konstruierte Lebenswelt mit ihren vielfältigen Bereichen die kulturgeschichtlichen Grundkenntnisse liefert, mit denen die Texte angemessener zu verstehen sind; sei es, dass die aus den Texten generierten ‚Meta-Erzählungen‘ den geschichtlichen Rahmen erzeugen, in den die archäologischen Funde eingeordnet werden können. Diese Informationen sollten eine Basis für die religionsdidaktische Umsetzung bilden und sind damit für den Religionsunterricht unverzichtbar. Leider werden diese Bereiche im Rahmen der Ausbildung bisher sehr stark vernachlässigt und in Zukunft möglicherweise im deutschsprachigen Bereich sogar ganz wegfallen.
Leseempfehlungen
Obermann, Andreas, Steine erzählen Geschichten … Unterrichtseinheiten zum Religionsunterricht rund um die Biblische Archäologie für das 3. und 4. Schuljahr. Düsseldorf 2009.
Schefzyk, Jürgen/Zwickel, Wolfgang, Judäa und Jerusalem. Leben in römischer Zeit. Die Welt und Umwelt der Bibel erschlossen und vorgestellt mit Schätzen aus Israel. Stuttgart 2010.
Schroer, Silvia, Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient. Eine Religionsgeschichte in Bildern 1–4. Bisher Bde. 1–3. Fribourg 2005, 2008, 2011. Der 4. Band erscheint voraussichtlich 2018/19.
Themenheft „Landnahme Israels“. Religion betrifft uns (2/2015).
Tilly, Michael/Zwickel, Wolfgang, Religionsgeschichte Israels. Von der Vorzeit bis zu den Anfängen des Christentums. Darmstadt 22015.
Vieweger, Dieter, Archäologie der biblischen Welt. Gütersloh 2012.
Ders. et al., Das Geheimnis des Tells. Eine archäologische Reise in den Orient. Mainz 2005. (Archäologie für Kinder von 10–12 Jahren).
Zwickel, Wolfgang, Einführung in die biblische Landes- und Altertumskunde. Darmstadt 2002.
Ders., Die Welt des Alten und Neuen Testaments. Ein Sach- und Arbeitsbuch. Stuttgart 22002.
Ders., Leben und Arbeit in biblischer Zeit. Eine Kulturgeschichte. Stuttgart 2012.
Ders. et al. (Hg.), Herders Bibelatlas. Freiburg i.Br. et al. 2013.
Zeitschrift „WUB“. Stuttgart ab 1996.
Fußnoten
Vgl. zu einer Kritik der bisherigen Verwendung von Bildern Zwickel, Wolfgang, Bilder zur biblischen Welt in Religionsbüchern. Eine Problemanzeige. Waltrop 1995.
|51|Neutestamentliche Sozial- und Kulturgeschichte der Umwelt Jesu und der frühchristlichen Gemeinden
Susanne Luther
Die antike Welt als ‚fremdes Land‘
„The past is a foreign country. They do things differently there“.[1] Diese Erfahrung machen auch SuS bei der Begegnung mit Zeugnissen antiker Kulturen. Für die SuS wirken die biblischen Texte und die Welt, in der sie verankert sind, fremd: „Das schwierigste didaktische Problem, aber auch die vielversprechendste Aufgabe theologischer Arbeit besteht darin, die Fremdheit der Texte als Chance für den Unterricht zu nutzen und sie zumindest ansatzweise vom Makel des Uncoolseins zu befreien. (…) Texte (…) sollten grundsätzlich als fremde Welten gelesen werden, die wir ganz neu erkunden müssen (…). Wir kennen die Gesetze der fremden Welten nicht, und wir müssen unbedingt damit rechnen, dass die Gesetze und Regeln, die in diesen fremden Welten herrschen, andere sind, als die, die unsere Welt bestimmen. Das Lesen jedes Textes und erst recht das Lesen biblischer Texte muss zu einer Entdeckungsreise werden“.[2] Diese Entdeckungsreise, die auf eine Überwindung der historischen wie kulturellen Distanz zielt, kann durch die Beschäftigung mit dem sozialen und kulturellen Kontext der Verfasser und der Erstrezipienten in der antiken mediterranen Welt erfolgen.
Die Sozial- und Kulturgeschichte untersucht die sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Gegebenheiten, die die frühen Christen und somit die Verfasser der ntl. Schriften geprägt haben. Bereits zu Beginn des 20. Jh.s erschienen Untersuchungen zur antiken Volkskultur und Palästinakunde sowie zur Ausbreitung des frühen Christentums,[3] die formgeschichtliche Schule verortete Textformen und ihre Entwicklung in bestimmten sozialen Situationen („Sitz im Leben“). Einen Aufschwung erlebte die Beschäftigung mit der Sozial- und Kulturgeschichte der Antike im Rahmen der Leben-Jesu-Forschung: Das sozialgeschichtliche Interesse der „Third quest“ gründete in dem Bestreben, Jesus in seinem historischen Kontext zu situieren und somit die Bedeutung der Jesusbewegung und ihrer sozialen und religiösen Botschaft sowie Jesu Stellung zum antiken Judentum und zur Besatzungsmacht besser kontextualisieren zu können. |52|Voraussetzung dafür war die Erforschung der sozialen, kulturellen und religiösen Gegebenheiten und der Lebenswirklichkeit in der jüdischen Gesellschaft des 1. Jh.s n. Chr. im östlichen Römischen Reich. Unter dem Einfluss der „Cultural Turn“ ist seit den 1960er Jahren ein Wandel in der Sozial- und Kulturgeschichte zu erkennen, der die sich parallel zu der Geschichte der politisch-kulturellen Eliten entwickelnde Sicht des ‚kleinen Mannes‘ betont und die Grundlagen einer ‚Geschichte von unten‘ eruiert.[4] Im Bereich der ntl. Wissenschaft wurde verstärkt der prägende Einfluss der historischen Gegebenheiten berücksichtigt und Erkenntnisse der Anthropologie, der Alltags- und Geschlechtergeschichte rezipiert. In diesem Zusammenhang sind v.a. die sozialgeschichtlichen Analysen von G. Theißen[5] sowie E.W. und W. Stegemann[6], der feministisch-befreiungstheologische Ansatz von L. Schottroff[7] und der sozialanthropologische Ansatz von B.J. Malina zu nennen.[8] Die „Context Group“[9] erweiterte den deskriptiven Ansatz der Sozialgeschichte um sozialwissenschaftliche und soziokulturelle, theoriegeleitete Fragestellungen und analysierte die Verhaltensmuster und Einstellungen in antiken Gesellschaften („honor-shame“, „kinship“, „purity codes“, „gender“, „patron-client relationship“ etc.). In den letzten Jahren wurden insbesondere kulturanthropologische Fragestellungen im Rahmen feministischer, postkolonialer, befreiungstheologischer Hermeneutiken vermehrt an die ntl. Texte herangetragen.
Sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte im Religionsunterricht
Aspekte der Lebenswelt
Bereits in der Orientierungsstufe wird die Zeit und Umwelt Jesu thematisiert. Dieses Themengebiet soll die SuS nicht nur in die Beschäftigung mit dem geographischen, politischen und religiösen Kontext der neutestamentlichen Zeit (→ Art. Politische Geschichte und religiöser Kontext), sondern auch in sozialgeschichtliche und kulturanthropologische Fragestellungen der antiken Gesellschaft einführen. Hier spielt die Einordnung Jesu in das antike Judentum (Traditionen, |53|Lehren und Feste) und seine Verortung im Spektrum der religiösen Parteien eine bedeutende Rolle. Aber auch Aspekte des alltäglichen Lebens im Römischen Reich des 1. Jh.s n. Chr. sind zu beleuchten. Die SuS sollen erkennen, dass sich die gesellschaftlichen, sozialen und religiösen Gegebenheiten der Zeit im Leben Jesu und in den biblischen Texten widerspiegeln und dass die Kenntnis des historischen Kontexts zum Verstehen der biblischen Texte beiträgt.[10] Die Lehrpläne unterschiedlicher Bundesländer sehen vor, den „garstigen Graben“ zwischen dem historischen Jesus und dem geglaubten Christus zu thematisieren. Hier kann gerade die Darstellungsweise in den Evangelien eine Hilfe sein, deren Verfasser den historischen Jesus aus der Perspektive des Glaubens beschreiben, ihn aber dennoch im sozialen und historischen Kontext seiner Zeit verorten. Auch Paulus und die Entwicklung der frühen Gemeinden werden in der Sekundarstufe I behandelt. Im RU kann nach Aspekten des sozial- und kulturgeschichtlichen Kontexts der christlichen Missionare und der frühen Gemeinden im Römischen Reich gefragt werden, nach innergemeindlichen Konflikten und deren Auslösern, nach der Einbindung bzw. Abgrenzung der frühen Gemeinden gegenüber dem hellenistisch-römischen bzw. jüdischen Umfeld und der Herausbildung einer frühchristlichen Identität.
Lebensbedingungen der kleinen Leute
Im RU kann die Geschichte der ‚kleinen Leute‘ der Jesusbewegung sowie der frühen christlichen Gemeinden