Wolfgang Müller-Funk

Theorien des Fremden


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KnechtKnecht, auf die europäische Feudalwelt bezogen. Es verweist damit auf ein persönliches Herrschaftsmodell, das durch die verschiedenen DiskurseDiskurs der AufklärungAufklärung, die sozialgeschichtlich mit dem BürgertumBürgertum verbunden sind, kritisch in FrageFrage gestellt wird. Im ZentrumZentrum dieses Denkens, das sich noch in den Werken der deutschendeutsch Klassik von Lessing über den jungen GoetheGoethe, Johann Wolfgang von bis zu Schiller nachzeichnen lässt, steht die Kritik an willkürlicher Obrigkeit, aber auch an der Untätigkeit des adligen Herrn. Das bürgerliche und protestantische Lob der ArbeitArbeit richtet sich gegen den feudalen Herrn. Arbeit wird in der großen Erzählung der BildungBildung des MenschMenschengeschlechtes5 zum Motor menschlicher Selbstentwicklung. Von MolièresMolière Version des Don Juan bis zu Denis DiderotsDiderot, Denis Jacque le Fataliste findet sich ein bürgerliches antifeudales Narrativ, das die philosophische Umkehrung, die Kojève konsequent zu Ende führt, in sich trägt. Hinter dem anmaßenden Herrschaftsgestus des faulen Aristokraten verbirgt sich eine Hilflosigkeit, die den Dienern der Don Quichottes und Don Juans in ihrer Konsequenz entgangen ist und die von Miguel de CervantesCervantes, Miguel de, Molière und Diderot systematisch-komisch aufgedeckt wird.6

      Es ist also durchaus fraglich, und das kommt auch in den Schlussüberlegungen KojèvesKojève, Alexandre zum Ausdruck, ob man den auf Lohnarbeit und KapitalKapital zurückgehenden Klassengegensatz von Bourgeois und Proletarier – so das Marxsche Standardmodell – umstandslos im Sinne des Hegelschen Denkfiguration interpretieren kann.

      Etwas andersAndersheit verhält sich die FrageFrage hinsichtlich der philosophischen Interpretation kolonialer HerrschaftHerrschaft. Es liegt zunächst auf der Hand, den Status des entrechteten kolonisierten SubjektsSubjekt als eine radikale Version des knechtischen Zustandes zu deuten und die Unterwerfung der außereuropäischen Völker im Sinne der Befriedigung, als sieghaftes SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein anerkanntAnerkennung zu werden, zu begreifen. Das ist abgesehen von der politischen ObszönitätObszönität, die in einer solchen heroischen, bis zu einem gewissen Grad heroisierenden Argumentation läge, aus mindestens zwei Punkten problematisch: Denn die GenozideGenozid, die mit der Eroberung und Unterwerfung außereuropäischer KulturenKultur einhergingen, durchbrechen das Argument, dass der HerrHerr im KampfKampf mit seinem Gegenüber dessen LebenLeben schont, um anerkannt zu werden. Vielmehr rechtfertigt sich die koloniale Unterwerfung ja nicht zuletzt darin, dass die indigenen Völker, auf die die bunt zusammengewürfelten Heerscharen europäischer Abenteurer treffen und die ihnen zuweilen erbitterten Widerstand entgegensetzen, von diesen nicht im Hegelschen Sinne als potentielle menschliche Selbstbewusstseine anerkannt werden. Nicht selten wird ihnen bis in die rassistischen DiskurseDiskurs des 20. Jahrhunderts das volle gleichwertige MenschMensch-SeinSein abgesprochen.

      Kommen wir zur letzten Prädikation: Genus und GeschlechtGeschlecht. Zunächst einmal scheint es verlockend, den Geschlechterkampf von MannMann und FrauFrau im Sinne einer HerrHerr-KnechtKnecht-RelationRelation zu interpretieren und den langen KampfKampf der Frauen um Gleichberechtigung als einen Kampf der Frauen um diese AnerkennungAnerkennung zu interpretieren. Mit seiner Penthesilea hat Heinrich von KleistKleist, Heinrich von fast zeitgleich eine Parallel-Erzählung zu HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Kapitel aus der PhänomenologiePhänomenologie vorgelegt. Penthesilea stellt sich dem kriegerischen Kampf auf LebenLeben und TodTod und erzwingt damit etwas, das in der patriarchalen OrdnungOrdnung, die immer eine der Geschlechtertrennung beinhaltet, nicht vorgesehen ist, nämlich dass Frauen kämpfen. In der klassischen Geschlechterprädikation schließen Frau und Krieger/in einander aus.7 Denn die Geschlechterordnung ist traditionell so gefügt, dass die beiden zentralen Bereiche bei Hegel und bei KojèveKojève, Alexandre, ArbeitArbeit und Kampf, der WeltWelt des Mannes zugeordnet sind. Der Mann kommt vom Draußen der Fremde, der Schlacht und der Arbeit, die Frau befindet sich im Innern des Heimes, in dem sie den Heimkehrer empfängt. Pointiert gesprochen: Während der Herr in Hegels Modell kämpft und der Knecht für ihn schuftet, kämpft die Frau nicht, sie arbeitet auch nicht im heroischen Sinne Hegels und Kojèves, denn was sie in der Privatsphäre des OikosOikos tut, ist letztendlich keine vollwertige Arbeit, keine heroische NegationNegation der Welt. Deshalb lässt die Frau des Herrn andere für sich arbeiten und übernimmt das administrative Regiment im Haushalt. Insofern kann sie, strenggenommen, in dem Hegelschen Drama keine Rolle übernehmen oder spielen. Die Ausnahme bestätigt die RegelRegel, wenn sie kurzfristig eine männlichemännlich Rolle besetzt und damit eigentlich die ihr zugeordnete angestammte Position verlässt. Ich – also ein SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein mit BegierdeBegierde nach Anerkennung – werden kann sie erst, wenn sie in der agonalen Begegnung zugelassen wird.

      Es ist erstaunlich, dass in der Diskussion über die Figur des Anderen all diese schon damals brennenden FragenFrage nicht zur SpracheSprache gekommen sind, obschon vom blutigen Algerienkrieg über die anhaltenden sozialen Konflikte bis zu den Diskussionen über das „andere GeschlechtGeschlecht“ diese Fragen gleichsam in der Luft lagen (→ Kapitel 10). Heute wird man das Thema der AlteritätAlterität ohne diese Referenzen kaum diskutieren können. Was freilich bleibt, ist die Einsicht, dass Alterität stets mit der Frage von MachtMacht und AnerkennungAnerkennung verquickt ist, mit Kämpfen, die heute in nahezu allen Bereichen der ‚ZivilgesellschaftZivilgesellschaft‘ im DialogDialog und mit Techniken der Verhandlung ausgetragen werden. Die empirische RealitätRealität, in der es nach wie vor physische KämpfeKampf auf allen Ebenen gibt, mag sich auch in demokratischenDemokratie GesellschaftenGesellschaft andersAndersheit ausnehmen, programmatisch beruht die Zivilgesellschaft unserer Tage indes auf einem solchen dialogischen Verständnis, das den harten und kühlen Interessenausgleich freilich nicht ausschließt. In diesem kulturellen SelbstbildSelbstbild steckt, wenn man so will, ein utopischer Restbestand.

      Es wäre kurzschlüssig, die philosophisch abstrakte Ebene von AlteritätAlterität, ein entgegentretendes potentielles SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, von vornherein auszublenden und zu ignorieren, und damit den mindestens doppelten Aspekt der FrageFrage nach dem/der Anderen zu ignorieren. Hinter der DifferenzDifferenz zwischen dem Anderen, der noch kein Prädikat hat und eine universale Figur ist, und jenem Anderen, der eine klar erkennbare symbolische Markierung, ein Prädikat (GeschlechtszugehörigkeitGeschlechtszugehörigkeit, SpracheSprache, ReligionReligion, TraditionTradition) hat, tut sich ein alter Konflikt auf. Dieser besteht nämlich zwischen einem UniversalismusUniversalismus, der den Unterschieden, die der Andere in sich trägt, gleichgültig gegenübersteht, und einem Partikularismus, der gerade auf die AnerkennungAnerkennung des Unterschiedlichen pocht. Es ist nicht dasselbe, als Schwarzer oder Weißer, als MannMann oder FrauFrau geachtet zu sein, und als MenschMensch, unabhängig von HautfarbeHautfarbe und GeschlechtGeschlecht, anerkannt zu sein.

      Bei KojèveKojève, Alexandre und, wie noch zu zeigen sein wird, bei SartreSartre, Jean-Paul, wird das Verhältnis zum Anderen einseitig unter dem Gesichtspunkt einer FreiheitFreiheit gesehen, die vornehmlich im ZeichenZeichen der NegationNegation steht: Freiheit als UnabhängigkeitUnabhängigkeit vom Anderen, nicht als Gestaltung eines eben unaufkündbaren Verhältnisses. Durch ihre verwandelnde Kraft negiert die ArbeitArbeit die natürliche WeltWelt, indem sie ihre ‚ObjekteObjekt‘ (und dazu gehört auch alles Organische, das nicht ‚MenschMensch‘ ist) in ihrer bisherigen FormForm zerstört und transformiert. Aber auch die BegierdeBegierde ist wesentlich negativ, indem sie die Dinge aufnimmt und verzehrt. Der KampfKampf wiederum zielt auf die reale oder – wie im Falle von HerrHerr und KnechtKnecht – auf die symbolische und soziale Zerstörung des anderen potentiellen selbstbewussten Objekts, das sich mir in die Quere stellt.

      Diese drei Momente, BegierdeBegierde, KampfKampf und ArbeitArbeit, werden dabei als unverzichtbar im Hinblick auf die KonstitutionKonstitution des MenschenMensch als eines metabiologischen Lebewesens betrachtet. Es ist aufschlussreich, wie die Figur des Anderen gerade in diesem Zusammenhang zur SpracheSprache kommt. Das andere (potentielle) SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein wirkt wie ein Hindernis, das geschaffen wurde, um es zu überwinden. Das hängt ganz offensichtlich damit zusammen, dass FreiheitFreiheit programmatisch und ausschließlich als ein Tun bestimmt wird, das sich in der NegationNegation des Anderen und durch sie ‚offenbart‘ zeigt. Die einzige Möglichkeit der Überwindung besteht darin, dieses negative und agonale Verhältnis in einer dialektischenDialektik SyntheseSynthese aufzulösen, in der es streng genommen das Selbe und das Andere, HerrHerr und KnechtKnecht, nicht mehr gibt, weil beide vollständig verschmelzen.

      Die