3: unauffälliges Karyogramm a) einer Frau (Originalaufnahme) und b) eines Mannes (Schema) (Sonnleitner / Rojacher 2009, 56)
Zum weiteren Verständnis der chromosomalen Grundlagen ist die Betrachtung von Meiose und Mitose wichtig.
Mitose
Der menschliche Lebenszyklus beginnt mit der befruchteten Eizelle (Zygote), die die beiden haploiden Chromosomensätze der mütterlichen und väterlichen Zelle trägt. Durch unzählige Zellteilungen (Mitose) entwickelt sich ein Mensch mit unermesslich vielen Körperzellen. Aufgrund der Replikation erhält jede Tochterzelle Chromosomen mit genetisch identischer Information.
Meiose
Zur Bildung der Keimzellen erfolgt die Meiose, auch Reifungs- oder Reduktionsteilung genannt. Dabei wird die Anzahl der Chromosomen auf die Hälfte reduziert, um zu vermeiden, dass – wie in der mitotischen Teilung – bei einem diploiden Satz von 46 Chromosomen bei der Befruchtung eine Verdopplung auf 92 stattfindet. In der Meiose findet durch die zufällige Verteilung das Crossing-Over (Austausch) der Chromosomen bzw. der Geninformationen und die damit verbundene Neukombination der Gene statt. Dadurch entsteht eine genetische Vielfalt.
Zusammenfassung Mitose und Meiose
Mitose: In der Mitose erfolgt die Vermehrung der Zellen; es entstehen zwei erbgleiche Tochterzellen.
Meiose: In der Meiose kommt es zur Reduktion des diploiden auf einen haploiden Chromosomensatz, um zu vermeiden, dass sich die Anzahl der Chromosomen bei der Befruchtung verdoppelt. Dazu muss der diploide Chromosomensatz auf einen haploiden halbiert werden, dies geschieht durch eine besondere Form der Zellteilung, der Meiose (Bils / Brixius 2011, 29ff.; Reece et al. 2016, 326ff. ).
Chromosomenaberrationen
Im Kontext von Meiose und Mitose können numerische (die Anzahl betreffende) oder strukturelle (die Struktur betreffende) Fehler bei der Chromosomenverteilung auftreten, die zu vielfältigen Krankheitsbildern führen können. Diese können sowohl in den Autosomen als auch in den Gonosomen auftreten (Steffers / Credner 2011, 13ff.; Sonnleitner / Rojacher 2009, 58ff.).
Numerische Aberrationen – Abweichungen in der Anzahl der Chromosomen: In Mitose und Meiose können Fehler auftreten, sodass sich die gepaarten Chromosomen nicht trennen; es kommt zur sogenannten Nondisjunction, z. B. wenn sich ein Chromosomenpaar nicht trennt und die Chromosomen auf die Tochterzellen fehlverteilt werden. Daraus können Monosomien (Chromosom liegt nur einmal vor) und Trisomien (Chromosom liegt dreifach vor) entstehen. Syndrombezeichnungen weisen häufig auf die vorliegende Fehlverteilung hin; z. B. ist bei der Trisomie 21 das Chromosom 21 dreifach vorhanden.
Strukturelle Aberrationen – Abweichungen in der Struktur der Chromosomen: Es kann zu Chromosomenbrüchen und -verlusten kommen, dabei kann zwischen Deletion, Duplikation, Inversion sowie Translokation unterschieden werden (Tab. 3). Auch hier weisen Syndrombezeichnungen auf die vorliegende strukturelle Aberration hin, z. B. bedeutet ein q, dass der lange Arm des Chromosoms und ein p, dass der kurze Arm des Chromosoms betroffen ist (z. B. 5p-minus-Syndrom, 7q-Syndrom).
Tab. 3: Chromosomenaberrationen
Deletion | Fehlen eines Chromosomenabschnitts; Verlust von genetischen Informationen |
Duplikation | zweifaches Vorhandensein eines Chromosomenabschnitts |
Inversion | Umkehrung der Chromosomenabschnitte |
Translokation | Verlagerung von Chromosomen bzw. -teilen auf andere Chromosomen balancierte Translokation: genetische Informationen bleiben konstant unbalancierte Translokation: genetische Informationen gehen verloren |
autosomal und gonosomal
Chromosomenfehlverteilungen können sowohl in den Autosomen als auch in den Gonosomen auftreten: Autosomale Aberrationen entstehen durch eine Fehlverteilung der Chromosomen 1–22 während der Meiose, gonosomale Aberrationen hingegen durch eine Fehlverteilung der Gonosomen bei der Meiose. Aberrationen in Zahl und Struktur der Gonosomen führen zunächst zu Störungen der Genitalentwicklung, können aber auch das körperliche Wachstum beeinträchtigen. Als häufig auftretende und bekannte Syndrome (Kap. 3.1) sind das Fragile-X-Syndrom, speziell beim weiblichen Geschlecht das Ullrich-Turner-Syndrom (X0-Syndrom), bei dem ein X-Chromosom fehlt, und beim männlichen Geschlecht das Klinefelter-Syndrom (XXY), bei dem ein X-Chromosom zusätzlich zum Gonosomenpaar vorhanden ist, zu nennen (Neuhäuser 2016, 297ff.).
dominant und rezessiv
Bei der Vererbung sind dominante und rezessive Merkmale zu unterscheiden; während dominante Merkmale obligat in jeder Generation auftreten, können rezessive Merkmale mehrere Generationen überspringen.
2.2 Metabolisch verursachte geistige Behinderung
Stoffwechsel
Die im Folgenden besprochenen Syndrome geistiger Behinderung entstehen durch Störungen im Stoffwechsel (Metabolismus); diese können in allen für den Körper und seine Funktionen wichtigen Substanzen und Bausteinen vorkommen (z. B. in Aminosäuren, Proteinen, Kohlenhydraten, Lipiden und anderen Fetten, Purinen etc.). Bedingt werden die Störungen durch Genmutationen, die nicht durch numerische und strukturelle Chromosomenaberrationen zu erkennen sind, sondern ein Gen oder einige zusammenwirkende Gene betreffen. Sie wirken über die Proteine auf den Organismus. Krankheiten können zum einen durch falsch strukturierte Proteine oder Proteinverbindungen (z. B. Mukoviszidose), zum anderen durch verringerte oder falsche Aktivität bestimmter Proteine, z. B. bei Enzymdefekten, entstehen. Dadurch wird der Abbau von Produkten verhindert, die für den Körper giftig sind. Diese sammeln sich im ZNS, in Blut und Gewebe etc. an und können eine Hirnschädigung verursachen. Bei einigen Erkrankungen, die in den ersten Lebenswochen entdeckt und sofort behandelt werden, kann bei strikter Einhaltung einer bestimmten, meist lebenslangen, Diät eine normale Entwicklung erfolgen.
2.2.1 Störungen im Aminosäurestoffwechsel
Aminosäuren sind wichtige Bausteine der Proteine (Eiweiße), die entscheidende Bestandteile fast aller Organe sind. Während der Verdauung werden die Eiweiße in Aminosäuren zerlegt; die frei gewordenen Aminosäuren können zum Aufbau von körpereigenen Eiweißen, z. B. bei Wachstums- und Reparaturvorgängen, dienen.
Phenylketonurie
Phenylketonurie (PKU) ist z. B. eine häufige Stoffwechselstörung, bei der die Aminosäure Phenylalanin nicht ordnungsgemäß abgebaut wird. Das Enzym, das im Normalfall das mit der Nahrung aufgenommene Eiweiß Phenylalanin abbaut, ist nicht funktionsfähig. Dadurch reichert sich Phenylalanin in Blut und Geweben an und kann eine Hirnschädigung verursachen. Bleibt die Erkrankung unerkannt und unbehandelt, führt dies zu einer verzögerten Entwicklung des Gehirns und zur geistigen Behinderung. Wird die PKU jedoch rechtzeitig erkannt und eine spezielle eiweißfreie Diät verabreicht und eingehalten, kommt es zu einer normalen Gehirnentwicklung; d. h. die betroffene Person muss lebenslang konsequent auf Eiweiß enthaltende Nahrung verzichten.
2.2.2 Störungen im Kohlenhydratstoffwechsel
Kohlenhydrate
Kohlenhydrate spielen vor allem als schnell verfügbare Energiequelle eine große Rolle. Sie können der Größe nach in Mono-, Di- und Polysaccharide eingeteilt werden. Bei den Störungen im Kohlenhydratstoffwechsel unterscheidet man Mukopolysaccharidosen, Mukolipidosen und Oligosaccharidosen. Sie verursachen vor allem Funktionsstörungen im Knochenwachstum, in der Skelettentwicklung, können aber auch Gehirn, Leber, Milz etc. betreffen (Neuhäuser 2013, 70ff). Bekannte Störungen des Kohlenhydratstoffwechsels sind z. B. die Galaktosämie und die Mukopolysaccharidosen.
Galaktosämie
Galaktosämie ist eine erbliche Störung im Stoffwechsel der Galaktose. Aufgrund des Fehlens eines bestimmten Enzyms kann die Galaktose nicht im Stoffwechsel abgebaut werden, sodass im Körper schädliche Substanzen angereichert werden. Eine konsequente und lebenslange galaktosefreie