Andy D. Thomas

River & Matt


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Mutter. Er musste damit rechnen, dass sie ihn vor all den Kollegen anging, doch er konnte sie nirgends erblicken.

      Matt war mit den beiden Beamten nur Sekunden vor ihm eingetroffen und wurde noch über die momentane Lage informiert.

      „Wo ist die Mutter?“, zischte River.

      „Im Streifenwagen dort drüben. Einer unserer Psychologen ist vorm Haus, gleich neben der offenen Haustür. Der Junge hält sich ein riesiges Fleischermesser an die Kehle. Da er behauptet hat, seine Mutter hätte ihn mehrfach verprügelt, haben wir sie im Streifenwagen festgesetzt. Sie hat eine riesige Szene gemacht und die Kollegen beschimpft, sie sollen verschwinden. Sie trägt Handschellen.“

      Matt war kreidebleich und fuhr sich fassungslos über den Mund.

      River fragte sich, ob das mit dem Verprügeln stimmte. Falls ja, würde das Matt wunderbar in die Hände spielen, das Sorgerecht einzuklagen. Aber erst mussten sie Joey hier heil rausbekommen. Kein Wunder, dass der Junge durchdrehte! Himmel noch mal, es ist Weihnachten!

      Ein weiterer Mann in Zivil trat auf sie zu und sprach Matt mit sanfter Stimme an. Ein Psychologe, schoss es River durch den Kopf.

      „Ich bin Dr. Quinn. Mein Kollege hier hat Ihnen schon alles erklärt?“

      Matt nickte.

      „Sind Sie in der Lage, mitzukommen und zu versuchen, zu Joey durchzudringen? Er will Sie unbedingt sehen. Wir wissen, dass die Mutter es ihnen untersagt hat, aber es liegt nichts gegen Sie vor. Daher: Bitte helfen Sie uns, dass das hier unblutig zu Ende geht!“

      „Ja, natürlich. Was soll ich tun?“

      „Kommen Sie! Am besten Sie gehen zu meinem Kollegen an die Tür, da kann Joey Sie sehen. Rufen Sie ihn. Reden Sie mit ihm!“

      Matt starrte zu River, dann zu den Cops. „Verhaften Sie Joey, wenn das hier durch ist?“

      Die Beamten schüttelten den Kopf und Officer Moore sagte: „Er sollte durchgecheckt werden. Sanitäter werden ihn ins Krankenhaus bringen und er wird mit einem Psychologen reden müssen. Alles andere müssen Sie zivilrechtlich klären, ich meine, wenn Sie das Sorgerecht beantragen wollen. Aber erst müssen wir ihn davon abhalten, sich was anzutun.“

      „Okay. Ich bin bereit.“

      „Kommen Sie“, sagte der Psychologe und Matt folgte dem Mann durch den Vorgarten. „Rufen Sie ihn“, hörte River den Mann Matt auffordern.

      „Joey? Joey, ich bin hier, hörst du? Dad is’ hier. Komm an die Tür und schau!“

      River beobachtete die Szene mit einem Kloß im Hals. Ihm gefror das Blut in den Adern, als die Tür weiter aufgezogen wurde und er Joey sah, der mit weit aufgerissenen Augen und einem schweißüberströmten Gesicht hinausstarrte und sich dabei ein Messer an die Kehle hielt, das eine dreißig Zentimeter lange Klinge hatte.

      River fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht und starrte über seine Finger über den Rasen. Bitte, lieber Gott!

      „Dad?“ Joeys Stimme zitterte.

      „Joey, lass das Messer fallen! Ich flehe dich an!“

      River wusste, dass Matt Tränen in den Augen hatte, obwohl er ihn gerade nur von hinten sah. Auch ihm ging es ähnlich.

      „Ich will hier raus, Dad! Wie du! Ich ertrage es nicht mehr!“

      „Alles gut, alles gut. Es wird alles gut, Joey.“

      „Sie schlägt mich, Daddy! Sie hat mich hier eingesperrt. Ich durfte nur zweimal am Tag aufs Klo!“

      „Warum? Hat sie dir wenigstens gesagt, warum sie dich einsperrt?“

      „Weil sie Angst hat, ich lauf zu dir. Sie will das nicht. Ich hasse sie!“

      „Schon gut. Lass bitte das Messer fallen, Joey! Bitte!“

      „Weinst du, Daddy?“

      „Ich hab ’ne Scheißangst um dich!“

      Joey ließ das Messer etwas sinken.

      „Bitte wirf es weg und komm her.“

      Und dann ging alles ganz schnell. Joey ließ das Messer fallen und rannte durch die Tür auf seinen Vater zu. Im nächsten Moment lagen sich Vater und Sohn in den Armen und weinten.

      River schloss die Augen und hörte ein allgemeines Aufatmen unter seinen Kollegen.

      „Halleluja“, murmelte Officer Moore neben ihm. „Das war fünf vor zwölf.“

      Sanitäter kamen näher und gingen neben Matt und Joey in die Hocke, die dort immer noch vor der Haustür knieten.

      River zog sein Handy aus der Hosentasche und schaltete es ein. In der Wüste hatten er es ausgehabt, um Akku zu sparen, da es dort eh keinen Empfang gab. Während er die eingehenden Nachrichten und Weihnachtswünsche ignorierte, suchte er nach einer Nummer. Dann rief er eine gute Freundin an, die Anwältin für Familienrecht war. Sie wohnte eine Viertelstunde entfernt. Nachdem er sich für die Störung an Weihnachten entschuldigt hatte, erklärte er ihr die brisante Situation.

      „Ich komme. Bin in zwanzig Minuten da.“

      „Du bist unglaublich, Sarah. Danke! Bis gleich.“

      Er ließ das Handy wieder verschwinden und sah, dass Joey gerade tränenüberströmt von den Sanitätern in den Krankenwagen verladen wurde, während Matt von draußen auf ihn einredete.

      „Was is’ los?“

      „Er muss ins Krankenhaus.“

      „Sarah is’ unterwegs. Sie ist Anwältin für Familienrecht. Sie hilft dir.“

      „An Weihnachten?“

      „Ja, an Weihnachten. Sie ist eine sehr gute Freundin. Hol den Vaterschaftstest. Beantrage das Sorgerecht im Eilverfahren. Ich kümmer mich um Joey und fahre mit ins Krankenhaus, wenn sie mich lassen.“

      „Onkel River? Bist du das?“

      „Ja, Joey. Ich fahr euch hinterher, is’ das okay?“

      „Und Daddy?“

      „Der kommt nach. Ich erklär dir alles. Okay?“

      „Okay.“

      „Kommen Sie, Sir. Wir müssen los.“

      Zum ersten Mal war River überglücklich, dass Joey ihn Onkel nannte, denn die Sanitäter hinterfragten es nicht.

      „Ich hab dich ganz doll lieb, Großer. Wir sehen uns gleich, okay?“, rief Matt.

      „Ich dich auch, Daddy. Onkel River passt auf mich auf. Er macht die Polizeieskorte!“

      „Das ist gut.“

      Der Sanitäter nannte River das Krankenhaus und er nickte.

      „Sarah müsste gleich hier sein. Warte auf sie!“

      „Mach ich. Ich muss eh noch mit deinen Kollegen hier reden.“

      River nickte, dann knallten die Sanitäter die Türen zu und er stieg in seinen Streifenwagen.

      Einige Stunden später klopfte es an Joeys Zimmertür und Matt erschien. Er wirkte erschöpft, aber glücklich.

      „Daddy!“

      „Hi, Großer.“ Er lächelte und Joey umarmte ihn. „Sorry, dass das so lange gedauert hat.“

      „Vorsicht, er hängt am Tropf“, warnte ihn River.

      Matt löste sich von ihm und runzelte die Stirn. „Wieso das denn?“

      „Sie hat ihm wohl seit Tagen nichts zu essen gegeben. Er hat nur Wasser getrunken, wenn sie ihn aufs Klo gelassen hat.“

      „Das hat gestimmt, was du gesagt hast? Sie hat dich allen Ernstes eingesperrt?“ Matt starrte Joey mit einem fassungslosen Blick an.

      Joey nickte. „Und