Anne Katharina Zschocke

Natürlich heilen mit Bakterien - eBook


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dies als wissenschaftlicher Nachweis dafür, dass diese Bakterie der Verursacher der Krankheit sei. Wenn das Bakterium am Wachstum gehindert würde, so schloss man daraus, wäre damit zugleich die Krankheit zum Verschwinden gebracht. Diese Vorstellung war bestechend. Man glaubte, endlich den Weg zur Heilung gefunden zu haben. Voller Euphorie jubelte man Robert Koch zu, als er seinen dazu wegweisenden Vortrag vor 5000 Ärzten in Berlin im Jahr 1890 mit den Worten beendete: »Und so lassen Sie mich denn diesen Vortrag schließen mit dem Wunsche, dass sich die Kräfte der Nationen auf diesem Arbeitsfelde und im Kriege gegen die kleinsten, aber gefährlichsten Feinde des Menschengeschlechts messen mögen und dass in diesem Kampfe zum Wohle der gesamten Menschheit eine Nation die andere in ihren Erfolgen immer wieder überflügeln möge.«26

      Dass Robert Koch es eigentlich für angemessen hielt, bloß das Wachstum der Bakterien im Körper zu stoppen, ohne sie dabei gänzlich zu töten, ging im späteren Schwung der Entwicklung von Antibiotika unter.

      Somit ist nicht dasjenige, was zur Monokultur herangezüchtet wurde, der Verursacher eines Ungleichgewichts. Vielmehr ist die Methode an sich die Ursache der daraus folgenden Probleme. Würde beispielsweise ein Mensch, dessen gesunde Ernährung bekanntlich in einer abwechslungsreichen Mischkost besteht, stattdessen nur noch Äpfel essen – morgens Äpfel, mittags Äpfel, abends Äpfel, täglich Äpfel, dauernd Äpfel –, würde er seinem Körper also eine Monokultur von Apfelernährung zufügen, so würde er kurz über lang krank werden, egal wie gesund Äpfel eigentlich sind. Und zwar einfach deswegen, weil ihm der Rest der Nahrung fehlt. Die Medizin kennt zahlreiche solcher Mangelerkrankungen. Man behebt sie, indem das Fehlende wieder zugeführt wird. Er würde auch krank, wenn er eine gewaltige Masse Äpfel auf einmal äße. Gemäß Kochscher Bakterienlogik wäre aber dann der Apfel der »Erreger« der Krankheit, der Schuldige, der nun am Wachsen gehindert werden müsse, um das Entstehen dieser Krankheit zu verhindern. Man müsste ein »Antiapfelbiotikum« erfinden und Äpfel bekämpfen, um diese Krankheit zu beheben. Dasselbe träfe zu, wenn jemand täglich nur noch ständig fortwährend dasselbe Lied trällerte. Oder seinen Blick unermüdlich auf nur eine einzige Buchseite richtete.

      Der gesunde Menschenverstand weiß, dass all dies Unfug wäre, sooft man dies auch erfolgreich wiederholen würde.

      Es sind folglich nicht die Einzeller an sich, die krank machen. Es ist schlichtweg ein Übermaß in ihrer Anzahl und Aktivität im Verhältnis zu dem Lebensraum, in den sie gerade gelangen. Gerät eine geringe Zahl an Mikroben, die an sich nicht in seinen Körper gehören, in einen gesunden Menschen, beispielsweise ein paar Salmonellen, geschieht nicht viel. Ist es aber eine große Menge, oder der Betroffene ist arm an Bakterien, können sie das Gleichgewicht aus dem Lot bringen, und der Mensch erkrankt. Das ist auch ein Grund dafür, dass nur jeweils ein Teil derjenigen, die in Kontakt mit den Mikroben kommen, krank wird, ein anderer Teil nicht. Wären gewisse Bakterien »per se Krankheitserreger« – fachsprachlich nennt man dies »obligat pathogen« –, wären wir längst alle krank oder tot. Das ist aber nicht der Fall. Eine Mikrobe macht noch keine Krankheit. Dazu gehört zwingend die Verfassung des Menschen. Selbst bei großen Epidemien – die in der Regel hygienischen Mängeln geschuldet sind – wurden nicht alle krank. Warum Menschen der Industrienationen anfälliger für mikrobielle Störungen geworden sind, wird auf Seite 84ff. noch weiter ausgeführt.

      Dass alles in allem Widersprüche in der bakteriellen Forschung fahrlässig gedeutet wurden, bemerkte bereits Friedrich Sander, praktischer Arzt in Barmen, im Jahr 1875 (!) in einem Aufsatz in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift: »Die zweite Thatsache, welche mit der Bakterientheorie sich schwer vereinigen lässt, ist das Vorkommen massenhafter Vegetationen [Bakterien] im gesunden menschlichen Körper und bei nicht infectiösen Krankheiten … Man hat dieser zweiten Thatsache gegenüber sich mit der Ausrede zu helfen versucht, es gebe zwei Sorten von Bakterien: harmlose und gefährliche.«27

      Weil er das damals ebenfalls erkannte, schluckte der Hygieneprofessor Max von Pettenkofer (1818–1901) demonstrativ am 7. Oktober 1892 eine Portion Cholera-Vibrionen, tatsächlich ohne dadurch an der Cholera zu erkranken. Er wollte damit beweisen, dass Bakterien alleine keine Krankheitserzeuger sind. Leider glaubte man auch seinen Ausführungen nicht.

      Mikroskopiert man Bakterien, insbesondere solche, die im Labor herangezüchtet wurden, gelten die Ergebnisse ehrlicherweise nur für das Leben im Labor. Man sieht dort etwas anderes als im ursprünglichen Lebensraum. Genau dies wurde jedoch bisher nicht bedacht. Man würde ja auch Eichen nicht allgemein danach beurteilen, wie eine einzelne erscheint, wenn sie in einem Wohnzimmertopf wächst. Aus einer solchen einsamen Eiche, die sich weder entfalten könnte noch befruchtet würde oder Eicheln trüge, auf deren Äste keine Vögel sängen, die keine Wurzelkontakte zu anderen Bäumen pflegen könnte, würde man ja auch keine Rückschlüsse auf einen Eichenwald ziehen. Logischerweise kann eine Analyse von Lebendigem, das aus seinem Zusammenhang gerissen wurde, keine Aussage über das nicht mehr vorhandene Zusammenleben machen. Eine einzelne Kuh im Stall kann beobachtet werden, und man kann ihr Verhalten erkunden, während man sie beobachtet. Aber damit weiß man noch lange nicht, wie sie sich verhalten würde, sobald sie in einer Herde wäre. Man kann es sich höchstens in seiner Fantasie vorstellen. Und genau das hat man mit den Bakterien getan. Bei der Mikrobiologie im 19. Jahrhundert flossen Beobachtungen und menschliche Vorstellungen so unbemerkt ineinander, dass bis heute fraglos an den alten Irrtümern festgehalten wird.

      Man ging obendrein damals davon aus, dass die Bakterien, die man durch Anzüchten auf einer Platte fand, alle Bakterien waren, die in dem betreffenden Lebensraum vorkamen. Es fehlte gänzlich die Bescheidenheit, zu denken, dass dies nur ein winziger Ausschnitt der Wirklichkeit sein könnte. So irrte man gewaltig. Mittlerweile geht man davon aus, dass vielleicht ein winzig kleiner, unter ein Prozent betragender Ausschnitt der Einzeller eines Lebensraums »kultivierbar« ist. Selbst die anderen, kürzlich mit neuen Methoden entdeckten Einzeller, die man »nicht kultivierbare« Mikroorganismen nennt, stellen mit großer Wahrscheinlichkeit noch immer nicht alles dar, was es gibt. Wer weiß, was wir in weiteren Jahrzehnten noch entdecken. Man hat also ausgehend von einer winzigen Zahl von Bakterien leichthin auf das ganze Leben geschlossen, ohne zu bemerken, welche Fehldeutungen damit einhergingen.