ihm muß unser Denken verstummen. Soll uns das Unendliche zugänglich werden, dann muß es sich uns selbst erschließen.“25 In dieser empfangenden Hermeneutik kann der Mensch die biblisch bezeugte Selbsterschließung des dreieinigen Gottes in der Heilsgeschichte wahrnehmen, die erkennen lässt, dass der personal und sprachlich geprägte Gott den personal und sprachlich konstituierten Menschen als Adressaten seiner Liebe geschaffen hat. Gott, der die innertrinitarische Beziehung der Liebe verkörpert, nimmt „die Menschen als seine von ihm selbst geschaffenen Kommunikationspartner in diese Beziehung auf […], so daß diese – von der grenzenlosen Beziehungswilligkeit Gottes ergriffen und sich ihr öffnend – den Mitmenschen wie auch ihrem Gott entsprechen und zu ihrem menschlichen Wesen kommen können“26.
4.Implikationen des Gottesbegriffs
Die Implikationen des Gottesbegriffs, die auf Gott als unverfügbare Eigenwirklichkeit hinweisen, korrespondieren mit dem personalen Wesen des dreieinigen Gottes, weil sich Gott als personales Geheimnis nur selbst erschließen kann. Soll Gott nicht depotenziert oder vereinnahmt werden, ist er als sich selbst erschließendes Geheimnis ernst zu nehmen. Der verborgene Gott verweigert sich menschlicher Vereinnahmung und ermöglicht so wahre Gotteserkenntnis durch den offenbaren Gott.
Die beiden Abschnitte über die Transzendenz des Menschen und die Transzendenz von Welt und Kosmos lassen erkennen, dass der Mensch im Kontext des Kosmos über sich selbst hinausgewiesen ist – auf einen letzten Grund und ein letztes Ziel. Diese Dimensionen sind wiederum verbreitet mit dem Gottesbegriff verbunden, wie es im Abschnitt über die Horizonte des Gottesbegriffs deutlich wurde (siehe Kap. II,1). So trat ein gewisser Resonanzboden des Gottesbegriffs hervor, da Gott weitgehend als Ursache aller Wirklichkeit verstanden wird und somit als selbstursächliche und unverfügbare Eigenwirklichkeit, die hinter dem Geheimnis menschlicher Transzendenz steht. Nimmt man diese Implikationen des Gottesbegriffs ernst, kann es keine aus den weltlichen Bedingungen rekonstruierbare Notwendigkeit Gottes geben, wie es falsch verstandene Gottesbeweise scheinbar vorgeben (siehe zu den Gottesbeweisen Kap. VI,3). Denn bei dem göttlichen Horizont der unverfügbaren Eigenwirklichkeit geht es um den grundlosen Grund, der erst über Sein und Nicht-Sein entscheidet. Deshalb kann weder vom Sein noch vom Nicht-Sein die metaphysisch-theistische „Notwendigkeit“ oder die atheistische „Nicht-Notwendigkeit“ Gottes abgeleitet werden („Gott ist mehr als notwendig“ – E. Jüngel).27 Vielmehr lässt die aus menschlicher Selbsttranszendenz resultierende Ahnung von der Existenz Gottes erkennen, dass der diesem Anschein nach aus sich selbst existierende Gott um seiner selbst willen ernst zu nehmen ist: Er muss sich selbst verifizieren,wenn er erkannt werden soll. „Letztlich kann Gott nicht von einer äußeren Instanz her bewiesen werden. Er muß sich selbst erweisen. Man kann den Gottesgedanken nur daran bewähren, daß man ihn an seinen eigenen Implikationen mißt.“28
Das gilt auch für die Implikationen des Gottesbegriffs, die sich aus der personalen Konstitution des Menschen ergeben (siehe Kap. II,3). Als Anknüpfungspunkt und Voraussetzung für den Zugang zu Gott verweist die menschliche Personalität auf ein personales göttliches Gegenüber, das Antwort auf das Geheimnis anthropologischer Personalität und ihres Kontextes geben kann und das sich als personales Geheimnis ebenso erschließen oder verschließen kann wie der Mensch. Wie „schon zur Anwesenheit eines Menschen dessen Entzogensein gehört“, ist „Gottes Anwesenheit […] überhaupt nur mit seiner Abwesenheit zugleich erfahrbar. Deshalb ist seine Anwesenheit auch nur als Offenbarung erfahrbar.“29 Die mit dem Wesen der Personalität verbundenen Aspekte unterstreichen also die Implikationen des von einer unverfügbaren Eigenwirklichkeit ausgehenden Gottesbegriffs, weil sich das personale Geheimnis in seiner Eigenwirklichkeit auch frei entziehen oder erschließen kann. Durch die damit verbundene Kategorie der selbstursächlichen Freiheit drängt sich die personale Dimension für den Gottesbegriff auf, wobei zu unterstreichen ist, dass sich Gott in der Geschichte als personaler Gott erschlossen hat.
Der kommunikative Charakter der Personalität bildet die Voraussetzung für eine freie Gemeinschaft der Liebe und somit die Grundlage für eine derartige Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Im Blick auf die Bedingungen angemessener Gotteserkenntnis, die Gott wirklich Gott sein lässt und ihn nicht eigenen Vorstellungen unterwirft, bleibt deshalb festzuhalten, dass Gott nur in einer empfangenden Hermeneutik ernst genommen wird, die sich seiner Selbsterschließung öffnet, statt ihn selbst rekonstruieren zu wollen. Denn wie der Mensch das personale Geheimnis seiner Mitmenschen vorurteilsfrei zur Kenntnis nehmen sollte, so sollte er auch das Geheimnis Gottes als solches wahrnehmen. „Gott ist um seiner selbst willen interessant […]. Was man Menschen zugesteht, sollte man Gott auch nicht einmal in der Theorie vorenthalten.“30 Wenn man Gott als göttliche Wirklichkeit ernst nimmt, kann er nur als sich offenbarender Gott als Gott gedacht werden: „[…] für Gott als den, über den hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, kann es nicht nochmals einen größeren und umfassenderen Horizont geben, von dem her und innerhalb dessen wir ihn begreifen können“31. Soll Gott nicht depotenziert oder vereinnahmt werden, muss man ihn als sich selbsterschließendes Geheimnis wahrnehmen. Nur so lässt man ihn als Gott gelten, während man sich selbst unter Berücksichtigung der eigenen Transzendenz als empfangende menschliche Kreatürlichkeit annimmt. Denn „Gott denken heißt: Gott allein als denjenigen denken, der de deo etwas zu sagen hat. […] Gott denken kann nicht heißen, daß die menschliche Vernunft ihm gleichsam vorschreiben könnte, wie er sich ihr zu zeigen hat.“32
„Gott kann deshalb nur durch Gott erkannt werden; er kann nur erkannt werden, wenn er sich selbst zu erkennen gibt.“33 Zu einer solchen empfangenden Hermeneutik fordert schon das Wort „Gott“ selbst heraus, indem es ein „Sprachereignis“ impliziert: „Das Wort Gott bringt die Wirklichkeit so zur Sprache, daß es zugleich an der Welt selbst ‚etwas‘ aufleuchten läßt, was mehr als Welt ist. […] Damit ist die […] Rede von Gott […] immer ein wirksames Wort. In ihm geht es nicht um das, was die Welt immer schon war, um ihr bleibendes Wesen, sondern um ihre offene Zukunft.“34 Von daher hat der Gottesbegriff an sich bereits Begegnungscharakter, weil er den sprachlich konstituierten Menschen schon allein als Begriff auf die Gemeinschaft mit Gott anspricht. 35 Dabei verlangt die in der Gottesrelation gegebene „Antwort auf die Fraglichkeit des Menschen und der Welt“36 Aussagen tragfähiger Erkenntnis- und Heilsgewissheit – im Unterschied zu den immer nur annähernden Aussagen, welche die Weltrelation des Menschen betreffen.37 „Jedenfalls für die Gotteserkenntnis ist es charakteristisch, daß sie – als Erkenntnis der Alles (also auch den Erkennenden selbst) bestimmenden Wirklichkeit – erst dann an ihr Ziel kommt, wenn sie im Menschen daseinsbestimmendes Vertrauen weckt und findet.“38 Das wiederum gelingt nur, wenn Gott sich in seiner Heilsrelevanz selbst tragfähig (erfahrbar) zusagt und nicht Produkt menschlicher Gottesspekulation ist. Diese kann nämlich aufgrund ihrer eigenen Grenzen, die mit der Transzendenz gesetzt sind, keine letzte Gewissheit erlangen. „Die Gottesgewissheit soll uns von sich aus und durch sich selbst vergewissern; sie will und soll uns verbindlich und verantwortlich in Anspruch nehmen“, weil „es hier tatsächlich um alles geht, um Heil und Unheil, um Wahrheit oder Lüge“39. Entsprechend geht es beim Gottesbegriff um „einen Beziehungsbegriff, dessen Maß und Norm Gott selbst in dieser Beziehung“40 setzen muss, wenn solche Gottes-Gewissheit erlangt werden soll.
So wird Gott nur als sich selbsterschließendes offenbares Geheimnis zugänglich, dessen Verborgenheit positiv die Eigenständigkeit von Personalität charakterisiert, wobei sich der verborgene Gott der Versuchung menschlicher Vereinnahmung verweigert und damit die wahre – und definitiv zugesagte – Gotteserkenntnis durch den offenbaren Gott ermöglicht. Gottes Verborgenheit impliziert also weder die Undefinierbarkeit Gottes für menschliche Erkenntnis noch die Möglichkeit der rationalen Ableitbarkeit seines Wesens, sondern die notwendige Öffnung für seine Selbsterschließung. Eine resignative Hermeneutik, die meint, über das Wesen Gottes nur schweigen zu können (L. Wittgenstein), ist gegenüber den aufgezeigten Implikationen des Gottesbegriffs also ebenso unangemessen wie eine spekulativ-rationale Hermeneutik, die die Möglichkeit einer Rekonstruktion