Alexia Meyer-Kahlen

Wild soul


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hin zu einer kleinen Levade erheben.

      „Spätestens wenn die Musik in den langsameren Teil wechselt, musst du auf die Tonne“, erinnerte Kati sie.

      Sam nickte. Sie würde auf die Tonne hinaufspringen, und Alli sollte frei im Trab um sie zirkeln, während Sam auf der Tonne stehend ihrerseits ein paar Kunststücke vorführte. Dann ging es noch mal auf den Boden, wo Alli neben ihr her galoppieren und sich dann direkt aus dem Galopp hinlegen würde. Über der liegenden Alli wollte Sam zum Abschluss ihren berühmten Handstandüberschlag zeigen.

      Sam und Kati gaben sich ein High Five: „Das wird!“

      „Klar wird das was“, grinste Bea Gerst in den Rückspiegel. „Daran hatte ich nie den geringsten Zweifel!“

      Nach ihrer Ankunft bezog Alli ihre Paddockbox in dem Reitzentrum, wo sie bis morgen untergebracht sein würde, während Sam, Kati und Bea im Strom der Besucher über das Gelände der Cavallo Academy bummelten. Entlang der Alleen des Schlossparks boten Dutzende Aussteller die neuesten Pferdeartikel an, ein großes Zelt war zum „Hörsaal“ umfunktioniert worden und dort fanden zahlreiche Vorträge statt. Auf dem Reitplatz, der zum Cavallo-Ring umbenannt worden war, gaben bekannte Pferdetrainer jeder Ausrichtung im Halbstundentakt Shows und Demos, Workshops und Live-Trainings.

      „Das ist ja der Wahnsinn, was hier los ist“, meinte Bea Gerst zu den Mädchen, die ihr gar nicht richtig zuhörten. An jeder Ecke war ein anderes bekanntes Gesicht der Pferdeszene zu entdecken.

      Sam bekam ganz rote Ohren bei dem Gedanken, dass sie in ein paar Stunden selbst vor all diesen Leuten auftreten würde.

      „Das sind hier bestimmt 2 000 Zuschauer!“, flüsterte Kati ihr aufgeregt zu.

      Sam nickte. Ihr Mund war zu trocken, um irgendetwas zu antworten.

      „Schatz, du solltest unbedingt noch etwas essen“, meinte nun Bea Gerst und steuerte einen Essensstand an.

      Das war zu viel.

      „Muss zu Alli“, murmelte Sam, drehte sich auf dem Absatz um und rannte davon.

      Erst als sie in Allis Box hockte und der Stute zusah, wie sie bedächtig kleine Büschel von Halmen aus ihrem Heunetz zupfte, kam Sam wieder runter.

      Alli schien die Ruhe selbst zu sein. Als habe sie die lange Fahrt und die fremde Umgebung total lässig weggesteckt.

      „Hey. Machen wir das gleich zusammen?“, flüsterte Sam ihr zu und zupfte einen Heustängel aus ihrer Mähne.

      Alli schnaubte zufrieden und auch Sam entfuhr ein tiefer Seufzer.

      Wo war eigentlich das Problem? Egal, wer da nachher am Ring stehen und ihr zusehen würde – das, was sie und Alli verband, konnte ihnen keiner nehmen. Sie würden einfach zusammen sein, aufeinander hören und tun, was sie sonst auch taten.

      Sie strich Alli über die Stirn. „Du hast recht, mein Schatz. Danke.“

      Während Sam und Alli vor dem Cavallo-Ring im Park von Schloss Wickrath auf ihren Auftritt warteten, hatte Sam für einen Moment die Augen geschlossen und ließ im Schnelldurchgang noch mal die Choreo ihrer Show durchlaufen. Irgendwann spürte sie, wie Kati sanft ihren Arm berührte.

      „Ihr seid gleich dran. Break a leg. Alles wird gut.“

      Sam atmete tief durch und konzentrierte sich einen Moment auf Alli. Sie spürte, dass ihre kleine Stute ganz bei ihr war. Dann öffnete sie die Augen und sprang auf Allis Rücken.

      Die Stimme der Ansagerin ertönte aus dem Lautsprecher: „Unsere nächste Finalistin ist die fünfzehnjährige Samantha Gerst und ihre siebenjährige Andalusierstute Alegría. Kurz etwas zu ihrer Geschichte: Als Sam Alegría vor drei Jahren bekommen hat, war die Stute schon täglich im Schulunterricht eines Reitstalls mitgelaufen. Sam hat uns erzählt, dass Alegría damals auf nichts mehr Lust hatte. Jetzt zeigen uns die beiden, wie weit sie miteinander gekommen sind. Einen dicken Applaus für Sam und Alegría. Wir wünschen euch viel Erfolg und dem Publikum viel Spaß an euer Darbietung.“

      Es ging los. Sam spürte eine prickelnde Aufregung, die auch ihre kluge und mutige Spanierin erfasste.

      Wir machen das jetzt zusammen, schien sie Sam zu kommunizieren. Und wir machen es gut.

      Ihre Musik setzte ein. Sam ritt nur mit Halsring auf Allis blankem Rücken im Trab ein und ließ die Stute zunächst zu beiden Seiten ein paar Volten gehen. Das bunte Publikum, das auf allen vier Seiten den Platz umringte, schien Alli nicht im Geringsten zu stören. Ganz im Gegenteil. Sie schien sogar Spaß daran zu haben, sich vor allen zu präsentieren.

      Dann galoppierte Sam an und sprang mit Alli durch den gelben Reifen. Wenn sie irgendeinen Zweifel gehabt haben sollte, ob die Andalusierstute heute zeigen würde, was sie konnte, war dieser verflogen. Als seien sie mit einer Art unsichtbarem Band verbunden, flogen sie von Höhepunkt zu Höhepunkt ihrer Show. Nach dem Ring kam die Tonne, das Auf- und Abspringen im Galopp, die Levade, es war wie ein Rausch, ein Traum. Unbeirrbar blieb Alli mit ihrem Fokus ganz bei Sam und ließ sich von ihr durch die verschiedenen Showelemente führen. Und obwohl Sam ganz konzentriert bei ihrem Pferd und ihrer Darbietung war, konnte sie gleichzeitig spüren, dass das Publikum von der kleinen Andalusierstute, die Sam so bereitwillig folgte, total berührt war.

      Kaum stand Sam nach ihrem abschließenden Handstandüberschlag wieder auf dem Boden, brach ein tosender Beifall aus. Das Publikum hörte gar nicht mehr auf zu applaudieren.

      Sie nahm Kati und ihre Mutter wahr, die am Ausgang des Platzes standen und übers ganze Gesicht strahlten. Sam lief auf sie zu, während Alli munter neben ihr hergaloppierte. Ja, es war für sie beide gut gelaufen, sogar sehr gut, das hatte sie mit jeder Faser gespürt.

      Sam war die letzte der fünf Finalistinnen gewesen, die ihre Show präsentiert hatte, und so erklang schon eine halbe Stunde später die Stimme der Ansagerin: „Ich glaube, die Jury hat fertig beraten.“

      Sam hatte neben Kati und ihrer Mutter am Rande des Platzes gewartet und meinte, vor Spannung zu platzen. Würde es für sie und Alli einen Platz auf dem Treppchen geben?

      Sie erhaschte einen Blick ihrer Mutter und atmete tief aus. „Ich weiß, Mama“, stieß sie hervor. „Wir haben eine super Show gemacht und es kommt nicht aufs Gewinnen an. Aber trotzdem …“

      Die Ansagerin meldete sich wieder: „Wir rufen jetzt die Kandidatinnen noch mal alle zurück in die Bahn, damit wir die Platzierung vornehmen können.“

      Kati trat einen Schritt zur Seite, sodass Sam mit Alli, die immer noch nur einen Halsring trug, den Reitplatz betreten konnte, wo die anderen vier Paare sich schon aufgestellt hatten.

      Die Chefredakteurin der Cavallo trat mit ihrem Mikrofon auf den Platz.

      „Wir kommen nun zur Siegerehrung des Cavallo Cups hier auf der Cavallo Academy. Noch mal zur Erinnerung: Siebenundvierzig hatten sich mit einem Video beworben, fünfzehn hatten es ins Voting geschafft, fünf ins Finale, und die haben Sie jetzt hier alle gesehen. Jede einzelne Leistung war großartig. Ich bin schwer beeindruckt von euren Auftritten, die Jury stimmt mir zu, und ich denke, Ihnen im Publikum wird das ähnlich gehen. Insofern stehen hier aus meiner Sicht schon mal fünf Sieger.“

      Es gab einen Applaus vom Publikum.

      Sam stand mit Alegría zwischen einem Mädchen mit einem Minishetty und einem anderen, das ebenfalls eine Andalusierstute neben sich hatte, die allerdings deutlich größer als Alli war.

      Die Frau verkündete nun, dass es zwei vierte Plätze gab, rief genau diese beiden nach vorne, gratulierte ihnen und überreichte jeder einen Geschenkkorb.

      Dann fuhr sie fort: „Das dritt-tollste Kumpelpferd in Deutschland ist …“

      Hier machte sie eine Pause, und Sam bemerkte, dass sie aufgehört hatte zu atmen. Alli schien dagegen tiefenentspannt, und als ein Mädchen mit einem großen Warmblut nach vorne gerufen wurde, nahm auch Sam wieder einen tiefen Atemzug. Alles, was jetzt kam, war ehrenvoll.

      Marschmusik setzte ein