Lili B. Wilms

Luft an Land


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Izi hatte überhaupt nichts über eine Beziehung oder dergleichen gesagt. Er wollte die Nummer, um die Sache von eben einfach zu wiederholen.

      Und Fabian hatte völlig überreagiert. Die ganze Geschichte war ein Desaster gewesen, das nur darauf gewartet hatte, zu implodieren. Wieso ließ er sich mit jemandem aus dem Studio ein? Dem Ort, der ihm heilig war. Sein Rückzugsort, an dem er sich auf sich selbst konzentrieren konnte.

      Nur gut, dass Izi absolut zuverlässig ausschließlich zu den Pilates- und Yogastunden seiner Freundin dort auftauchte. Fabian würde es umgehen können, ihn zu treffen. Der Stundenplan hing aus und es war ein Leichtes, seine Trainingseinheiten ein bisschen anzupassen. Hatte er in den vergangenen Wochen sich selbst dabei immer wieder ertappt, just zu den Übungsstunden von Nadine im Studio zu sein, um Izis Ankunft und Abgang mitzubekommen, würde er dies ab sofort vermeiden.

      Bereits etliche Meter vor seinem Fahrzeug drückte er wütend den Türöffner. Diese Aktion heute Morgen war so »bezaubernd« gewesen. Er hatte Izi sehen müssen. Wieso konnte er nicht einmal mit seinem Kopf denken? Dem auf den Schultern. Für den zwischen seinen Beinen gab es Apps, mit denen er sein Leben in letzter Zeit hervorragend organisiert hatte. Wieso bitte, musste er ein laufendes System derart ins Wanken bringen? Arbeit, Studio, schneller Sex über irgendeine Plattform und zu seinen Verpflichtungen nach Hause. So schwer war das doch nicht. Aber dennoch. Seit er Izis Augen zum ersten Mal gesehen hatte, waren sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

      Er riss die Autotür auf und ließ sich schwer in den Sitz fallen. Mit einem ordentlichen Rumms ließ er die Tür zu sausen. Den Schlüssel im Schloss, fuhr er sofort an. Es war ein gutes Stück bis in den Vorort, in dem er wohnte. Er hatte heute bereits genügend Zeit mit Blödsinn vertrödelt.

      Aber diese Augen. Dieses außergewöhnliche Kristallblau, mit einem Hauch Grün, fast Türkis. Als er das Tattoo auf Izis Rücken gesehen hatte, als dieser im Studio vom Duschen zurückkam, war ihm die Luft weggeblieben. Die Flosse des Meermannes hatte dieselbe Farbe wie Izis Augen. Die Schuppen strahlten in den unterschiedlichsten Schattierungen und sahen aus, als würden sie glitzern. Jede Bewegung Izis hatte den Schwanz, der bis über seinen Po zu seinem Oberschenkel reichte, aussehen lassen, als ob sich die Schuppen darauf hervorhoben. Fabian hatte sich zwingen müssen wegzusehen. Bei aller Toleranz und Offenheit des Studios, er hatte kein Recht, Izi derart zu begaffen und ihn womöglich damit zu verunsichern.

      Fabian trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum. Die Ampel stand mindestens seit fünf Minuten auf Rot. Er hatte sich nicht träumen lassen, dieses Kunstwerk in so kurzer Zeit aus der Nähe betrachten zu können. Nicht nur betrachten. Er hatte es berührt. Der Meermann hatte den Rücken durchgedrückt, wobei sein Hinterkopf auf Izis Schulter zu liegen schien. Sein dunkles Haar, das wie wild um ihn schwebte, reichte bis zu Izis Oberarm. Es war das eindrucksvollste Bild, das er je gesehen hatte. Und es passte zu seinem Träger. Nicht auf den ersten Blick zu entdecken, aber hatte man es einmal gesehen, war es nicht mehr möglich, wegzusehen.

      Die Ampel neben ihm schaltete und beinahe wäre Fabian seinem Vordermann hinten drauf gefahren. Natürlich. Seine Ampel hatte die Farbe nicht verändert.

      Was wäre denn dabei, sich ein paar Mal mit Izi zu treffen? Und wenn sie nur ein freundschaftliches Verhältnis pflegten, wäre dies doch seinem infantilen Abgang vorzuziehen. Alles wäre dem vorzuziehen gewesen. Er drückte sich kurz die Handballen an die Stirn. Und was wäre so tragisch, wenn diese Freundschaft mit ein paar Vorzügen ausgestattet wäre? Hatte er es nicht verdient, mit einem Kerl wie Izi Zeit zu verbringen? Fabian fuhr sich über die kurzen Haare. Izis Haare. Diese dunklen, weichen Haare. Er rieb seine Finger aneinander. Das samtige Gefühl steckte wie eine Erinnerung zwischen ihnen. Anscheinend hatte er keinerlei Wachs oder dergleichen benutzt. Es fühlte sich so zart und unwirklich an. Und genau wie der verantwortungsbewusste Mensch, der Izi zu sein schien, hatte er keine Szene gemacht, als Fabian selbst einen Kurzschluss hatte.

      Endlich sprang die Ampel auf grün und Fabian konnte losfahren.

      Sie hätten vorher darüber reden müssen, was das werden sollte. Aber er besprach nie die Bedeutung seiner sexuellen Begegnungen. Jeder wusste, woran er war. Aber doch nicht Izi. Fabian stöhnte innerlich auf. Und statt sich danach einem Gespräch wie ein erwachsener Mann zu stellen, war er weggelaufen. Hitze stieg in seine Wangen und vor Scham wollte er sich am liebsten verkriechen. Er konnte das so nicht stehen lassen. Wenn er Izi nur halbwegs richtig einschätzte, würde er mit sich reden lassen. Vielleicht war ja auch noch nicht alles verloren. Vielleicht bestand ja eine klitzekleine Chance, diese karibisch blauen Augen noch mal voller Leidenschaft auf sich gerichtet zu sehen. Vielleicht bestand eine winzige Chance, dass sie beide …

      Ein grellroter Blitz riss ihn aus den Gedanken. Sein Blick raste umher. Fuck, nicht dieselbe Stelle wieder. Dieser verdammte Blitzer. Panisch sah er auf den Tacho. Wieviel … wieviel war er zu schnell gewesen? Fuck! Fuck! Nein! Das durfte nicht wahr sein. Nicht schon wieder. Er hatte erst Punkte und ein massives Bußgeld kassiert. Das … nein … das durfte nicht passieren. Wenn er das richtig in Erinnerung hatte, würde das bedeuten … Aber das konnte es nicht bedeuten. Er brauchte seinen Führerschein.

      Fabian ließ einen markerschütternden Schrei los und schlug mit einer Hand auf das Lenkrad ein. Das! Das genau war der Grund, wieso er mit seinen Gedanken bei der Sache bleiben musste und sich nicht mit blauäugigen Meermännern beschäftigen sollte. Der kleinste Fehler und seine Familie war aufgeschmissen. Seine Unzuverlässigkeit hatte Konsequenzen, mit denen er gut leben konnte, aber nicht seine Familie, die sich auf ihn verlassen musste. Die bekannten Worte seines Vaters hallten in seinem Kopf wider. »Fabian, wenn ich nicht da bin, bist du der Mann im Haus.« Wie oft hatte sein Vater das wortwörtlich betont?

      Nochmals schrie er auf. Ein Witz war er, mehr nicht. Das war’s. Er konnte nur hoffen, dass dieses Blitzlicht die Warnung gewesen war, die er gebraucht hatte, um sich Izi aus dem Kopf zu schlagen. Denn genau das würde er tun. Ein für alle Mal. Er war kein kleines Kind, das einen Freund oder einen Spielgefährten brauchte, egal, wie heiß und warmherzig und aufmerksam und so unglaublich heiß dieser auch sein mochte.

      Die folgenden Wochen waren ein Spießrutenlauf für Fabian. Jeden Tag leerte er schweißgebadet den Briefkasten, in Sorge, der erwartete Bußgeldbescheid wäre darunter. Wobei er hoffte, dass es ein Bußgeldbescheid war, der ihn erwartete, und nicht ein Fahrverbot. Es durfte kein Fahrverbot oder die Aberkennung des Führerscheins sein.

      Der Tag auf der Baustelle war anstrengend gewesen. Der Bauherr war anwesend und hatte seine eigenen Ideen, wie eine Baugrube auszuheben war, deutlich machen wollen. Fabian war nur der Baggerfahrer und musste sich mehrmals auf die Zunge beißen, um den Herrn nicht in klaren Worten deutlich zu machen, dass ein bisschen »ich baue mir mein Haus« googeln nicht ausreichte, um den Bauvorschriften zu genügen. Dazu hatte ihnen die Sonne auf den Kopf gebrannt. Er war nur noch froh, endlich daheim zu sein.

      Seine Kollegen hatten seine Angespanntheit längst bemerkt. Nachdem er aber nicht rausgerückt hatte, was ihn so bedrückte, hatte ihn auch Mark, der Einzige unter ihnen, den er als Freund bezeichnen würde, in Ruhe gelassen. Sollte er eine Mitfahrgelegenheit zur Arbeit benötigen, würden sie es noch schnell genug erfahren. Jede freie Minute hatte er genutzt, um sich über spezialisierte Anwälte zu informieren. Sollte es so weit sein, würde er sofort handeln. Er hatte bereits bei einer Kanzlei angerufen, die ihn aber vertröstet hatte. Erst wenn die verhasste Nachricht bei ihm eintraf, ergab es Sinn, dass er sich bei ihnen meldete.

      Er parkte in der Garage. Sein Elternhaus war ein typisches Mittelklassehaus, in dem schon seine Großeltern gelebt hatten.

      Heutzutage war es nahezu unmöglich, ein Haus in diesem Vorort zu erwerben. Die Kosten für den Erhalt schnürten ihm ohnehin schier die Luft ab. Das Haus müsste längst wieder gestrichen werden. Dass die Heizung seit Jahren ausgetauscht werden sollte, verdrängte er nach jedem überstandenen Winter erneut und hoffte auf ein weiteres Jahr, in dem sie durchhielt. Dass sowohl die Dämmung des Daches wie auch die Fenster ausgetauscht werden mussten, um besagte Heizkosten zu senken, würde er, solange es nicht durchtropfte, ebenfalls wieder vergessen. Er legte regelmäßig Geld zurück für derartige Unterfangen. Aber während er noch für das erste Projekt sparte, gesellten sich bereits die nächsten Probleme des alten Hauses dazu. Letztendlich