Wolfgang Müller-Funk

Theorien des Fremden


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      KojèvesKojève, Alexandre Überlegungen zu HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich enden mit der Darstellung all jener ‚knechtischen‘ Philosophien, die er als Reaktionsformen auf die menschheitsgeschichtliche Konstellation von HerrHerr und KnechtKnecht begreift und die an dieser Stelle nur kurz resümiert werden sollen: Im StoizismusStoizismus wird FreiheitFreiheit als abstrakt in mir befindlich verstanden; eine solche Auffassung erfüllt eine kompensatorische Funktion und macht es möglich, die wirklichen knechtischen Existenzbedingungen als nebensächlich anzusehen. SkeptizismusSkeptizismus und NihilismusNihilismus sind Philosopheme, die das Dasein und seinen WertWert aktiv verneinen, während das ChristentumChristentum, das in gewisser Weise als eine ‚dialektischeDialektik‘ SyntheseSynthese verstanden werden kann, sich eine andere jenseitige WeltWelt mit einem absoluten transzendenten Herrn schafft, der auch den Knecht anerkennt. Damit nimmt Hegel übrigens NietzschesNietzsche, Friedrich Kritik an dem ‚knechtischen‘ Christentum vorweg. Die Französische RevolutionFranzösische Revolution und potentiell der aus ihm hervorgegangene SozialismusSozialismus wären demgegenüber die wirkliche Aufhebung, die „die dialektische Aufhebung sowohl des Knechts wie auch des Herrn vollbringt.“21 Aus dieser LogikLogik ergibt sich ein triadisches Modell der WeltgeschichteWeltgeschichte, jener Weltgeschichte, die in dieser mythischen Denkfigur mit dem KampfKampf als Konstitutionsmoment menschlichen SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein gründet. Sie umfasst

       Die Epoche des Herrn (TheseThese)

       Die Epoche des Knechts (AntitheseAntithese)

       Die Epoche jenseits von HerrHerr und KnechtKnecht

      KojèvesKojève, Alexandre Fortschreibung von HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich GeschichteGeschichte von HerrHerr und KnechtKnecht behält dessen Grundfiguren, NegationNegation und DialektikDialektik bei. Herr und Knecht stehen in einem einander ausschließenden Verhältnis zueinander. Hegels Geschichte, wie sie in der PhänomenologiePhänomenologie erzählt wird, endet mit der Epoche, in der sich das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein durch seinen Sieg über den Anderen konstituiert. Kojève führt die Geschichte insofern fort, als er den dialektischen Umschlag thematisiert, der sich dadurch ergibt, dass der Knecht durch die ArbeitArbeit ein reales Verhältnis zur WirklichkeitWirklichkeit entwickelt, an dem es dem Herrn mangelt. Aber diese Situation ist aus dialektischem Blickwinkel unbefriedigend, weil sie nur eine Umkehrung des negativen Verhältnisses mit sich bringt. Dieses wird in der dritten Epoche ‚aufgehoben‘, wobei die Hegelsche Dialektik sich die Äquivokation des Wortes zunutze macht, dass ja zugleich beseitigen und erhalten bedeutet. In der dritten Epoche, die die SyntheseSynthese der beiden vorangegangenen darstellt, werden, im Sinne eines Endes der WeltgeschichteWeltgeschichte, sowohl die Konfigurationen des Herrn als auch die des Knechtes in einer WeltWelt von freien ProduzentenProduzent und Konsumenten ‚aufgehoben‘.

      Diese Trinität bei KojèveKojève, Alexandre, die freilich schon in HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie am Werk ist, hat eine mythisch-religiöse Dimension, die mindestens auf Joachim von FioreFiore, Joachim von, einen spirituellen Denker am Ausgang des Mittelalters, zurückreicht. Er hat die christlicheChristentum Heilsgeschichte ebenfalls in drei Epochen eingeteilt und damit Hegels Modell der WeltgeschichteWeltgeschichte nachhaltig beeinflusst. Die erste ist durch das Reich des VatersVater, die zweite durch das des Sohnes, die dritte durch das Reich des HeiligenHeilige GeistesGeist bestimmt.22

      Die Konfiguration des marginalisierten Anderen ist hier, zunächst einmal ganz unabhängig von kulturellen Markierungen (wie GeschlechtGeschlecht, EthnieEthnie, ReligionReligion, SpracheSprache, GenerationGeneration), als ein KampfKampf bestimmt, dessen Ziel in der Menschwerdung besteht. Der idealistische Heroismus besteht darin, dass dieser Kampf auf LebenLeben und TodTod biologisch oder materiell keineswegs lebensnotwendig ist, er ist notwendig ‚nur‘ im Hinblick auf eine Menschwerdung, die sich als ein spiralförmiger Bildungsprozess von der sinnlichen Gewissheit, über Bewusstsein und SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, Verstand und VernunftVernunft, zum absoluten GeistGeist hinaufschraubt.

      Warum muss KojèveKojève, Alexandre zufolge die Position des Knechts wie die des Herrn „aufgehoben“ werden? Warum behält nicht dieses Herrschaftsverhältnis das letzte Wort in der WeltgeschichteWeltgeschichte? Bei HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich war diese ‚dialektischeDialektik‘ Wende, wenigstens in der PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist, explizit nicht vorgesehen. Kojève fügt in seiner Nacherzählung Hegels durchaus in dessen Geiste also ein Kapitel an. Aus seiner Philosophie der GeschichteGeschichte lässt sich freilich schließen, dass er das bürgerliche Zeitalter, das ja das feudale, aristokratische Herrschaftsverhältnis von HerrHerr und KnechtKnecht in FrageFrage stellt, als den Abschluss der Weltgeschichte angesehen hat, zunächst in Gestalt des Siegers von Jena, später in der historischen Konfiguration des autoritären preußischen Staatswesens. In der Phänomenologie des Geistes bleibt indes Platz nur für das siegreiche SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, das sich nach der Erledigung des Anderen zu einer selbstherrlichen vernünftigen Daseinsform aufmacht.

      Dass der KnechtKnecht danach trachtet, seine nachteilige Position zu verbessern oder zu transzendieren, liegt im Wesen der Sache und erklärt die Herausbildung jener ‚knechtischen‘ Philosophien, die HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich diskutiert (StoizismusStoizismus, SkeptizismusSkeptizismus, ChristentumChristentum). Wie das Beispiel des Christentums sinnfällig macht, trachtet der Knecht nach jener AnerkennungAnerkennung als selbstbewusstes menschliches Lebewesen, die ihm angesichts des etablierten Herrschaftsverhältnisses vorenthalten wurde. Ihm blieb die entscheidende Befriedigung seiner BegierdeBegierde demnach versagt.

      Wie KojèveKojève, Alexandre an einer Stelle anführt, ist die HerrschaftHerrschaft für den Herrn, entgegen ersten Augenscheins, eine „existentielle Sackgasse“.23 Das hat für Kojève zwei wesentliche GründeGrund: Zum einen ist der Status der erhaltenen AnerkennungAnerkennung, den der HerrHerr durch den KnechtKnecht erfährt, letztendlich unbefriedigend. Denn sie erfolgt ja seitens eines Anderen, der nicht den Status des SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein erlangt hat. In einem tieferen Sinn beruht Anerkennung aber darauf, von meinesgleichen als MenschMensch, das heißt als ein selbstbewusstes, begehrliches intelligentes Lebewesen anerkannt zu werden. Aber weil infolge des heroischen KampfesKampf der Andere auf einen knechtischen Status herabgedrückt worden ist, kann er nicht dieser Andere, dieses Vermittlungsglied sein, mittels dessen sich Selbstbewusstsein konstituieren kann. Was der Knecht unter dem Druck von LebenLeben und TodTod anerkennen muss, ist vornehmlich seine Unterordnung.

      Zum anderen aber bedeutet die Existenzweise des Herrn einen letztendlichen entfremdeten Zustand. Mag er noch so ungehindert seine BegierdenBegierde dadurch befriedigen, dass sie ihm ein anderer durch seine ArbeitArbeit verschafft, so ist seine ‚Arbeitslosigkeit‘ eine Reduktion des Menschenmöglichen. Tendenziell wird das siegreiche SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein zu einem Mangelwesen, das sich zu TodeTod amüsiert und jeden Kontakt mit dem ‚realen‘ LebenLeben verloren hat. Im Lichte eines HumanismusHumanismus, in dem der MenschMensch in der gestaltenden Arbeit zu sich kommt, ist der HerrHerr, ungeachtet seiner erlangten FreiheitFreiheit, defizitär (→ Kapitel 11). Schien nämlich zunächst die Arbeit als eine anstrengende Plackerei, die der geschlagene Andere für den Sieger verrichten muss, so erfolgt nun eine dramatische Umwertung der Arbeit als jenes Vermögen, in dem der Mensch in ein erfülltes und konkretes Verhältnis zur WirklichkeitWirklichkeit eintritt. Die Nobilitierung der Arbeit gegenüber dem Müßiggang ist bürgerlichen UrsprungsUrsprung, denn das Besondere und Neue am Bürger ist, dass er selbst arbeitet und in gewisser Weise so (sein eigenerEigentum) Herr und KnechtKnecht in einem oder auch weder Herr noch Knecht ist.24 Und weiter heißt es:

      Die GeschichteGeschichte ist also nichts anderes als die Geschichte der dialektischenDialektik, d.h. der aktiven Beziehung zwischen HerrschaftHerrschaft und KnechtschaftKnechtschaft. Die Geschichte kommt darum in dem Augenblick zum Abschluss, da die SyntheseSynthese von HerrHerr und KnechtKnecht WirklichkeitWirklichkeit geworden ist, nämlich der integrale, heile MenschMensch, der Bürger des universellen und homogenen, von NapoleonNapoleon geschaffenen Staates.

      Die Schreckensherrschaft Robespierres macht den Bürger zum bürgerlichen SubjektSubjekt und bildet die historische Voraussetzung für das Imperium NapoleonsNapoleon, wobei HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich das wahre SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein