dass ihr Talent sie zu mehr als zu Hinterbänklern und einfachen Ausschussmitgliedern berechtige. Er war gnädig genug, ihnen nicht auch noch zu sagen, dass sein größtes Problem bei dem Ränkespiel der Mangel an Talent in der Fraktion war. Es gibt einfach zu wenig Karten.
Doch alles in allem verlief die Fraktionssitzung besser als erwartet. Auch die Presse schien die Konstituierung anzuerkennen, obwohl sie natürlich Schouws Meckereien überspitzt darstellte. Da dieses ehrbare Mitglied mit seiner Kritik jedoch allein stand und sie auch Charlotte nicht dazu bewegen konnten, Enttäuschung über ihre Platzierung zu äußern, geht er davon aus, dass die See nach einigen zu erwartenden Wellenschlägen in den kommenden Tagen wieder spiegelblank daliegen wird. Dann können sie mit der Arbeit beginnen. Dann wird er die nötige Ruhe haben, seine Pläne weiterzuentwickeln. Denn natürlich hat er noch ein paar Asse im Ärmel. Das hier war erst die erste Runde.
Per Vittrup lässt den Rotwein im Glas kreisen, wandert zerstreut durch seine Wohnung und kann sich nicht aufraffen, ins Bett zu gehen. Das sollte er eigentlich. Es ist weit nach Mitternacht, wie er auf dem digitalen Display des Fernsehers sieht. Er stellt das Glas weg und greift nach der Fernbedienung. Macht sich vor, dass er nur kurz CNN checken will. Er sieht sich auch einige Minuten pflichtschuldigst den World Report über Taiwan an, bevor er sich mit leicht gespreizten Beinen in dem Børge-Mogensen-Ohrensessel zurechtsetzt und zu Kanal København zappt. Da bleibt er hängen. Es ist eine schlechte Angewohnheit, die er sich zugelegt hat, nachdem Gitte ihn verlassen hat. Früher hat er nie Pornos gesehen, nicht einmal onaniert. Hatte kein Bedürfnis danach. Auch nicht, wenn er unterwegs war. Jetzt braucht er die adult movies, um zur Ruhe zu kommen. Als eine Art Schlaftablette, von der er langsam abhängig wird. Er schämt sich deswegen. Kommt sich wie ein geiler, pubertierender Jüngling vor. Lässt sich von den armseligen Flittchen anmachen, die ohne jede Scham alles zeigen. Wird wütend, dass sie ihn mit ihrem Lack und Leder erregen, mit ihren nassen, spielenden Zungenspitzen. Aber es funktioniert immer. Auch heute Abend. Zum Teufel, denkt er, als die Hand auf dem Weg zum Hosenstall ist. Man ist schließlich auch nur ein Mann.
Mehr Champagner? Oder vielleicht ein wenig Kaviar?«, fragt ein älterer, gut erhaltener Gentleman in einem dicken, weißen Frotteebademantel in klangvollem Norwegisch die gleichaltrige Frau, die in einer Badewanne des Hilton liegt, den Schaum bis zum Hals.
»Ja, danke!«, lächelt sie und reicht ihm zuerst das Glas und dann den Mund, sodass er sie mit einem Teelöffel füttern kann.
»Eine anspruchsvolle Frau, mit der ich verheiratet bin!«, sagt er kopfschüttelnd und füllt ihr Glas mit Veuve Clicquot aus dem Kühler, um dann einen Löffel mit glänzendem, blauschwarzem Belugakaviar zu beladen.
»Hm«, lächelt sie verführerisch und schließt die Lippen um den Löffel. »Strebe immer nach dem Besten! In der Politik wie in der Liebe.«
»Und heute hast du in beiden Bereichen deinen Willen bekommen, nehme ich an!«
»Genau!«, sagt sie und schließt genussvoll die Augen, während der Kaviar auf der Zunge zergeht.
»Und nur ich habe das durchschaut«, sagt er und stößt mit ihr an. »Skål, Elizabeth! Du bist eine schreckliche, wunderbare Frau. Eine richtige Hexe!«
Kann man vom eigenen Mann vergewaltigt werden? Hat man es nicht selbst darauf angelegt? Wie wenn man freiwillig in einen Lastwagen hüpft und den Fahrer glauben macht, man sei achtzehn, obwohl man erst sechzehn ist? Wie wenn man selbst weiß, dass man eigentlich zu groß ist, um auf dem Schoß zu sitzen? Oder wie wenn man sich oben ohne von einem Fotografen für das Ekstra Bladet fotografieren lässt und das Mädchen des Monats wird?
Eine interessante Frage, die ich überlege, dem Kaufmann im Godthåbsvej zu stellen, als ich bei ihm die Vormittagszeitungen, Lottoscheine, Zigaretten und, na schön, eine Flasche Weihnachtsaquavit hole. Ein Sonderangebot. Eigentlich verteile ich meine Alkoholkäufe auf das Viertel, aber der Kaufmann öffnet früh, und in letzter Zeit habe ich es, ehrlich gesagt, nicht geschafft, die üblichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Und genau hier kommt die Diskussion um Gewalt in der Ehe ins Spiel; eine Diskussion, die ziemlich theoretisch erscheint, wenn man zum zweiten Mal innerhalb einer Woche so brutal genommen worden ist, dass es aus dem Enddarm blutet. Er ist wie besessen, was dieses Loch angeht. Als würde das andere ihn abtörnen. Meine Scheide ist schlaff geworden, sagt er, und beißt mich fest ins Ohrläppchen, während er mein Gesicht in das cremefarbene Zierkissen presst, das er auf den Esstisch gelegt hat. Es dient dazu, meine Schreie zu dämpfen, lässt ihn aber auch schneller kommen. Oder überhaupt kommen. Wenn er mein Gesicht nicht sieht, aber spüren kann, dass ich zappelnd Widerstand leiste, dass ich nach Atem ringe. Er kann mich ersticken, wenn er will. Das liegt ganz in seiner Hand.
»Und, sehen Sie Ihren Mann jetzt öfter? Jetzt, wo sie in der Opposition sind?«, fragt der Kaufmann, ein Morgenmensch, als ich die Waren auf das Kassenband lege. Das ist nett gemeint, und ich würde gern in dem gleichen unbeschwerten Ton antworten. Doch die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ich bin allmählich aus der Übung, mit Leuten zu reden. Deshalb verziehe ich auch nur das Gesicht zu einer seltsamen Grimasse, während der Kaufmann sich selbst eine Antwort gibt, ohne zu ahnen, wie sehr er den Nagel auf den Kopf trifft. »Nun ja, man kann sich auch zu viel sehen. Ist das alles?«
Ich nehme noch Weihnachtskerzen und eine Tüte Schmalzgebackenes mit. Wir haben schon Anfang Dezember, und ich vergesse diese Kerzen immer. Vielleicht trinke ich mich wirklich um den Verstand. Ich habe auch bereits wieder vergessen, was ich ihn fragen wollte. Nun ja. Es fällt mir erst wieder ein, als ich mit der Plastiktüte mit meinem jämmerlichen Verliererkauf draußen auf dem Bürgersteig stehe und warte, die Straße überqueren zu können. Kann man vom eigenen Mann vergewaltigt werden? Das kann man wohl. In Guatemala oder in Pakistan, habe ich gelesen. Aber ich kann das nicht. Denn ich habe es selbst darauf angelegt.
Die Macht zu verlieren, heißt auch, die Privilegien der Macht zu verlieren. Heißt, auf den Bus warten zu müssen, der nicht kommt, und die Blicke auszuhalten und vielleicht auch den einen oder anderen etwas zu voreiligen oder anmaßenden Kommentar. Und, vermissen Sie das Ministerauto? Es heißt auch, in einer Schlange im Morgenverkehr auf dem Åboulevard festzustecken und zu hören, wie der Nachfolger sich in den Radionachrichten über die Verhandlungen zur Finanzgesetzgebung auslässt, die man selbst so viele Jahre geleitet hat, dass man das Staatsbudget bis zu den kleinsten Posten in Kronen und Øre kennt. Heißt, aus seinem Büro geworfen zu werden, seinen Schubladeninhalt in Umzugskartons packen zu müssen, und seines Handys, seines Zeitungsabos, seines Einflusses auf die politische Tagesordnung und des Zugriffs auf die Presse beraubt zu werden. Und es heißt, nicht mehr über den riesigen Serviceapparat zu verfügen, zu dem das umfassende Verständnis der persönlichen Sekretärin dafür gehört, dass der Begriff Ministerbedienung auch den Einkauf von Weihnachtsgeschenken für die Ehefrau umfasst. Somit heißt die Macht zu verlieren auch, gezwungen zu sein, sich selbst ein Weihnachtsgeschenk für die Frau ausdenken und kaufen zu müssen, die man wieder einmal weit über das vertretbare Maß hinaus misshandelt hat, weil man seine Frustrationen nirgendwo anders abreagieren konnte. Sicher, man kann zum Glück fluchend auf die Hupe drücken, wenn ein Umzugswagen bei Rot über die Kreuzung in der Gyldenløvsgade fährt, und man kann ein Idiot! herausbrüllen und damit die Gedankenreihe kappen, die der Anblick der Gräfin-Danner-Stiftung, dem Krisenzentrum für misshandelte Frauen, bei einem Mann in Gang setzt, der selbst vor nun bald fünfundzwanzig Jahren mit dabei war, die Übernahme dieses vom Abriss bedrohten Hauses durch die Emanzen zu unterstützen. Dass gerade dieser junge Arbeitsminister der Held der Emanzen wurde, muss als Ironie des Schicksals bezeichnet werden, doch auch das lässt Gert Jacobsen hinter sich, als er kräftig aufs Gaspedal tritt, um noch bei Gelb hinüberzukommen, bevor die Ampel an der Nørre Farimagsgade auf Rot schaltet.
Einen wunderschönen!«, lächelt der Fahrradhändler, als ich eintrete. »Sie haben sich entschieden?«
Ich nicke zustimmend, ja, ich habe mich entschieden. Oder ich entscheide mich zumindest in diesem Augenblick, in dem es mir absolut einleuchtend erscheint, dass genau das das Richtige ist. Ein Fahrrad für meinen Mann zu kaufen. Als Weihnachtsgeschenk. Von meinem Ersparten. Wenn es eine Überraschung sein soll, kann ich nicht mit der Kreditkarte bezahlen, da er meine Kontoauszüge penibel durchgeht.