Anne Katharina Zschocke

Natürlich heilen mit Bakterien - eBook


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1941 waren die erforderlichen Prozesse so weit entwickelt, dass versuchsweise Patienten mit einer ausreichenden Menge Penicillin behandelt werden konnten. Mit Erfolg. Kaum bewährt, begann die industrielle Produktion. Die Substanz war anfangs so kostbar, dass man den Urin der Behandelten sammelte und, da Antibiotika den Organismus zum größten Teil unverändert wieder verlassen, das darin ausgeschiedene Penicillin wieder daraus extrahierte.48 Im Jahr 1947 zahlte man auf dem Nachkriegsschwarzmarkt in Deutschland für eine einzige Ampulle 5000 Zigaretten, derweil ein Zentner Kohle nur vierzehn Zigaretten kostete und ein Stück Butter 250.49

      Man jagte damals die Mikroben gleich in zweierlei Richtung: Man suchte die einzelnen »Krankheitserreger« der verschiedenen Krankheiten, und man suchte die Mikrobenstämme, aus denen man Substanzen zum Bekämpfen Ersterer isolieren konnte. Mikrobenjäger hieß dann auch das 1926 in Amerika erstmals erschienene und jahrzehntelang in Hunderttausenden Exemplaren und zahlreichen Übersetzungen verbreitete erste für jedermann geschriebene Buch über die Geschichte der Bakteriologie. Der Autor war Professor für Bakteriologie und arbeitete unter anderem am Pasteur-Institut in Paris und am Rockefeller-Institut in New York. Im Vorwort der 13. deutschen Auflage von 1937 heißt es über die Forscher: »Helden …, nicht geringer als die bewunderten Helden der Kriege, werfen doch auch sie ihr Leben in den Kampf, in ein mutiges, verbissenes Ringen gegen heimtückische, unfassbare Menschheitsgeißeln … Sie retten geheimnisvoll Tausende, vielleicht Millionen von Menschenleben, die früher als Opfer würgender Seuchen dem ebenso geheimnisvollen Angriff winziger Mikroben erlagen.« Und: »… die uns auch eine Befreiung und ein Neuland erkämpften: ein gesundes, längeres, schöneres Leben.«50

      So kann man sich irren. Interessanterweise fragten die Antibiotika-Forscher sich nicht, welche Aufgabe die von ihnen gefundenen Substanzen natürlicherweise bei Pilzen und Bakterien hatten. Man sah im Labor die erwünschte hemmende Wirkung auf mutmaßliche »Krankheitserreger« und bewertete sie zielgerichtet nach dem selbst erklärten Zweck. Hätte man die Frage nach ihrem eigentlichen Sinn gestellt und wäre man bereits damals auf die Idee gekommen, dass diese »Antibiotika« in Wirklichkeit Signalbotenstoffe der Mikroben untereinander für einen gesunden Dialog zur Verständigung zwischen Zellen sind, hätte man sie vielleicht klüger eingesetzt.

      Dann hätte man vielleicht auch schneller bemerkt, dass es schwerwiegende Folgen für einen Lebensraum hat, wenn man sich ungefragt in die Kommunikation der kleinsten dort lebenden Wesen einmischt.

      Stattdessen trafen mit dem kriegerischen Propagandavokabular der Weltkriege wiederum martialisches Gedankengut und bakteriologische Forschung zusammen. Die Beziehung, in die der Mensch sich dadurch zu den Bakterien setzte, entsprach den diktatorischen politischen Kräften der damaligen Zeit. Man entnahm sie und ihre Stoffe, laborierte damit nach Gutdünken und versuchte, ihr Dasein zu beherrschen. Statt eines respektvollen Miteinanders, wie man es zwischen dem Menschen und seinem Ursprung erwarten könnte, prägt ein liebloses Dominieren und Manipulieren seither die medizinische Mikrobiologie. Dass Einzelne den Spieß heute umdrehen und die Mikroben als »Herrscher der Welt« bezeichnen,51 macht deutlich, wie weit entfernt man immer noch von der Wahrheit des Miteinanders ist.

      Um eine therapeutische Wirkung zu erzielen, mussten die ausfindig gemachten Substanzen labortechnisch gereinigt und stark angereichert werden. Dazu züchtete man die »Produzenten«stämme im Labor in speziellen Nährlösungen und manipulierte sie auch zwecks größerer Ausbeute. Schließlich konnte man einzelne Substanzen chemisch verändern, woraus die »halbsynthetischen« Antibiotika entstanden. Der Eingriff in das Zwischenzell-Leben wurde dadurch noch entfremdender.

      Man merkte zwar sehr deutlich, dass der Einsatz von Mitteln, die im Körper auf Bakterien zielen, für den Patienten von Gefahren begleitetwar, viele Nebenwirkungen hatte und keine echte Stärkung des Kranken bedeutete. Todesfälle unter den so Behandelten und das Auftreten von Bakterienresistenzen riefen früh schon Kritiker wach. Das allein reichte jedoch nicht aus, um die Bakterienbekämpfung an sich zu hinterfragen.

      Diese Form der »Unterhaltung«, die der Mensch mit den Bakterien eines kranken Körpers mit ursprünglich bakteriellen Botenstoffen pflegt, ist ziemlich barbarisch. Bedenkt man, dass sowohl Einzeller untereinander (siehe Seite 66ff.) als auch mit Körperzellen (siehe Seite 80ff.) ständig über Signale in Kontakt stehen, ist klar, dass dies von den Zellen beantwortet wird.

      Mit der Zeit wurde das »Antibiotikum« zum Inbegriff des Beseitigungsmedikaments. Allen Widersprüchen, Nebenwirkungen und Resistenzen zum Trotz erhielt es eine positive Bedeutung und galt bis in die sechziger Jahre hinein als das »Wunder«mittel schlechthin. Keine andere Medikamentengruppe wurde so emotional besetzt. Es erschien wie gesagt als das Mittel zur Rettung der Menschheit. Das erklärt auch, warum ihr Einsatz sich nicht auf die Medizin beschränkte, sondern es zu einer einzigartigen Entwicklung kommt, nämlich dass etwas, was als Medikament für ernsthaft Erkrankte entwickelt wurde, schließlich zu einem Konzept wird, das den gewöhnlichen und gesunden Alltag der Menschen tränkt. »Antimikrobiell« klingt in den Ohren der meisten Menschen gleichlautend mit »gesund«. Wobei bei der Werbung mit »antimikrobieller Wirkung« nicht einmal nachgewiesen werden muss, dass dieser Effekt auch tatsächlich eintritt.52

      Massen von Konsumartikeln werden trotzdem antibiotisch präpariert, ob Tennissocke, Computertastatur oder Kühlschrank, von Bettzeug über Handseife bis zu Zimmerfarben. Man muss mittlerweile schon gründlich suchen, um Einlegesohlen zu finden, die nicht antibakteriell imprägniert wurden. Duschschläuche, Schneidebretter, Kinderspielzeug, sogar Besteck und Geschirr gibt es »antimikrobiell«. Kaum ein Lebensbereich wird davon ausgespart. Im Jahr 2016 waren in Deutschland mehr als 30 000 »Biozid«-Produkte zugelassen, im Jahr 2009 waren es noch 18 000.53 Sie werden damit beworben, dass sie »befreien«, »abhalten«, »beseitigen«, »schützen« und »hygienisch« seien und »ein gutes Gefühl« geben. Alles positive Aspekte, die jeder Mensch sich wünscht. Leider am falschen Platz, denn beim pauschalen Beseitigen von Bakterien ist genau das Gegenteil der Fall, wie wir noch sehen werden.

      Das gilt auch für den überflüssigen Ersatz des gründlichen Händewaschens mit Seife durch Handdesinfektion. Der Gesamtverbrauch an Händedesinfektionsmitteln stieg