Million Dollar zur Verfügung gestellt.36
Der Erfolg dieser chemischen Therapie schien die Richtigkeit des eingeschlagenen Wegs zu bestätigen. Die »innere Desinfektion« bei bakteriellen Krankheiten erschien als die zukunftsweisende Medizin, folglich die Entwicklung chemisch-synthetischer Mittel dazu der geeignete Weg – bis heute. Diesem folgend, wurde im Jahr 1932 von Gerhard Domagk (1895–1964), einem medizinischen Forscher bei der I. G. Farbenindustrie in Wuppertal, die bakterienhemmende Wirkung der Sulfonamide entdeckt.[2] Dies galt als die lang ersehnte erste medizinische »Chemotherapie der bakteriellen Infektionen«.37
Der heute übliche Begriff »Antibiotikum« wurde erst ab 1942 benutzt und meinte damals »antimikrobiell wirkende Substanzen von Mikroorganismen«.38 Er entstand aus dem Missverständnis, Mikroben würden sich untereinander genauso verhalten wie die Menschen sich ihnen gegenüber, nämlich einander bekämpfen. Heute wissen wir, dass diese Substanzen Botenstoffe zur Kommunikation sind und Einzellern wie Mehrzellern ein gesundes Miteinander ermöglichen (siehe Seite 63ff.). Es war eine tragische Fehlbezeichnung. Damals unterschied man damit die natürlichen von den chemischen bakterientötenden Mitteln.
Heute wird die Bezeichnung »Antibiotikum« generalisiert für bakterienhemmende und -tötende Mittel natürlichen, halbsynthetischen oder chemischen Ursprungs verwendet. »Antibiose« meint die medikamentöse Therapie mit diesen Mitteln. Neuerdings wird vorgeschlagen, von »Antiinfektiva« zu sprechen. Wörtlich übersetzt heißt dies »gegen das Hineinmachen«. So ein Begriffswechsel ist jedoch kein Fortschritt, weil sowohl die Idee, gegen Bakterien zu behandeln als auch die, gegen eine Infektion, dem Irrtum unterliegt, Bakterien würden von draußen den Körper bedrohen und müssten beseitigt werden. Wie wir noch sehen werden, hilft erst ein anderes Verständnis von Gesundheit und Krankheit, die passenden Begriffe für wahre Wege in Bezug auf Bakterien und Heilung zu finden. Der Begriff »Chemotherapie« wird heutzutage für chemische Medikamente in der Krebsbehandlung verwendet.
Die Entwicklung des Penicillins
Dass der Londoner Bakteriologe Alexander Fleming (1881–1955) der »Entdecker des Penicillins« sei, wie landläufig behauptet wird, ist eines der Märchen, mit denen in der Bakteriologie zahlreiche angebliche »Helden« hervorgebracht wurden. Ein anderes rankt sich um »Streptomycin«, das erste bei Tuberkulose wirksame Antibiotikum. Es wurde durch Albert Schatz entdeckt, nicht durch Selman Waksman, der dafür 1952 den Nobelpreis erhielt39. Zum einen waren Schimmelpilze, aus denen man Penicillin zunächst zog, seit alters ein bewährtes Heilmittel (siehe Seite 177). Man hatte auch bereits lange beobachtet, wie arabische Stallknechte Pferdesättel in dunklen, feuchten Räumen lagerten, um das Leder zum Schimmeln zu bringen, weil dies die Wundheilung förderte, wenn die Beine der Reiter aufgescheuert waren.
Zum anderen war der »Antagonismus«[3] zwischen Schimmelpilz und Mikrobe längst wissenschaftlich bekannt und wurde bereits in den Lehrbüchern erwähnt.40 Er war bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts Thema zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen gewesen, und man wusste, dass auf einer Kulturplatte nach Pinselpilzen, wie Penicillium damals hieß, keine Bakterien mehr wachsen.41 In England, Deutschland, Italien, Russland sowie den USA hatten Ärzte mit den hemmenden Wirkungen verschiedener Schimmelpilzkulturen der Gattung Penicillium auf Bakterien experimentiert.
Der angehende französische Arzt Ernest Duchesne (1874–1912) schrieb schließlich im Jahr 1897 seine Doktorarbeit über die Wechselwirkungen bei Mikroben. In gemeinsamer Kultur mit Penicillium glaucum blieben je nach Nährstoffmilieu mal die Bakterien, mal die Pinselpilze am Leben. Spritzte er Penicillium jedoch im Tierversuch gleichzeitig mit »giftigen Kulturen pathogener Mikroben« wie Bacillus typhosus oder Bacterium coli in Meerschweinchen, wurde ihre gefährliche »Wirkung in so bemerkenswertem Maß verringert«, dass er vorschlug, diese Ergebnisse wegen ihres Nutzens für Hygiene und Therapie noch einmal zu wiederholen und zu kontrollieren.42 Dazu kam es jedoch nicht. Er starb mit 38 Jahren. Die Forschung interessierte sich derweil mehr für Impfungen mit Serumbestandteilen oder Bakterien in die Haut, um zu heilen (siehe Seite 185ff.).
Man isolierte auch andere Bakterien und Pilze, reicherte sie an und untersuchte, ob sie das Wachstum von »Krankheitserregern« änderten. Dabei stellte man immer wieder fest, dass Bodenpilze das Bakterienwachstum zu hemmen vermochten, allerdings waren die Pilze mit der stärksten Wirkung am seltensten.43 Man deutete dabei die feinen Signalbotenstoffe als Mittel »gegen das Leben« der jeweils anderen Art und übersah, dass sie in isoliert angereicherter Menge natürlich eine andere Wirkung zeigten als in ihrem natürlichen Miteinander. Darüber ging der Erste Weltkrieg ins Land.
Krieg in den Köpfen führt zum Krieg gegen Bakterien
Es ist interessant zu erkennen, dass die Entwicklung der Antibiotika schon früh mit politischem Gedankengut verflochten war. Bakterien wurden für staatliches menschliches Denken und Handeln vereinnahmt, sei es als Projektionsobjekte oder als unbewusste Rechtfertigung. Eine Zeitlang galt das Leben der Einzeller noch als verschieden deutbar. Die entscheidende Weichenstellung hin zur Antibiose fand interessanterweise genau in der Zeit statt, als auch die Kriege im 20. Jahrhundert durch die Köpfe von Wissenschaftlern, Entscheidungsträgern, Bevölkerung und Europa zogen. Das Prinzip der Ausrottung von Leben galt daraufhin allgemein als berechtigt. Womöglich half das Gefühl, die Bakterien besiegen zu können, über das Empfinden anderer Niederlagen hinweg?
Aus solch einer antibiotischen Perspektive wurden Forschungstexte sogar im Rückblick verfälscht. So legte im Jahr 1966 der leitende Professor für Mikrobiologie in Wien, und Mitentwickler des PenicillinsRichard Brunner (1900–1990), dem Arzt und Botanikprofessor Anton de Bary (1831–1888) in den Mund, er habe im Jahr 1879 den Begriff »Antibiose« geprägt.44 Tatsächlich beschreibt de Bary damals in Die Erscheinung der Symbiose[4] bloß seine Erkenntnisse zum »eigenthümlichen Genossenschaftsverhältnis« ungleicher Pflanzen. Er entdeckte, dass Flechten eine Gemeinschaftsbildung aus Pilzen und Algen sind.45 Da, wo auch er, dem Zeitgeist folgend, einen »Kampf« zwischen Parasiten und Wirt deutet, spricht er von »Antagonismus«, übersetzt: »Wechselwirkungen«. Die Frage, wie denn die Lebewesen zueinander stehen, wurde zu Barys Zeiten erst noch intensiv erforscht. Erst mit und nach den Weltkriegen wurde das Miteinander von Bakterie und Mensch tatsächlich ebenfalls zum Krieg.
Dass man damals die Wahl hatte, einen bakterienfreundlichen Weg zu gehen, kann man daran ablesen, dass de Bary selbst bereits im Jahr 1885 die Bakterien im menschlichen Körper als »unschädliche Gäste, Wohnparasiten«[5] und »selbst nützliche Beschützer gegen die Invasion störender Gährungserreger« beschrieb, also genau so, wie wir es heute neu als hilfreich erkennen.46
Die aus der Bakterie Pseudomonas pyocynea gewonnene und »Pyocyanase« genannte Substanz war die erste antimikrobielle Substanz aus natürlicher Herkunft, deren antibakterielle Wirkung sich therapeutisch bewährte. Sie wurde schließlich ab 1928 durch das sächsische Serumwerk Dresden als Medikament hergestellt. Im selben Jahr zeigte sich dem – später im Rückblick berühmt gemachten – Alexander Fleming beim Züchten von Bakterien im Labor die hemmende Wirkung des Pinselpilzes. Aus dem Filtrat der Pilzkultur gewann er die Substanz, die das Wachstum der Bakterien hemmte, und nannte sie »Penicillin«. Er fand diese Entdeckung bloß »an sich« interessant und verfolgte sie nicht weiter. Erst zehn Jahre später, mit einer seit Kriegsbeginn 1938 aufflammenden Kampfesstimmung einhergehend, griff man diese Forschungsergebnisse wieder auf.
Bis schließlich daraus dann das Medikament Penicillin wurde, vergingen noch Jahre. Zahlreiche Forscher in Europa und Amerika befassten sich mit der Isolierung, Reinigung und Anreicherung des Penicillins, um eine therapeutisch ausreichende Menge reiner Substanz zu erhalten. Diese Forschung geschah während des Zweiten Weltkriegs unter großer Geheimhaltung, da man hoffte, mit Antibiotika Wunden und Infektionen der Soldaten zu kurieren und sich somit militärischeVorteile zu verschaffen.