Kirsten Adamzik

Sprache: Wege zum Verstehen


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ist; daran ist erkennbar, dass dies der Oberbegriff ist. Bei Kind ist das Merkmal Geschlecht nicht spezifiziert, dieses Lexem bildet daher den Oberbegriff zu Junge und Mädchen. Die Bedeutung eines Lexems, den signifié, können wir nun also als ein

      Semem: ein Bündel semantischer Merkmale

      Bündel von Semen betrachten. Dafür benutzt man den Ausdruck Semem.

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      Der Nutzen der Merkmalanalyse

      Welchen Nutzen hat eine solche Aufspaltung der Lexembedeutung in Seme? Einerseits kann man auf diese Weise sehr klar die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Lexemen darstellen. Dies ist besonders deswegen möglich, weil Merkmale, die auf den ersten Blick ganz verschieden zu sein scheinen, als verschiedene Ausprägungen ein und desselben Merkmals analysiert werden. So kann man bei Lebewesen etwa zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen unterscheiden, aber auch mit dem Merkmal ›menschlich‹ und den Ausprägungen ›ja/ nein‹ bzw. ›+/ – ‹ arbeiten. Bei Vorliegen von › – menschlich‹ würde man dann auf einer Ebene tiefer mit dem Merkmal ›± tierisch‹ operieren. Ebenso kann man weiblich und männlich zusammenfassen und wahlweise ›männlich‹ als › – weiblich‹ bzw. ›weiblich‹ als › – männlich‹ definieren.

      Sprachvergleich

      Vor allem erlaubt uns die Methode aber auch, die Lexeme verschiedener Sprachen miteinander zu vergleichen. Sie operieren nämlich häufig mit denselben Semen. Zumindest einige (vielleicht aber auch sehr viele) semantische Merkmale sind bei der sprachlichen Kategorisierung so fundamental, dass wir sogar annehmen können, es handele sich um universale, also in allen Sprachen vorliegende, Merkmale. Dazu gehört höchstwahrscheinlich das Sem ›menschlich‹, denn die Besonderheit der eigenen Gattung gegenüber anderen Lebewesen sprachlich hervorzuheben, entspricht anscheinend einem menschlichen Grundbedürfnis.

      Die Semanalyse kann aber vor allem Unterschiede zwischen Einzelsprachen aufdecken, und auch dafür finden wir in unserem einfachen Beispiel schon einen Beleg, für den wir nur das Französische heranziehen müssen. Dort gibt es nämlich kein besonderes Lexem mit der Semkombination: ›menschlich‹, ›männlich‹, ›erwachsen‹, denn homme entspricht ja sowohl Mann als auch Mensch. Man muss also aus dem Kontext entnehmen, welche Lesart gemeint, welches die aktuelle Bedeutung ist, oder sich mit einem komplexen Ausdruck wie être humain bzw. (être humain) adulte (de sexe) masculin behelfen.

      Systematisierung des Ansatzes: die Komponentenanalyse

      Für die differenzierte Beschreibung des lexikalischen Inventars einer Einzelsprache, aber auch für den systematischen Vergleich des Wortschatzes verschiedener Sprachen wäre es nun sehr nützlich, wenn wir alle Lexeme als Sememe, als Bündel semantischer Merkmale, darstellen könnten. Dabei würden wir dann auch Aufschluss darüber gewinnen, wie ähnlich oder verschieden die vielen Einzelsprachen denn eigentlich sind: Arbeiten sie überwiegend mit denselben Semen und sind nur die jeweiligen Bündelungen, also die Sememe, verschieden, oder gibt es auch (viele) sprachspezifische Seme? Besonders in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat man in der Semantik viele Anstrengungen unternommen, Wortfelder nach dieser Methode zu analysieren. Diese Ansätze fasst man unter der Bezeichnung Merkmal-|72◄ ►73| oder Komponentenanalyse zusammen. Ein bekanntes Beispiel8 für solch eine Analyse betrifft Lexeme für Sitzgelegenheiten im Französischen:

      Das Beispiel der Sitzgelegenheiten

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      Wie man sieht, wird hier die oben schon angedeutete Methode angewandt, Inhaltsbestandteile als Ausprägungen von Semen darzustellen. Für die Beispiellexeme reichen die Ausprägungen + oder – ; zusätzlich wird aber oft die Ausprägung ›irrelevant‹ bzw. ›nicht spezifiziert‹ (unser früheres ›unentschieden‹) notwendig, dargestellt meist durch ± oder Ø. Die einzelnen Seme werden mit einem kleinen ›s‹ symbolisiert und durchnummeriert, die gleichfalls durchgezählten Sememe bekommen den Großbuchstaben ›S‹. Gegenüber normalen Bedeutungsumschreibungen, wie wir sie in Wörterbüchern finden, hat die Darstellungsmethode folgenden Vorteil: Sie zwingt uns zu einer expliziten, vollständigen und kohärenten Beschreibung. Alle bedeutungsverwandten Lexeme werden ›im selben Format‹ beschrieben, und zwar vollständig, und erst dies gewährleistet einen exakten Vergleich.

      Probleme der Analysemethode

      Die Methode wirft aber auch eine Reihe von Schwierigkeiten auf, und tatsächlich sind bislang für keine Sprache größere Ausschnitte des Wortschatzes auf diese Weise beschrieben oder gar zweisprachige Wörterbücher nach diesem System erstellt worden. In neuerer Zeit ist man sogar insgesamt von dieser Methode der Bedeutungsbeschreibung wieder abgekommen. Wir wollen im Folgenden klären, wo ihre Probleme liegen und konzentrieren uns dabei auf zwei Aspekte. Einerseits fragt sich, ob die Komponentenanalyse tatsächlich fein genug zwischen bedeutungsverwandten Ausdrücken unterscheiden kann und alle relevanten Differenzierungsmerkmale erfasst. Andererseits kann man daran zweifeln, dass eine Inhaltskomponente tatsächlich mit Hilfe der Ausprägungen +, – und ± bestimmt werden kann. In traditionellen Wörterbuchbeschreibungen heißt es nämlich stattdessen – und dies ist wahrscheinlich kein Zufall – oft, ein bestimmtes Merkmal sei ›mehr bzw. weniger‹, ›meistens oder selten‹ gegeben und dergleichen. Dies ist auch bei beiden Beispielen aus Kapitel 10 der Fall (vgl. Textbeispiel |73◄ ►74| 11). Bei weiß heißt es u.a. (Lesart 2a) ›sehr hell aussehend‹, bei Sack ›größeres Behältnis‹.

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      14 Die so genannten Synonyme I: Denotation und Konnotation

      Eng bedeutungsverwandte Ausdrücke

      Unsere Paradebeispiele für die Komponentenanalyse – die zitierten Analysen der Personenbezeichnungen und der Sitzmöbel – sind insofern problematisch, als sie jeweils nur wenige Lexeme berücksichtigen und gerade besonders eng bedeutungsverwandte Ausdrücke beiseite lassen. Ein bestimmtes Wesen ist in der Regel entweder Mann, Frau, Junge oder Mädchen, wählen kann man also nur zwischen einem dieser Ausdrücke und den Oberbegriffen Mensch bzw. Kind. Es gibt aber noch eine große Menge weiterer Lexeme, die man wahlweise einsetzen kann, um auf ein und dasselbe Wesen (bzw. die entsprechende Gruppe) zu referieren, Ausdrücke also, die quasi synonymisch sind. Demonstrieren wir dies lediglich an dem Ausschnitt für nicht-erwachsene Personen. Dafür erweitern wir zunächst die Lexemliste:

      Nicht-erwachsene Personen

      – Kind, Kleinkind, Baby, Säugling, Gör(e), Balg, Kids, Teenie

      – Mädchen, Mädel, Maid, Dirn, Girlie

      – Junge, Knabe, Bub(e), Bengel, Bursche

      Referenzielle/ denotative Bedeutungsebene

      In der ersten Gruppe, bei den geschlechtsunspezifischen Bezeichnungen, gibt es offenbar noch ein eindeutiges Differenzierungsmerkmal, nämlich das Alter. Offenbar reicht › – erwachsen‹ zur Abgrenzung nicht aus: Kleinkind, Baby und Säugling referieren auf jüngere Kinder, Teenie sollte nur für Kinder von mindestens (drei)zehn Jahren gebraucht werden können. Dieses Differenzierungskriterium ist, ebenso wie das Geschlecht, sehr leicht nachvollziehbar; es betrifft nämlich bestimmte Eigenschaften der Referenten, und zwar Eigenschaften, die ihnen objektiv zukommen. Sie dienen zur Unterscheidung von Gegenstandsklassen in der Wirklichkeit, und das war ja auch der Ausgangspunkt unserer Überlegungen: Worauf, auf welche Klasse von Objekten kann man mit dem Lexem referieren? Diese Art von Differenzierungsmerkmalen betrifft die referenzielle oder denotative Bedeutungsebene (zu lateinisch denotare ›bezeichnen‹), und auf ihre Herausarbeitung ist die Komponentenanalyse konzentriert. Was jedoch macht man mit bedeutungsverwandten Ausdrücken wie Kinder und Kids oder Junge, Knabe, Bub? Sie haben nämlich jeweils dieselbe referenzielle Bedeutung, es |74◄ ►75| lässt sich kein denotatives Merkmal finden, das sie gegeneinander abgrenzen würde. Und was unterscheidet ein Gör von einem Kind, ein Mädchen von einem Mädel und einem Girlie? Offensichtlich kommen hier andere Differenzierungskriterien