Alexia Meyer-Kahlen

Wild soul


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stellte sich auf. Während die Frau weitersprach, begann Alli, seelenruhig den Inhalt des Geschenkkorbs zu untersuchen.

      „Das sah alles sehr leicht aus, sehr harmonisch. Du hattest viele tolle Elemente drin, es war sehr sportlich und zugleich einfallsreich, zum Beispiel mit dem Auf- und Abspringen. Das hat alles ganz super geklappt und ihr habt uns eine wunder-, wunderschöne Show geliefert.“

      Sam strahlte über so viel Lob, während Alli inzwischen ein Bündel Möhren aus dem Geschenkkorb gezogen hatte, das sie am Grün wild kopfnickend hin und her schleuderte.

      „Und dein Pferd scheint ein echtes Showtalent zu sein“, setzte die Cavallo-Chefredakteurin lachend hinzu, während das Publikum spontan applaudierte.

      Dann erfolgte die Vergabe des ersten Platzes an ein älteres Mädchen auf einem großen Schecken, das sein Pferd zunächst mit Sattel und Kandare dressurmäßig geritten und dann erst Letztere gegen einen Halsring eingetauscht hatte.

      Als sie zusammen mit den anderen vier Finalistinnen die Ehrenrunde drehte, fühlte Sam sich mit ihrem zweiten Platz total zufrieden und glücklich. In ihrer Art der Freiheitsdressur war sie unschlagbar gewesen, das stand fest. Vor lauter Übermut sprang sie im Galopp noch ein paarmal vom Pferd ab und wieder auf.

      Kati fiel Sam als Erste jubelnd um den Hals. „Ich hab dir doch gesagt, dass ihr aufs Treppchen kommt. Suuuuper. Herzlichen Glückwunsch.“

      Sam drückte ihre Freundin ganz fest und flüsterte: „Danke, Kati. Ohne dich wäre das alles nicht passiert.“

      Dann wurde sie von ihrer Mutter umarmt.

      „Ich bin stolz auf dich“, flüsterte sie Sam ins Ohr. „Diesen Erfolg habt du und Alli euch echt verdient. War ein langer Weg …“

      „Danke, Mama, für dein Vertrauen in uns und deine ganze Unterstützung“, gab Sam bewegt zurück.

      Bea Gerst wandte sich an die beiden Mädchen. „Wie wär’s, wenn ich mal eben in unserem Hotel für die Nacht einchecke und ihr hier alles klarmacht? Wir treffen uns dann später bei Alli an der Box, gehen irgendwo lecker essen und feiern ein bisschen, was meint ihr?“

      Kati und Sam nickten begeistert. Lecker essen klang jetzt wunderbar, nachdem die ganze Aufregung von ihnen abgefallen war.

      Kaum war Sams Mutter im Trubel der aufbrechenden Menschenmassen verschwunden, drängelte sich ein Typ Mitte dreißig, mit Spitzbärtchen und einer Bandana als Kopfbedeckung zu ihnen durch.

      „Sam? Hi. Mein Name ist Joe Gärtner, ich schreibe für die Alternative Horsemanship. Weiß nicht, ob du die Zeitschrift kennst. Erst mal Glückwunsch zu deiner tollen Show, hat mich schwer beeindruckt, wie deine Stute dir gefolgt ist. Ich würde gerne in unserer nächsten Ausgabe etwas über dich machen. Da geht es schwerpunktmäßig um Problempferde und was Leute für Wege gefunden haben, ihnen zu helfen. Ich hab gehört, deine Stute hatte keinen so guten Start. Jetzt steht sie ja top da. Darf ich dir dazu ein paar Fragen stellen?“

      Sam wurde knallrot. „Klar. Gleich hier sofort?“, sprudelte es aus ihr heraus.

      „Ähm, wollten wir nicht mit Bea essen gehen und deinen Erfolg feiern?“, warf Kati vorsichtig ein.

      „Dauert nicht lang“, gab Sam schnell zurück und warf ihrer Freundin noch einen beschwörenden Seitenblick zu, der so viel sagte wie: „Komm mir jetzt bloß nicht mit so was Unwichtigem wie Essen.“

      „Okay, okay …“, meinte Kati betont beiläufig. „Ich bring dann schon mal Alli in ihre Box und packe unsere Sachen zusammen, du kannst ja nachkommen.“ Damit schlenderte sie davon.

      Sam setzte sich mit Joe etwas abseits auf ein Rasenstück vor dem historischen Barockschloss.

      „Cool, dass es gleich geklappt hat”, grinste Joe. „Was getan ist, ist getan, sage ich immer. Also, erzähl mir doch einfach mal, wie es angefangen hat mit Alegría und dir.“

      Er schaltete sein Aufnahmegerät ein.

      „Für Alli ist am Anfang so ziemlich alles schiefgelaufen“, setzte Sam an. „Sie wurde viel zu jung eingeritten, mit zweieinhalb, und mit drei hat man mit ihr schon Sliding Stops auf dem eisigen Reitplatz gemacht. Das war umso schlimmer, da andalusische Pferde bis fünf wachsen, sie war also mit drei sehr zerbrechlich und sah aus wie ein halbes Fohlen.“

      „Das ist ja gruselig“, schauderte Joe. „Kannst du den Lesern kurz erklären, was ein Sliding Stop ist?“

      „Das ist ein Manöver aus dem Westernreiten, wo das Pferd aus dem vollen Galopp anhält, indem es sich auf die Hinterbeine setzt und auf den Hinterhufen weiterrutscht, während es mit den Vorderbeinen bis zum Stillstand weiterläuft. Der Hammer, das mit so einem jungen Pferd zu machen. Ja, und kurz darauf musste Alli dann jeden Tag mit Ausbindern in der Anfängerreitstunde gehen. Sie war selbst noch ein Baby, im Kopf und körperlich, deshalb war sie ‚todbrav‘ und wurde bei den Kindern eingesetzt und vormittags in der Hausfrauenstunde. Das alles war natürlich megaschlecht für ihren Geist und ihren Körper.“

      Joe nickte betroffen. „Das ist echt hart. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch auf den Beinen steht.“

      „Meine Freundin Kati und ich ritten sie in den Reitstunden und verliebten uns in sie“, fuhr Sam fort. „Meine Mutter hat sie auch sehr gemocht, also kaufte sie Alegría. Ein Traum wurde wahr! Wir haben so viele Pläne gemacht … Zu dieser Zeit waren wir gerade mal 12 und ritten einfach herum, meistens ohne Sattel und vor allem draußen, alles, was Spaß bringt, zum Beispiel Wettrennen. Wilde Sachen eben, die nicht jeder macht. Wir ritten auch mit ihr ‚Dressur‘, aber wir wussten nicht viel über Muskeln und wie man ein Pferd richtig trainiert. Wir haben viele Fehler gemacht, und uns war nicht bewusst, wie schlecht sie damals aussah. Das eigentliche Problem waren die Reitstunden, in denen sie lief. Einfach viel zu viele Reitstunden in viel zu jungem Alter. Selbst als wir sie bereits gekauft hatten, sollte sie weiter im Reitunterricht gehen. Wir hatten null Ahnung und haben gesagt: Okay, sie darf weiter in den Stunden laufen, das junge Pferd muss ja bewegt werden.“

      „Und sie hat keinen Schaden aus alldem davongetragen?“, zweifelte Joe.

      Sam schüttelte hilflos den Kopf. „Später haben wir dann den Stall gewechselt und im neuen Stall fingen die Probleme mit ihr an. Sie hatte durch all das komplett den Spaß daran verloren, geritten zu werden. Ist ja kein Wunder. Sie wollte noch nicht mal mehr Schritt gehen, wenn jemand auf ihrem Rücken saß. Sie schien echt gebrochen. Wir sahen Alegría an und dachten, sie könnte niemals ‚tanzen‘. Wie sehr wir uns geirrt haben, hast du ja grade gesehen! Aber das war damals nicht zu ahnen.“

      Sie unterbrach ihre Erzählung und blickte Joe an. Tränen standen ihr in den Augen. „Sorry, aber wann immer ich Allis Geschichte erzähle, muss ich weinen. Das alles ist natürlich nicht spurlos an ihr vorübergegangen und im Training spüre ich bis heute die Auswirkungen ihrer ersten Jahre. Es macht mich wütend, wie sie junge Pferde brechen, bis sie tote Augen haben und wie Maschinen funktionieren. Deswegen ist es mein erklärtes Ziel im Leben, Pferde zu Menschenfreunden zu machen. Ihnen einen guten Start zu geben. Wir haben am Anfang auch Fehler gemacht, die ich nie mehr wiederholen würde. Und ich will andere davor bewahren, dasselbe zu tun.“

      Joe nickte anerkennend. „Du hast mit deinen 15 Jahren echt schon ’ne Menge kapiert, was viele sogenannte ‚Pferdeprofis‘ nie lernen werden. Erzähl doch jetzt mal, was genau die Probleme waren, die Alegría hatte, und wie du damit umgegangen bist.“

      Sam atmete tief durch. „Meine Freundin Kati und ich haben von Anfang an mit Alli so ’ne Art Freiarbeit gemacht, aber ziemlich planlos. Ich habe mich halt ohne alles draufgesetzt und Alli ist auf dem Platz ein bisschen rumgaloppiert, aber das war natürlich total unkontrolliert. Dann habe ich verschiedene Sachen ausprobiert. Zuerst habe ich es mit Leckerlies versucht, aber ich wollte nicht, dass sie mir nur wegen des Futters folgt. Also habe ich das wieder gelassen. Dann habe ich so klassisches Horsemanship versucht, aber da war viel zu viel Druck drin, und sie ist ständig vor mir weggerannt, anstatt zu mir zu kommen, hat gebuckelt und mir die Hinterbeine entgegengeschleudert. Hat also auch nicht funktioniert. Dann kam die Zeit, wo sie total fertig