von seinem arbeitenden Instrument, dem Knecht, gerät. Er lebt buchstäblich davon, dass der Knecht für ihn arbeitet. Ohne den Knecht ist er nichts. Der Knecht bekommt nur in diesem Kapitel einen prominenten Auftritt, verschwindet aber dann wieder aus der PhänomenologiePhänomenologie.4 Denn im nachfolgenden Kapitel über die VernunftVernunft steht zu lesen:
Damit, daß das Selbstbewußtsein VernunftVernunft ist, schlägt sein bisheriges Verhältnis zu dem Anderssein in ein positives um. Bisher ist es ihm nur um seine Selbständigkeit und FreiheitFreiheit zu tun gewesen, um für sich selbst auf Kosten der WeltWelt oder seiner eigenenEigentum WirklichkeitWirklichkeit, welche ihm beide als das Negative seines Wesens erschienen, zu retten und zu erhalten. Aber als Vernunft, seiner selbst versichert, hat es die Ruhe gegen sie empfangen und kann sie ertragen; denn es ist seiner selbst als der RealitätRealität gewiß, oder daß alle Wirklichkeit nichts anderes ist als es; sein Denken ist unmittelbar selbst die Wirklichkeit; es verhält sich also als Idealismus zu ihr.5
Das „selbständige“6 SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, das sich im KampfKampf mit dem Anderen konstituierte, strebt nunmehr und im Gegensatz zum unselbstständigen und unglücklichen Selbstbewusstsein seiner nächsten Entwicklungsstufe, der VernunftVernunft, entgegen. In der Auseinandersetzung mit dem Anderen war das Selbstbewusstsein negativ bestimmt. Ausfluss dieses Gegensatzes war der Kampf. Dieses Kapitel ist nunmehr geschlossen. Das Selbstbewusstsein hat seine IdentitätIdentität – das meint ja das ‚SelbstSelbst‘ – zunächst ex negativo erlangt, durch die NegationNegation des Anderen. Im nächsten Schritt bezieht es sich lediglich „positiv“ auf sich selbst und erlangt damit seine „Ruhe“. Mit dem Eintritt in die Vernunft ist die OdysseeOdyssee des GeistesGeist beendet, wie das BildBild der Eintracht mit sich selbst, die HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich in der zitierten Passage beschwört, sinnfällig macht.
2.4. KojèvesKojève, Alexandre ‚Re-Vision‘ von HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Konzeption von HerrHerr und KnechtKnecht
Der russisch-französische Philosoph Alexandre KojèveKojève, Alexandre (1902–1968) entwirft eine anthropologische Version der Hegelschen Philosophie, in der der TodTod des MenschenMensch mit dem Ende der GeschichteGeschichte zusammenfällt. Das Ende der Geschichte tritt ein, wenn der Mensch als handelndes, tätiges SubjektSubjekt seine historischen Ziele erreicht hat. Es ist ein HumanismusHumanismus in und durch die Geschichte, der von der prinzipiellen Überwindung der EntfremdungEntfremdung ausgeht:
Die Theologie stellt sich vor, dass der theologische DiskursDiskurs einer ist, in dem der MenschMensch (SubjektSubjekt) von GottGott (ObjektObjekt) spricht, während es ein Diskurs ist, in dem Gott von sich selbst spricht, das heißt vom Menschen, aber ohne es zu wissen.1
KojèvesKojève, Alexandre affirmative und zugleich revisionäre Lesart des Textes, der auf Vorlesungen beruht, die der Philosoph zwischen 1933 und 1939 gehalten hat,2 bricht mit dem in der Textpassage programmatisch verkündeten Idealismus und lenkt das Augenmerk nunmehr auf eine ‚materialistische‘, d.h. historisch-gesellschaftliche Perspektive, die unzweideutig (post-)marxistische Züge trägt. Der Autor denkt dabei nicht nur über den UrsprungUrsprung von HerrschaftHerrschaft, sondern auch über deren ZukunftZukunft nach. Demnach wäre, wie wir noch sehen werden, das Ende der in HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Kapitel beschriebenen Herrschaft des Einen über den Anderen zugleich das von Hegel prognostizierte Ende der GeschichteGeschichte. Denn das Hegelsche Kapitel hinterlässt eine Leerstelle, verschwindet doch die Figur des unterlegenen anderen SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein spurlos wie eine Nebenfigur in und aus einem RomanRoman. Kojève führt diese Nebenfigur wieder ein und macht sie im GeistGeist des MarxismusMarxismus zu einer Hauptfigur, die die entscheidende Wende der Geschichte herbeiführt.
KojèveKojève, Alexandre stellt den Text in unmittelbaren Zusammenhang mit einem berühmten Satz HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich aus einem Brief an seinen FreundFreund und Kollegen Friedrich Immanuel Niethammer:
Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognizieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches IndividuumIndividuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die WeltWelt übergreift und sie beherrscht.3
Der rhetorisch brillante Text, dem die Mündlichkeit des Vortrags noch anzumerken ist, treibt schon sehr bald auf die scheinbar naive FrageFrage zu: „Wer bin ich, wenn ich HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich bin?“4 Diese scheinbar harmlose Frage bekommt eine so naheliegende wie zugleich abseitige und atemberaubende AntwortAntwort:
Ich bin nicht nur ein denkendes Wesen; ich bin Träger eines absoluten Wissens: Und gegenwärtig, im Augenblick, da ich denke, ist dieses Wissen in mir, in HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich, inkarniert. Also ich habe nicht nur ein denkendes Wesen; ich bin auch noch – und vor allem – Hegel. Was ist denn nun dieser Hegel?
Zunächst einmal ein MenschMensch von Fleisch und Blut, der weiß, daß er dies ist. Und dann schwebt dieser Mensch nicht im luftleeren Raum. Er sitzt auf einem Stuhl an einem Tisch und schreibt mit einer Feder auf Papier. Und er weiß, daß all diese Gegenstände nicht vom Himmel gefallen sind; er weiß, daß die ProdukteProdukt ein gewisses Etwas sind, das man menschliche ArbeitArbeit nennt. Er weiß auch, daß diese Arbeit in einer menschlichen WeltWelt vollbracht wird, im Schoße einer NaturNatur, der er selber angehört. Und diese Natur ist in seinem Geiste in eben jenem Augenblick gegenwärtig, wo er schreibt, um auf die FrageFrage ‚Was bin ich?‘ zu antworten. So hört er von Ferne kommende Geräusche; er weiß außerdem, daß diese Geräusche von Kanonenschüssen herrühren, und er weiß, daß auch die Kanonen Produkte von Arbeit sind, diesmal für einen KampfKampf auf LebenLeben und TodTod zwischen den Menschen hergestellt. Darüber hinaus weiß er, daß das, was er hört, die Kanonen NapoleonsNapoleon in der Schlacht von Jena sind; er weiß also, daß er in einer Welt lebt, in der Napoleon handelt.5
Es ist die ‚reale‘ (WeltWelt-)GeschichteGeschichte – in der narrativen Interpretation KojèvesKojève, Alexandre –, die eine Situation herbeiführt, in der HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich, der Philosoph, als der Träger des absoluten Wissens, das jenes um das Ende der Geschichte mit einschließt, möglich wird. Die damit verbundene Unbescheidenheit, die Hegel förmlich auf den Philosophenthron setzt, ist in diesem Denken in ihrem ganzen Aberwitz systemimmanent. Er weiß etwas, das andere Philosophen vor ihm, DescartesDescartes, René oder Plato zum Beispiel, nicht wissen konnten, dass nämlich NapoleonNapoleon nicht nur irgendein Politiker, Heerführer und Herrscher ist, sondern jene Person der WeltgeschichteWeltgeschichte, die ihren Sinn erfüllt. Kritisch gesprochen liegt dieser Erzählung von Hegel und Napoleon, erzählt von Hegel und nacherzählt von Kojève (der 1937 übrigens Stalin an die Stelle von Napoleon setzen wird6) ein Denkmechanismus zugrunde, den Hans BlumenbergBlumenberg, Hans als eine FormForm von historischer Selbstzentrierung analysiert hat. Er spricht von der verführerischen Vorstellung, Weltzeit und eigeneEigentum Lebenszeit zur Deckung zu bringen: „Es spricht sich gut vom Weltgeist, weil der Standpunkt des Sprechenden nur am Ende seiner Geschichte vorgestellt werden kann […].“ Blumenberg fügt indes hinzu, dass der MessianismusMessianismus, der die Offenbarung in die ZukunftZukunft verlegt, eine stärkere DynamikDynamik zu entfalten vermag, als die Hegelsche Formel eines Endes der Geschichte, das freilich nur von einem privilegierten einzelnen, nämlich Hegel, wahrgenommen worden ist.7
Dass sich die GeschichteGeschichte am Ende als eine Geschichte der VernunftVernunft erweist, wäre demnach die Plotstruktur des Hegelschen NarrativsNarrativ. Zugleich ist die Geschichte aber auch von einer letztendlich anthropologischen Setzung bestimmt, die den MenschenMensch als begehrendes und arbeitendes Wesen begreift. ManMan, Paul de kann diese Vorstellung KojèvesKojève, Alexandre als Abwandlung des auf MarxMarx, Karl zurückgehenden Basis-Überbau-Schemas lesen, demzufolge alle menschlichen Beziehungen aus den ökonomischen Bedingungen, dem Wider- und Zusammenspiel von Produktivkräften (TechnikTechnik) und Produktionsverhältnissen (EigentumsEigentum- und Aneignungsformen) abzuleiten sind.
Die Basis, den Unterbau also, bildet die „Gesamtheit der menschlichen Taten, die im Laufe der WeltgeschichteWeltgeschichte vollbracht worden sind.“8 Sie gipfeln in NapoleonsNapoleon militärischem Triumph und in HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie. Der MenschMensch ist Material (Ziegel) und