land von dem Urwald-Telegraf reden hören, der jede Neuigkeit auf seltsamste Weise bis zu den entlegensten Ranches hin in Windeseile verbreitete. Der Batnuni River lag fast zweihundert Kilometer im Norden von Anahim, und doch hatte man auch dort bereits von ihrem Unternehmen erfahren!

      „Auf jeden Fall seid herzlich bei uns willkommen, Pat Bownie. Im Rindenhaus haben wir wenig Platz, doch eine schmale lange Bohnenstange wie Ihr wird auch noch unterzubringen sein!“

      „Rindenhütte? Ich schlafe ebensogut zwischen den Bäumen. Jetzt ist doch Sommer.“ Dann aber blickte er zum Himmel empor, wo sich das Gewitter immer düsterer zusammenzog. „Heute allerdings, heute könnte auch mir ein Dach nicht schaden, wenn es überhaupt den Regen abhalten kann!“

      Es erwies sich auch bald, daß das Rindendach dem ungeheuren Regensturz, der plötzlich niederprasselte, nicht gewachsen war. Die Ranchers saßen zusammengedrängt in einem Winkel der Hütte, über deren Dach dichte Tannenäste hinausragten und den schwersten Regen abhielten.

      Aber als das schwere Gewitter sich verzog, wurde es an diesem Abend noch urgemütlich. Bill und Peer rissen Augen und Ohren auf, als sie von den Abenteuern Pat Bownies hörten. Ein ruheloser Streuner und Wanderer, dem die Wildnis längst zum Schicksal geworden war!

      „Ihr kennt ja erst den Sommer im Indianerland“, erzählte Pat Bownie. „Aber seht euch vor, wenn der Winter kommt. Der erste Blizzard fegt eure Rindenhütte fort, und dann sitzt ihr auf dem bloßen Boden bei fünfzig Grad Kälte!“

      „Stopp, alter Pat, wir haben nicht die Absicht, in dieser Rindenhütte zu überwintern“, mischte sich nun Mac Lean in das Gespräch. „Erst kommt das Vieh und dann die Menschen! Wenn wir genug Heu geborgen haben, dann werden wir auch an den Hausbau gehen. Und wenn Ihr im nächsten Jahr wiederkommt, dann sollt Ihr sehen, in welchem Palast wir hausen.“

      Pat Bownie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Tief in die Erde bauen. Am besten in den Boden hinein. Das hält warm für den Winter. Und dicke Rasenziegel auf das Dach. In den neumodischen Häusern von Batnuni und Nazko erfrieren die Menschen fast im Winter, aber die ältesten Ranchhütten, die halten warm.“

      Mac Lean wechselte einen raschen Blick mit Peter Sattler. „Wie wäre es, wenn du den Baumeister abgäbest, Pat Bownie?“ fragte er blinzelnd.

      Aber der Gast wehrte ab. „Gern, gern, sehr gern, ein andermal. Diesmal habe ich noch eine lange Rundreise vor mir. Bei Rob Seter, südlich der Algacks, soll ich noch einen Plausch tun, und in den Itcha-Bergen drüben sitzt mein alter Freund Mac Donald. In Redstone unten ah der Anahimstraße wird für den Winter ein Viehfütterer gebraucht. Will diesen Job annehmen, bis wieder der Schnee von den Itchas schmilzt.“