Wilfried Kürschner

Grammatisches Kompendium


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– nhd. leben [le<|b«n]; mhdMittelhochdeutsch. tages [ta|g«s] – nhdNeuhochdeutsch. Tages [ta<|g«s]. Die DehnungDehnung unterbleibt in einigen UmgebungenUmgebung.

      Hinweis: Der Terminus »Dehnung« ist mit anderer Bedeutung auch in der Orthographie gebräuchlich (»Kennzeichnung eines gedehnten = langen Vokals«, ▶ Nr. 9.3/11).

      5 MorphologieMorphologie: Lehre vom Bau der Wörter

      5.1 Allgemeines

      In den vorangehenden Kapiteln wurden die beiden Seiten sprachlicher ZeichenZeichen getrennt voneinander betrachtet. In der Morphologie = MorphemikMorphemik wird das Zeichen wieder als Ganzes, als Kombination von AusdrucksAusdrucksseite- und InhaltsseiteInhaltsseite (▶ Nr. 1.1/1 bis 1.1/4), in den Blick genommen.

      Im Folgenden wird zunächst das Minimalzeichen, das als Grundbegriff in der Morphologie eine ähnliche Rolle spielt wie BuchstabeBuchstabe und LautLaut in der GraphemikGraphemik bzw. PhonologiePhonologie (vgl. die Vorbemerkungen oben zu ▶ Nr. 3.2/1 und 4.1/1), analog zu den dort verwendeten Termini als MorphMorph, MorphemMorphem, AllomorphAllomorph bestimmt:

      5.1/1 MinimalzeichenZeichenMinimal-Minimalzeichen

      Zeichen, das nicht weiter in Zeichen zerlegt werden kann.

      Beispiel:

      Das Wort Geister ist im Gegensatz zum Wort Kleister kein Minimalzeichen, da es sich seinerseits in Zeichen zerlegen lässt: Geist (AusdrucksseiteAusdrucksseite: <geist> bzw. /gaíest/ – InhaltsseiteInhaltsseite: ‘Gespenst etc.’) und er <er> bzw. /«r/ – ‘Mehrzahl’). Dagegen ist das Wort Kleister ein Minimalzeichen: Zwar ist seine Ausdrucksseite in kleinere Abschnitte wie <klei> bzw. /klaíe/ und <ster> bzw. /st«r/ zerlegbar, doch haben diese keinen Zeichencharakter, da ihnen keine BedeutungBedeutungen zugeordnet sind. Eine andere Zerlegung der AusdrucksseiteAusdrucksseite von Kleister führt zwar zu Ausdrücken wie <kleist> bzw. /klaíest/ und <er> bzw. /«r/, denen Bedeutungen zugeordnet werden können; diese stehen aber in keinem Zusammenhang mit der Bedeutung des Ausgangswortes, Kleister. Eine solche bloß formale Zerlegung führt zu Gebilden, die gelegentlich PseudomorphemMorphemPseudo-Pseudomorpheme genannt werden.

      5.1/2 MorpheMorph

      MinimalzeichenMinimalzeichen, noch ohne Berücksichtigung ihrer Zugehörigkeit zu einer Klasse gleichwertiger MinimalzeichenMinimalzeichen = zu einem Morphem; kleinste Ausdrucks-Inhalts-Einheiten, in die sich Äußerungen zerlegen = segmentieren lassen.

      5.1/3 MorphemMorphem

      Klasse/Menge von Morphen, die denselben WertWert, das heißt: dieselbe BedeutungBedeutung bei identischer oder ähnlicher AusdrucksseiteAusdrucksseite, haben.

      5.1/4 AllomorphAllomorphe

      Morphe, die demselben Morphem angehören.

      

das Morph, des Morphs, die Morphe

      das Morphem, des Morphems, die Morpheme (Betonung auf -phe(m)-)

      das Allomorph, des Allomorphs, die Allomorphe (Betonung auf -mor(ph)-)

      

Bei Morphen und Allomorphen wird meist nur die AusdrucksseiteAusdrucksseite in graphemischer oder phonemPhonemischer Form (also in spitzen KlammernKlammerspitzespitze Klammer bzw. zwischen SchrägstrichenSchrägstrich) notiert; von allographAllographischer und allophonAllophonischer Variation auf der Ausdrucksseite wird also abgesehen. Die InhaltsseiteInhaltsseite = BedeutungBedeutung wird in der Regel nicht angegeben. Für Morpheme wird meist die (graphemisch-orthographische) Ausdrucksseite eines der zugehörigen Morphe = des Allomorphs bzw. eines der Allomorphe in geschweiften KlammernKlammergeschweiftegeschweifte Klammern notiert ({…}, Beispiele s. u.) – häufig werden die geschweiften Klammern weggelassen, und man notiert die Ausdrucksseite in graphemisch-orthographischer Form, die durch Unterstreichung hervorgehoben wird (die UnterstreichungUnterstreichung wird im Druck, wie im vorliegenden Buch, durch KursivschriftSchriftKursiv-Kursivschrift wiedergegeben). Bei grammatisches MorphemgrammatischenMorphemgrammatisches und anderen Morphemgebundenesgebundenes Morphemgebundenen Morphemen (▶ Nr. 5.3/2 und Nr. 5.3/4) wird häufig der Kategorienname (also nicht die AusdrucksseiteAusdrucksseite eines der AllomorphAllomorphe) notiert, z. B. {Pl(ural)} für die Allomorphe <er, s, e …> bzw. /«r, s, « …/.Morphemgrenzen innerhalb von Wörtern werden durch BindestricheBindestrich markiert.

      Beispiele, vor allem zu Nr. 5.1/4:

      Das MorphemMorphem {Arbeit} hat ein phonisches AllomorphAllomorphphonischesAllomorph, dem ein graphisches AllomorphAllomorphgraphischesAllomorph entspricht: /arbaíet/, <Arbeit>. Das MorphemMorphem {Rad} hat vier phonische AllomorphAllomorphe: /ra<d/ (in Rades, Rade), /ra<t/ (in Rad, Radfahrer usw.), /rQ<d/ (in Räder), /rQ<t/ (in Rädchen), denen zwei graphische AllomorphAllomorphe, <Rad> und <Räd>, entsprechen.

      5.2 Zur Beschreibung der AllomorphikAllomorphik im Deutschenphonologisch determiniertes/konditioniertes Allomorph

      5.2/1 Phonologisch determinierte = phonologisch konditionierte AllomorpheAllomorphphonologisch determiniertes/konditioniertes

      Phonemisch unterschiedene AllomorphAllomorphe eines MorphemMorphems, deren VorkommenVorkommen und Form von der lautlichen = phonologischen UmgebungUmgebung abhängig ist.

      Beispiel:

      Das MorphemMorphem {2.Person Plural} als VerbVerb-EndungEndungVerbEndung hat zwei phonische AllomorphAllomorphe, nämlich /«t/ und /t/ (entsprechend zwei graphische Allomorphe, <et> und <t>). Welches dieser AllomorphAllomorphe im konkreten Fall erscheint, hängt vom AuslautAuslautStammauslaut des VerbstammStammVerb-StammVerbstamms, an den es tritt, ab:

       Das AllomorphAllomorph /«t/ wird gewählt, wenn der VerbstammVerbstamm auf einen der alveolaralveolar/Alveolaren Explosivexplosiv/Explosive = VerschlusslautVerschlusslaute /t/ und /d/ (z. B. /raíet-«t/ <reit-et> bzw. /re<d-«t/ <red-et>) auslautet oder auf eine der Konsonantenverbindungen (nasalische DoppelkonsonanzDoppelkonsonanznasalischenasalische Doppelkonsonanz) /bn/ (/e<bn-«t/ <ebn-et>), /pn/ (/vapn-«t/ <wappn-et>); /tm/ (/vItm-«t/ <widm-et>, /a<tm-«t/ <atm-et>); /gn/ (/ze<gn-«t/ <segn-et>), /kn/ (/trkn-«t/ <trockn-et>); /fn/ (/¿fn-«t/ <öffn-et>, /xn/ (/tsaíexn-«t/ <zeichn-et>).

       Bei allen anderen Gestaltungen des AuslautAuslauts des VerbstammVerbstamms wird das AllomorphAllomorph /t/ gewählt (z. B. /blaíep-t/ <bleib-t>, /baíes-t/ <beiß-t>, /raíetís-t/ <reiz-t>, /lErm-t/ <lärm-t>, /lErn-t/ <lern-t>, /haío-t/ <hau-t> usw.).

      Die Wahl der zwei AllomorphAllomorphe des MorphemMorphems {2.Person Plural} (und des homonymenhomonym/Homonym Morphems {Imperativ Plural}) ist also lautlich = phonologisch determiniertes/konditioniertes Allomorphphonologisch vom AuslautAuslaut des VerbstammVerbstamms bestimmt = determiniert = konditioniert.morphologisch determiniertes/konditioniertes Allomorph

      5.2/2 Morphologisch determinierte = morphologisch konditionierte AllomorphAllomorphmorphologisch determiniertes/konditioniertese

      Phonemisch unterschiedene AllomorphAllomorphe eines MorphemMorphems, deren Vorkommen und Form von der Gegenwart eines anderen MorphemMorphems bzw. dessen AllomorphAllomorph gesteuert wird.

      Beispiel:

      Das MorphemMorphem {Hut} hat zwei phonische AllomorphAllomorphe, /hu<t/, /hy<t/ (entsprechend zwei graphische AllomorphAllomorphe, <Hut>, <Hüt>). /hy<t/ (<Hüt>) wird gewählt, wenn dem MorphemMorphem {Hut} das MorphemMorphem {PluralPlural} (hier in Gestalt des AllomorphAllomorphs /«/) folgt: /hy<t-«/ (entsprechend <Hüt-e>).