Uta M. Walter

Grundkurs methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit


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Konzept „Kritischer Reflexion“. Kritische Reflexion ist daher der rote Faden, der sich durch alle Kapitel dieses Buches zieht und nach den Zusammenhängen zwischen individuellen und gesellschaftlichen Annahmen fragt, die sich in Handlungsweisen verbergen. Unter dem Vorzeichen kritischer Reflexion werden daher sowohl allgemeine Komponenten methodischen Handelns als auch ausgewählte spezifische Konzepte erläutert.

      Als besondere Anregung und für das Einüben kritisch-reflexiver Fragen sind jedem Kapitel, in Kästen abgesetzt, kritische Reflexionsfragen zugeordnet, die sich zu den jeweiligen Inhalten anbieten. Diese Fragen sind nicht die einzig denkbaren, sondern können und sollen von Studierenden und Lehrenden ergänzt und erweitert werden.

      Das Buch beginnt zunächst mit Ausführungen zum Konzept kritisch-reflexiver Praxis (Kap. 2), bevor Kapitel 3 einen ersten Überblick zu Grundbegriffen des Methodenverständnisses bietet. Die dann folgenden Kapitel beschäftigen sich eingehender mit wiederkehrenden Komponenten methodischen Handelns, wie der Konstruktion und Deutung von Problemen (Kap. 4), Prozessen von Analyse und Planung (Kap. 5), der Umsetzung geplanter Ideen und der Rolle der Improvisation (Kap. 6) sowie Praxen von Dokumentation und Evaluation (Kap. 7). Innerhalb von Kapiteln sowie an deren Ende werden ausgewählte methodische Konzepte beispielhaft verarbeitet und durch Übungen vertieft. So finden sich Darstellungen und Erläuterungen zu Empowerment, Case Management, lösungsfokussierten und narrativen Ansätzen, biografischer Einzelfallarbeit, Kollegialer Beratung u. a . In Kapitel 8 finden Sie zusätzlich Anregungen und Anleitungen für längere Übungen, über die Sie allein oder auch in Gruppen methodisches Handeln ausprobieren, analysieren und reflektieren können. Die didaktischen Vorschläge in diesem Buch sind typischerweise auf begleitete Einzel- und Kleingruppenarbeit ausgelegt, d.h. sie entfalten erst im Prozess gemeinschaftlicher Bearbeitung und Diskussion ihre eigentliche Wirkung. Im Sinne eines solchen dialogischen Lernens sind alle Fragen, Fälle und Übungen als Vorschläge und Inspiration gedacht und – wie das methodische Handeln der Sozialen Arbeit – eben nicht wirklich eine Gebrauchsanleitung.

      2 Reflexive Praxis: (Nach-)Machen und (Nach-)Denken

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      Reflexive Qualitäten spielen im Selbstverständnis Sozialer Arbeit als Profession und Disziplin sowie im praktischen Alltag der Handelnden eine zentrale Rolle. Als Tätigkeit ist Reflexion ein rückbezügliches, vertiefendes Nachsinnen über Denken und Handeln in der Sozialen Arbeit. Reflexion nutzt sowohl analytisches Wissen, das auf kognitive Prozesse zurückgreift, wie auch mimetisches Wissen, das über körperliche Erfahrung und Nachahmung entsteht. Beide Wissensformen dienen dazu, unerwartete Situationen, aber auch gewöhnlich erscheinende Alltagssituationen kritisch in den Blick zu nehmen. Kritische Reflexion bezieht unterschiedliche Traditionen kritischen Denkens ein, um die Annahmen, die individuellen und kollektiven Praktiken zugrunde liegen, in Frage zu stellen. Dabei kommt der Kritischen Theorie als Grundlage kritischer Reflexion zu Fragen von Macht eine besondere Rolle zu.

      „Reflexion“ gehört zu den zentralen Begriffen in Wissenschaft und Praxis Sozialer Arbeit und ist darum auch für die Betrachtung methodischen Handelns unerlässlich. Abgeleitet vom lateinischen Wortstamm „reflectere“ für „zurückbeugen“ tauchen verschiedene Bedeutungsvarianten des Wortes in der Sozialen Arbeit auf. Zum einen wird die Identität Sozialer Arbeit als „reflexiv“ charakterisiert, und zum anderen ist Reflexion etwas, das Studierende und Professionelle „tun“ sollen. „Reflexion“ dient also sowohl als Beschreibung für die Verortung der Sozialen Arbeit als Wissenschaft und für ihr Selbstverständnis als Profession, als auch für das konkrete situationsbezogene Denken und Handeln in der Praxis. Das Hauptaugenmerk dieses Kapitels liegt auf Reflexion als Tätigkeit, aber dennoch lohnt sich zunächst ein kurzer Blick auf die Identität Sozialer Arbeit als reflexive Wissenschaft und Profession, denn nur so erschließt sich die Wichtigkeit des Reflektierens auf der Handlungsebene .

      Die derzeitige internationale Definition Sozialer Arbeit, verfasst im Juli 2014 von der International Federation of Social Workers (IFSW), definiert die Profession und Disziplin wie folgt (in deutscher Fassung):

      „Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein. Diese Definition kann auf nationaler und/oder regionaler Ebene weiter ausgeführt werden“ (DBSH 2016, 2).

      Wer die zentralen Begriffe dieser Definition auf sich wirken lässt, erahnt bereits, dass sich Soziale Arbeit einer Reduktion auf einige wenige Arbeitsformen oder Wissensfelder entzieht. Zu vielfältig und komplex sind die Aufgabenbereiche und Faktoren, die „das Soziale“ als Gegenstand der Arbeit konstituieren, um sich in einfache Rezepturen oder Anleitungen zur Problemlösung – so verlockend sie auch sein mögen – retten zu wollen. Was Soziale Arbeit in dieser komplexen Gemengelage kennzeichnet, ist ihre dauerhafte, reflexive Bewegung im „Dazwischen“. Als Wissenschaft und Profession fokussiert sie auf die wechselseitige Dynamik zwischen Menschen und ihrer Umwelt, zwischen gesellschaftlichen Strukturen und individuellen Bedürfnissen, zwischen Verhalten und Verhältnissen. Dieser doppelte Fokus erfordert eine bewegte und bewegliche Aufmerksamkeit, die typisch ist für die Soziale Arbeit. Zugespitzt formuliert könnte man sagen, dass es eben diese reflexive Bewegung im Dazwischen verschiedener Ebenen und Systeme ist, die den Raum Sozialer Arbeit herstellt und aufrechthält. Insofern sind reflexive Qualitäten wesentlicher Teil der Identität Sozialer Arbeit. Soziale Arbeit als wissenschaftliches Feld ist folgerichtig transdisziplinär verortet. Der Ausdruck „trans-“disziplinär verweist darauf, dass Soziale Arbeit quer zu anderen Disziplinen liegt und aktive Transformationsarbeit leisten muss, um Wissensbestände aus verschiedenen Geistes-, Sozial- und Gesundheitswissenschaften in Beziehung zu eigenen Problemstellungen, Prinzipien und eigenem Wissen zu setzen. Nur durch aktive Bewertungs-, Übersetzungs- und Gestaltungsarbeit generiert Soziale Arbeit aus den Informationen anderer Disziplinen relevantes Wissen für eigene Theorien und Aufgaben. In dieser Rückbezüglichkeit ist Soziale Arbeit als Disziplin daher reflexiv.

      Auch als Profession ist Soziale Arbeit durch die ständige Bewegung im Spannungsfeld und Freiraum zwischen Ebenen und Elementen bestimmt. Sie leistet kreative und kritische Übersetzungs- und Überbrückungsarbeit an den Bruchstellen der modernen Gesellschaft und zwischen Systemen, wie etwa Bildungs-, Justiz- oder Gesundheitswesen, die jeweils ihrer eigenen Logik folgen. Lang etablierte Denkfiguren wie „Person-in-Umwelt“ und „bio-psycho-sozial“ (Kap. 3) spiegeln diese dynamische Verortung der Profession, die sowohl Veränderungen auf individueller Ebene wie auch soziale Reform der umgebenden Strukturen zur Zielrichtung sozialarbeiterischen Handelns macht. Gleichzeitig ist die professionelle Identität Sozialer Arbeit in diesem Spannungs- und Freiraum im „Dazwischen“ immer auch von Paradoxien und Ambivalenzen geprägt.

      Das sogenannte „doppelte Mandat“ ist beispielhaft für die ambivalente und mitunter widersprüchliche Qualität Sozialer Arbeit.

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      Das doppelte