setze ich den Heimweg fort, kralle mich an dieses wunderbare Gefühl, eine ganz gewöhnliche, geschäftige Frau zu sein, den Kopf voll mit Weihnachtsvorbereitungen. Eine, die Plätzchen backt und Leberpastete selbst macht, die lange Listen mit Weihnachtsgeschenken für die große Familie schreibt. Ja, genau so eine, die sich auf das Sofa vor dem Kamin fallen lässt, während sie zu ihrem Mann sagt, Puh, war das voll im Kaufhaus!
Das Prickeln hält an bis zum C. F. Richsvej, wo es bereits nach wenigen Metern zerbirst und stattdessen zu Unruhe und Herzklopfen wird. Es ist erst Nachmittag; die Wahrscheinlichkeit, dass er jetzt zu Hause ist, ist gering. Trotzdem, bei ihm kann man nie wissen. Meine Beine können sich mit dem Gehirn nicht einigen, ob sie langsamer oder schneller werden sollen, sodass mein sonst so dynamischer, vorwärts gerichteter Gang zögernd und unschlüssig wird wie der eines Tagelöhners. Erst als ich feststelle, dass das Auto nicht in der Einfahrt steht, atme ich durch und eile den Plattenweg und die Haustürstufen hoch und hole den Schlüssel aus meiner Tasche. Meine Hände zittern leicht, aber ich finde das Schlüsselloch und spüre die übliche Erleichterung, dass der Schlüssel passt. Das ist ein Zwangsgedanke von mir, dass ich eines Tages nach Hause komme und feststelle, dass er das Schloss ausgewechselt hat. Um mich auszusperren.
Kaum habe ich die Tür aufgeschoben, als ich auch schon das Telefon klingeln höre. Wieder rutscht mir das Herz in die Hose, und ich springe durch den Korridor in die Küche, wo ich mit einer hektischen Bewegung nach dem Wandtelefon greife, sodass mir der Hörer hinfällt und ich ein allzu kurzatmiges Hallo! herausbringe, während ich nach einer Erklärung suche, wie ich meine Abwesenheit rechtfertigen soll. Falls er mehrmals angerufen hat.
Aber es ist nicht Gert; es ist Ole-Stig, sein kleiner Bruder, der aus den USA anruft, um sich selbst für die Weihnachtsferien einzuladen.
»Falls es euch passt?«, fragt er mit dem deutlichen amerikanischen Akzent, den er sich nach zwanzig Jahren in San Francisco zugelegt hat. Ja, sicher, das passt ausgezeichnet! Nein, wir haben keine anderen Pläne, und ich weiß, dass Gert sich so freuen wird. Fast so sehr wie ich, die ich wieder Orgelbrausen und Schellengeläute höre, weil Ole-Stig vielleicht der Mensch auf der Welt ist, den ich am meisten mag. Der einzige Mann, bei dem ich mich sicher fühle. Wie ich ihm mehrmals in halb berauschtem Zustand versichert habe, würde ich glatt mit ihm durchbrennen, wäre er nicht schwul.
»Kommt Bob auch mit?«, frage ich hoffnungsvoll, denn wenn Ole-Stig nett ist, dann ist Bob lustig, scharfzüngig und witzig auf eine Woody-Allen-artige Weise, die selbst Gert zum Lachen bringt.
»Nein, der muss sich ums Geschäft kümmern«, klingt es knisternd über Satellit. »Du weißt doch, dass viele die Feiertage nutzen, um etwas für ihn zu tun!«
Er kichert mit einem typisch schwulen Kichern, und ich kichere mit, denn er spricht von Penisverlängerungen, dem Spezialgebiet der Klinik für plastische Chirurgie. Ole-Stig und Bob sind als Pioniere auf diesem Gebiet steinreich geworden, und Ole-Stig soll auch zu Hause »ein paar dänischen Kollegen auf die Sprünge helfen und ein paar Workshops abhalten«.
»Dann kann ich genauso gut business mit pleasure verbinden, nicht? Ein bisschen Weihnachten feiern, nicht? Weg von nine-eleven, you know ...«
Wir quatschen weiter über Terrorangst und amerikanischen Patriotismus, und ich verspreche, Ente mit Rotkohl und braunen Kartoffeln und der ganzen Schweinerei zu servieren, und Mandelreis natürlich. Mit einer Mandel drin. Ja, mit einer Mandel drin! Und mit einem Marzipanschwein, das der bekommt, der die Mandel hat und so weiter und so weiter, und es ist auf eine dahinplätschernde, oberflächliche Weise herrlich, bis er fragt, wie es Gert geht.
Meine Stimme ist angespannt, als ich ihm versichere, dass es Gert gut geht, dass er gut mit der Niederlage zurechtkommt und sich mit seiner neuen Rolle als politischer Sprecher arrangiert hat.
»Really? Er ist doch immer so ein lousy loser gewesen!«, sagt er mit brüderlichem Nachdruck. »Und wie geht es dir?«
»Mir?«, frage ich leichthin und versuche zu vergessen, dass Ole-Stig, der Outsider, alles sieht. Auch via Telefonkabel und Satellitenverbindung. Wenn er will. »Mir geht es auch gut. Ich bin zu Hause und mache es mir gemütlich, weißt du.«
»Ist er nett zu dir?«, fragt er.
»Ja, ja. Er ist nett zu mir«, lüge ich und beiße mir in die Lippe.
»Sonst bekommt er es mit mir zu tun! Mit dem Skalpell!«
»Ole-Stig, ich bitte dich!«, sage ich und sehe die Katastrophe so bildlich vor mir – das Skalpell, den chirurgischen Schnitt, den abgetrennten Penis in einer Stahlschüssel, fast kein Blut –, dass ich über mich selbst erschrocken bin. Deshalb beende ich das Gespräch, notiere mir die Ankunftszeit und verspreche, ihn am Flughafen abzuholen. Am 23. Dezember am frühen Morgen.
Man kann nicht gerade sagen, dass Gert Jacobsen ein häufiger Gast im Dachverband der Gewerkschaft ist. Ganz im Gegenteil ist es traditionell Per Vittrups Aufgabe, den Kontakt zu der Gewerkschaft zu pflegen, die nie ihre alte Skepsis gegenüber dem Chefideologen überwunden hat. Man stand trotz eines wachsenden Respekts für den Intellekt unbedingt aufseiten des Schmiedesohns, sodass es allein aus diesem Grund zwecklos gewesen wäre, zu viele Kräfte darauf zu verschwenden, sich bei den Gewerkschaftsbossen einzuschmeicheln. Ehrlich gesagt, war es auch nicht sein Ding, Fassbier in sich hineinzuschütten und Volkstümlichkeit zu demonstrieren, sodass er das nur zu gern Per überlassen hat, der von allem Volkstümlichen und Gemütlichen nicht genug bekommen kann. Doch auch die Gewerkschaftsspitze, die vor Kurzem ein paar Kratzer abbekommen hat, als einer der Gewerkschaftsbosse als Folge eines peinlichen Bereicherungsskandals Selbstmord begangen hat, hat Sinn für Realpolitik und die Notwendigkeit, Resultate vorzuweisen. Und was hilft es, die Lieder des sozialdemokratischen Dichters Oskar Hansen singen, aber keine Wahl gewinnen zu können? Und auch wenn es niemand ausspricht, meldet sich genau dieser Gedanke, als Gert Jacobsen das Gewerkschaftshaus auf Islands Brygge betritt, bewaffnet mit einem riesigen Strauß roter Rosen, den er als Dank für die Einladung zum Weihnachtsglühwein Lonnie, der Zweiten Gewerkschaftsvorsitzenden, überreicht. Sie ist so überrascht, dass sie den Wangenkuss nicht zurückweist, mit dem er das Überreichen der Blumen garniert. Man hat es hier weder mit Küssen noch mit Rosen, und obwohl sie nichts dafür kann, hat sie das Gefühl, den Mann zu verraten, der zur gleichen Zeit mit einer Nikolausmütze auf dem Kopf auf dem Podium steht und lauthals Rudolph the red nose reindeer grölt. Per Vittrup ist so mit seinem Auftritt beschäftigt, dass er die Unruhe im Eingangsbereich nicht bemerkt, wo der Neueingetroffene mit beträchtlich mehr Herzlichkeit als sonst willkommen geheißen wird. Irgendjemand versorgt ihn sogar mit einem Glas Glühwein, um ihm die Mühe zu ersparen, es selbst oben an der Kantinentheke holen zu müssen.
Gert Jacobsen wehrt lächelnd ab.
»Lässt sich der gegen ein Bierchen eintauschen?«, fragt er, und der in der Hierarchie hoch angesiedelte Gewerkschaftsangestellte nickt beifällig, er ist auch nicht für das süße Zeug, und als die Geschichte später die Runde macht, sind alle sich einig, dass das mit Sicherheit das erste Mal war, dass jemand Gert Jacobsen das Wort Bierchen hat in den Mund nehmen hören.
»Was zum Teufel will er?«, fragt Lonnie mit hochgezogenen Augenbrauen, als die Geschichte bei ihr ankommt. Doch ihr Vorbehalt hat kein Gewicht, denn alle im Haus wissen, dass er sie zum Erröten gebracht hat, als sie die fünfzehn roten Rosen und den Kuss auf die Wange entgegengenommen hat, der ihr allem Anschein nach gut bekommen ist. Und wie kann sie auch auf alten Positionen beharren, wenn sie sich noch lange danach an den Duft seines Aftershaves, Armani, und den leichten Druck auf ihrem Oberarm erinnert, von dem gewisse Frauen weiche Knie bekommen. Außerdem muss sie schließlich den anderen recht geben, dass es nichts bringt, an den Sympathien und Antipathien der Vergangenheit festzuhalten. Es ist immerhin ihre Aufgabe, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Allein deshalb müssen sie auf das richtige Pferd setzen. Das mit den überzeugendsten Gewinnchancen.
Was ich hier mache, ist weiß Gott obskur, und ich mache es auch nur, weil ich es meinem kleinen Bruder Niller versprochen habe. Er hat das Ritual erfunden; ich weiß nicht, ob er es von seinen suspekten Rockerkumpeln hat, es sollte mich aber nicht wundern. Jedenfalls hocke ich jetzt im streifigen