Befugnisse, erhält, nämlich zum einen von staatlichen Institutionen der Gesellschaft und zum anderen von den AdressatInnen der Arbeit. Soziale Arbeit soll ebenso die Interessen des Staates oder der Gesellschaft vertreten, wie auch Bedürfnisse und Ansprüche der AdressatInnen. Diese Doppelung ist strukturell verankert, denn die Praxis der Sozialen Arbeit ist über gesetzliche Aufträge und Finanzierungsstrukturen eingebunden in staatliche Interessen. Daraus erklärt sich auch, dass Soziale Arbeit nicht einfach immer und überall dort sofort tätig wird, wo Menschen Bedürfnisse äußern, sondern am ehesten dort aktiv wird, wo es über gesetzliche Aufträge vorgegebene Strukturen und Finanzierungen gibt. Aus dem doppelten Mandat ergeben sich Spannungen, allen voran die zwischen Hilfeleistung einerseits und sozialer Kontrolle andererseits. Im Feld der Jugendhilfe zum Beispiel ist der doppelte Auftrag des Helfens und Kontrollierens besonders explizit, denn wenn es um die Sicherung des Kindeswohls geht, sind Jugendamt und freie Träger ausdrücklich beauftragt, als Helfer und Wächter zu fungieren. In anderen Arbeitsfeldern ist diese oft als „Grundwiderspruch“ bezeichnete Paradoxie von Hilfe und Kontrolle weniger augenfällig, aber sie ist in allen Feldern präsent, denn auch die Praxis unterhalb offizieller Regularien beinhaltet immer normative Elemente.
Die Ambivalenz des Helfens: „Helfen“ zu wollen bedeutet, Entscheidungen darüber zu treffen, was sein „soll“, was besser oder wünschenswerter wäre, wem und warum deswegen zu „helfen“ sei und oft auch wie das Ziel am besten zu erreichen ist. All diese Vorstellungen sind nicht nur geprägt vom persönlichen Hintergrund der HelferInnen sowie von größeren gesellschaftlichen und kulturellen Diskursen, sondern können der Selbstbestimmung jener, denen „geholfen“ werden soll, auch zuwiderlaufen. „Helfen“ ist darum ein in sich ambivalentes Unterfangen, da die Soziale Arbeit in beständiger Gefahr ist, Erfüllungsgehilfin normativer gesellschaftlich-staatlicher Interessen oder kulturell dominanter Vorstellungen zu sein, sodass sie unter Umständen am Ende mehr zum Erhalt des Status Quo als zum sozialen Wandel beiträgt. Es ist die Unauflösbarkeit dieser Ambivalenz, die die Reflexion zum notwendigen Bestandteil der Profession macht.
2.1.2 Reflexive Professionalität
SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen benötigen das, was Dewe und Otto (2012) als „Reflexive Professionalität“ bezeichnet haben, eine Form des Denkens und Handelns, die stets den (Rück-)Bezug zwischen den Elementen sieht und sucht, und dabei auch das eigene Verhältnis zu anderen nicht aus den Augen verliert. Es ist die Fähigkeit
„[…] Wissen fallspezifisch und in je besonderen Kontexten zu mobilisieren, zu generieren und differente Wissensinhalte und Wissensformen reflexiv aufeinander zu beziehen, [sowie] in Interaktionen mit den AdressatInnen eine Verständigung darüber herbeizuführen, was die je individuelle Problemkonstellation auszeichnet und was aus der Sicht der AdressatInnen Sozialer Arbeit eine angemessene Bearbeitung und Lösung der Problemkonstellation sein könnte“ (Dewe/Otto 2012, 215).
Dafür bewegen sich Professionelle der Sozialen Arbeit hin und her zwischen den konkreten, unsicheren und immer auch einzigartigen Handlungssituationen und dem allgemeineren Wissen, das zum Beispiel in methodischen Konzepten, in Theorien und über empirische Forschung bereitgestellt wird. Sie bedürfen der Fähigkeit der „Multiperspektivität“, d.h. sie müssen stets verschiedene Perspektiven einnehmen können, um die politischen Dimensionen in sozialen Problemen und die gesellschaftlichen Aspekte in individuell lokalisierten Schwierigkeiten zu erkennen und auf die Besonderheit der jeweiligen Situation beziehen zu können.
2.2 Reflexion als Tätigkeit
Angesichts der reflexiven Qualitäten der Profession und Disziplin Sozialer Arbeit ist es kaum verwunderlich, dass die Aufforderung zur Reflexion als Tätigkeit seit vielen Jahren in Studium und Praxis Sozialer Arbeit allgegenwärtig ist. Dennoch ist der Terminus trotz seiner Popularität oft unscharf.
Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet reflektieren das vertiefende Nachsinnen über Erlebnisse, Empfindungen und Erkenntnisse. Es nimmt Vergangenes erneut in den Blick, spürt ihm nach, prüft es und imaginiert Künftiges vor diesem Hintergrund.
Was aber unterscheidet Reflexion von anderen Formen des Denkens, und welche Rolle spielt sie im Kontext von Bildung oder Praxis?
Meta-Kognition: Reflexion als Teil professioneller Tätigkeit und als Teil des Lernprozesses bedeutet, sich das eigene Denken, Sprechen und Tun im Zusammenhang mit situativen und biografischen Faktoren genauer anzusehen. Insofern ist Reflexion eine Form der Meta-Kognition, also eine Art des Denkens über das Denken. Dazu nimmt Reflexion sowohl die kleinen Momente der persönlichen Praxis wie etwa den Verlauf eines Gesprächs in den Blick, als auch die größeren Rahmenbedingungen des Handelns, wie zum Beispiel die Abläufe und Handlungslogik in Organisationen und Institutionen, sowie den gesellschaftlichen Kontext, in den Praxis eingebettet ist. Unerwartete oder neue Situationen bieten besondere Anlässe zum Reflektieren, aber auch Alltagssituationen, die erst einmal ganz gewöhnlich und „normal“ erscheinen, sind wichtige Reflexionsgegenstände, denn gerade das Vertraute und vermeintlich Normale gilt es genauer zu betrachten.
2.2.1 Mimetische und analytische Formen der Erkenntnis
Als eine Form des „Nachsinnens“ greift Reflexion auf das (Nach-) Denken zurück, das in den meisten Bildungsinstitutionen betont wird, aber auch auf das (Nach-)Machen, das in Lernprozessen allgegenwärtig, aber nicht immer bewusst ist. Reflexionsprozesse bieten so die Möglichkeit, sowohl analytische als auch mimetische Formen der Erkenntnis zu nutzen (Abb. 1).
Analytisches Wissen: Analyse bedeutet ursprünglich „Zergliederung“. Orientiert am gedanklichen oder theorie-geleiteten konzeptionellen Rahmen bricht analytisches Denken ein Phänomen auf, zerlegt es in Bestandteile, ordnet die Teile Kategorien zu, identifiziert Abläufe und Faktoren. Analysen sind in der Anlage systematisch und in der Darstellung oft von einem eher distanzierten Ton (vermeintlicher) Objektivität geprägt.
Mimetisches Wissen: Während analytisches Denken vorrangig rational-kognitive Fähigkeiten betont, beziehen sogenannte mimetische Formen der Erkenntnis auch andere, körperlich-physische Dimensionen mit ein. Mimesis bedeutet so viel wie „Nachmachen“ oder „Nachahmen“. Anders als in analytischer Logik, in der ein Phänomen in Bestandteile zerlegt und aus einer gewissen Distanz betrachtet wird, um es besser zu verstehen, fokussiert mimetische Logik jenes Wissen, das sich in und aus dem Machen und Nachmachen ergibt. Als eine Form des Noch-Einmal-Machens beruht mimetisches Wissen nicht nur auf mentalen, sondern immer auch auf körperlichen Aktivitäten und Erfahrungen. Der physische Körper samt Gesten, Haltungen, Sinneswahrnehmungen etc. wird in einer konkreten räumlichen Umgebung aktiv. Die daraus resultierende Form physisch verorteten Wissens ist ein „Be-greifen“, das dem analytischen (Nach-)Denken vorgelagert ist. Es ist praktisches Handlungswissen, das sich aus der zeitgleichen Verwobenheit von Tun und Wissen ergibt. Eine mimetische Orientierung in der Sozialen Arbeit ist „eine Art spontanes und gleichzeitiges Wissen und Tun, und das Begreifen der Welt-als-Ganzes statt Dichotomien von Subjekt und Objekt“ (Saleebey 1989, 558, Übers. d. A.).
Abb. 1: Reflexion zwischen mimetischem und analytischem Wissen
Denken Sie an die vielfältigen Alltagsfähigkeiten und -gewohnheiten, die Sie im Lauf des Lebens erworben haben, aber auch an besondere Kompetenzen. Überlegen Sie: Welche Rolle spielt „nachahmendes Lernen“ in Ihrer Lerngeschichte?
Inwiefern sind sowohl mimetische wie auch analytische Formen des Wissens und Lernens für Reflexionen in der Sozialen Arbeit wichtig? (Zur Erinnerung: „mimetisch“ meint hier Wissen und Lernen, das aus Machen, Nachmachen, Erfahren etc. kommt, und „analytisch“ meint Wissen und Lernen, das über Nachdenken generiert wird). Geben Sie Beispiele.
2.2.2 Reflexive PraktikerInnen
Welches Wissen kommt in professioneller