zum Eigenen verbleibt:
Dieses NichtsNichts leitet seinen UrsprungUrsprung weder von mir selbst noch vom Andern oder von einer Wechselbeziehung zwischen dem Andern und mir selbst her; sondern es ist im Gegenteil ursprünglich die Grundlage jeder Beziehung zwischen dem Andern und mir als persönliches Fehlen einer Beziehung.8
Während Idealismus und RealismusRealismus SartreSartre, Jean-Paul zufolge dieses NichtsNichts gleichermaßen als externe, äußerliche RelationRelation begreifen, möchte Sartre dieses Nichts im Sinne einer internen NegationNegation verstanden wissen, als „eine Negation, die die ursprüngliche Unterschiedenheit des Andern und meiner SelbstSelbst in genau dem Maß setzt, wie sie mich durch den Andern bestimmt und den Andern durch mich bestimmt“.9 In dieser Denkfigur wird die Negation noch einmal dialektischDialektik gewendet. Denn die mit der strikten GrenzziehungGrenzziehung identische Negation führt letztendlich dazu, dass diese mich durch den Anderen „bestimmt“ und umgekehrt. Dass ich nicht der Andere bin, setzt mich demnach als SubjektSubjekt, das von sich sagen kann, dass es Ich ist. Dass der Andere nicht ich sein kann, ist ebenfalls das Ergebnis der Negation.
SartresSartre, Jean-Paul Versuch eines ‚dritten Weges‘ zwischen den idealistischen und realistischen Denktraditionen führt ihn immer wieder dazu, an klassischen SubjektSubjekt-Vorstellungen festzuhalten und damit die Spaltung von KörperKörper und Bewusstsein, die auf DescartesDescartes, René zurückgehende monistische TrennungTrennung zwischen res extensa und res cogitans, aufrechtzuerhalten und zu prolongieren.
Von dieser Warte aus kann er der Hegelschen PhänomenologiePhänomenologie mehr abgewinnen als jener HusserlsHusserl, Edmund oder HeideggersHeidegger, Martin. Dessen „zeitlose DialektikDialektik“ wird ausdrücklich bekräftigt: „Nicht mehr für die Konstituierung der WeltWelt und meines empirischen Ego ist ja die Erscheinung des Andern unentbehrlich, sondern für die Existenz meines Bewußtseins von sich.“10 HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich „geniale Intuition“ besteht demgemäß darin, „daß er mich in meinem SeinSein vom Andern abhängig macht. Ich bin, sagt er, ein Fürsichsein, das nur durch einen Andern für sich ist.“11
Ausdrücklich wird SartresSartre, Jean-Paul Bewusstseinsphilosophie darauf bestehen, dass die körperliche Begegnung, etwa der heterosexuelleHeterosexualität intimeintim Akt in seiner physischen Tatsächlichkeit, das leibliche Zusammentreffen mit dem/der Anderen, gegenüber dieser rein bewusstseinsmäßigen Präsenz alteritärenAlterität Bewusstseins kontingent sei.
An dieser Stelle kommt freilich ohne theoretische Reflexion und höchst indirekt die geschlechtliche DifferenzDifferenz als irritierendes und fremdesfremd Moment ins SpielSpiel. Die BegierdeBegierde nach dem Anderen interpretiert SartreSartre, Jean-Paul von daher als eine Unterordnung unter die eigeneEigentum KontingenzKontingenz, insofern das Bewusstsein „einen andern KörperKörper – das heißt eine andre Kontingenz – als begehrenswert erfaßt“.12 Kontingenz meint philosophisch immer mehr als einen bloßen Zufall, und enthält zudem die Bestimmung, dass es keinen zwingenden GrundGrund gibt: Mein Körper und der des/der Anderen könnten auch andersAndersheit beschaffen sein. Die „Seinstiefe meines Körpers“ besteht für Sartre darin, dass er „dieses fortwährende ‚Draußen‘ meines intimsten ‚InnenInnen‘“ ist.
So ist der KörperKörper ein merkwürdiges Mittelding, halb Gegenstand, halb ‚Medium‘13 meines Bewusstseins und meiner BegierdeBegierde:
Ich existiere meinen KörperKörper: das ist seine Seinsdimension. Mein Körper wird vom Andern benutzt und erkannt: das ist seine zweite Dimension. Aber insofern ich für den Andern bin, enthüllt sich mir der Andre als das SubjektSubjekt, für das ich ObjektObjekt bin.14
„Ich existiere meinen KörperKörper“, das ist nun, wenigstens im Deutschen, eine ganz merkwürdige Formulierung, die mit einer hintersinnigen Bedeutung des aus dem Lateinischen abgeleiteten Wort existieren einhergeht, das es in vielen europäischen SprachenSprache, etwa im Französischen und Englischen, gibt. Die menschliche Existenz, eben die Seinsweise im Sinne der Lehre vom menschlichen SeinSein, besteht demzufolge darin, dass der MenschMensch als ein Lebewesen bestimmt wird, das aus sich heraustritt, und zwar mittels seines Körpers. Aber durch dieses Heraustreten, dass das ‚Drinnen‘ ins ‚Draußen‘ drängt, gerät der Mensch zugleich in eine Fremde, die er nicht mehr zu steuern vermag. Der Andere kommt (in einem geschlechtsneutralen Sinn) mir deshalb ins Bewusstsein, weil er mich sieht. Die sich daraus ergebende SchamScham hat zwei Aspekte: Sie „enthüllt“ mir, dass „ich dieses Sein bin“.15 Zugleich aber bedeutet dieses Gesehen-Werden seiner ganzen LogikLogik nach eine „SelbstentfremdungSelbstentfremdung“16: „Mein Sündenfall ist die Existenz des andern“. Wiederum tritt der Andere als eine InstanzInstanz auf, die mich einschränkt und meiner FreiheitFreiheit beraubt: „Ich erfasse den Blick des andern gerade innerhalb meiner Handlung als Verhärtung und EntfremdungEntfremdung meiner eigenenEigentum Möglichkeiten.“17 Von hier ist es nicht mehr weit bis zum berühmten Diktum aus SartresSartre, Jean-Paul Theaterstück Geschlossene GesellschaftGesellschaft: L’ Enfer c’est les autres, „Die Hölle, das sind die Anderen“.18 Der Andere trägt den „Anteil des TeufelsTeufel“ (André GideGide, André) in sich, er lähmt mich, so wie das KafkaKafka, Franz in seinen RomanenRoman Der Prozeß und Das Schloß beschrieben habe. Durch den Anderen verliere ich die Kontrolle über meine WeltWelt, ich werde ihrer nicht mehr ihrer HerrHerr, sie entgeht mir. Franz K. und K. wären in diesem Sinne exemplarische Gestalten, weil ihre WeltverlorenheitWeltverlorenheit mit dem Ausgeliefert-Sein an den Anderen zusammenfällt.19
SartreSartre, Jean-Paul verwendet den Begriff EntfremdungEntfremdung in einem gänzlich anderen Sinn als der auf MarxMarx, Karl zurückgehende DiskursDiskurs. Marx charakterisiert die SelbstentfremdungSelbstentfremdung des MenschenMensch wie folgt: Die vom Menschen geschaffenen ProdukteProdukt seiner ArbeitArbeit und die Organisation der menschlichen WeltWelt kommen ihm als etwas Äußerliches und Fremdes entgegen, obwohl sie doch eigentlich seine Erfindungen sind. Weil er für Andere und Anderes arbeitet, gehören ihm die Produkte seiner Arbeit nicht, er kann sie nicht als sein Produkt erfahren und genießen. Die Entfremdung in der kapitalistischen Welt ist demgemäß eine durch die GesellschaftGesellschaft und Wirtschaft hervorgebrachte Spaltung von Mensch und Welt. Das politische Versprechen des MarxismusMarxismus bestand gerade darin, dass mit der Überwindung des KapitalismusKapitalismus (auch im Sinne des Hegelschen Modells von HerrschaftHerrschaft) nicht nur der Ausbeutung, sondern auch der Entfremdung, von der alle Menschen, Herren wie KnechteKnecht letztendlich betroffen sind, ein Ende gesetzt werden würde (→ Kapitel 11).
SartresSartre, Jean-Paul Vorstellung ist eine ganz andere und sie hat eigentlich zwei Seiten, wobei die eine auffällig unterbelichtet bleibt. Der Andere, der mich mit seinen Augen sieht, macht mich zum Fremden, Anderen, aber er ermöglicht mir dadurch eine völlig neue FormForm von Reflexion, insofern wäre „EntfremdungEntfremdung“ sogar ein menschlicher ‚Zugewinn‘. Aber viel bedeutsamer ist, dass er in mein LebenLeben eintritt und mich von mir selbst trennt, meine Handlung lähmt oder zumindest beschränkt. Der Blick des Anderen auf mir macht mich plötzlich zum Gegenstand der Wahrnehmung eines Anderen und ich erfahre mich als SubjektSubjekt.
Diese EntfremdungEntfremdung verstärkt sich, wenn die Körperlichkeit und damit die BerührungBerührung ins SpielSpiel kommen. Nicht nur beim Arztbesuch, sondern auch in der intimenintim Begegnung mit einem anderen MenschenMensch erfahre ich meinen KörperKörper als einen entfremdeten. „Mein Körper“, so SartreSartre, Jean-Paul, entgeht mir als ein „Werkzeug unter Werkzeugen“, das zugleich durch fremdefremd „Sinnesorgane“ erfasst und fixiert wird. Sartre beschreibt diese Szene im Sinne „einer konkreten AuflösungAuflösung meiner WeltWelt, die zum Andern hin abfließt und die der Andre in seiner Welt wieder erfaßt“.20
Der Andere enteignet mein Bewusstsein, mein Für-sich-SeinFür-sich-Sein und degradiert so meinen KörperKörper, in den ich mich ebenso verliere wie in den Anderen. Insofern ist das, was die französische SpracheSprache höchst treffend den kleinen TodTod nennt, der Sexualakt, der Inbegriff von SelbstenteignungSelbstenteignung und SelbstentfremdungSelbstentfremdung. Mag SartreSartre, Jean-Paul in seinem Buch auch verschiedene Möglichkeiten der Beziehung zum Anderen erörtern, die LiebeLiebe, die Sprache, den MasochismusMasochismus, die Gleichgültigkeit, die BegierdeBegierde,