Bereichen wie Design, Psychotherapie, Architektur oder Ingenieurwesen. Schön kam zu der Erkenntnis, dass professionelle Praxis nicht einfach die unmittelbare Anwendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie sie etwa im Studium erworben werden, ist. Vielmehr kombinieren Professionelle im Alltag Wissen, das aus der Wissenschaft kommt, mit Wissen, das sie in und durch Praxis gewinnen. Sie werden so zu dem, was Schön (1983) „Reflexive PraktikerInnen“ nannte. Mit seinem Modell der „Reflexiven PraktikerInnen“ distanzierte sich Schön von rein technisch-rationalen Bildungsansätzen, die davon ausgehen, professionelle Praxis bestehe allein daraus, Probleme in vorgegebene Kategorien einzuordnen und dann durch die stringente Anwendung bestimmter Techniken zu lösen. Praxis, so Schön, ist sehr viel „sumpfiger“ und unklarer, als es technisch-rationale Modelle vermuten lassen (Schön 1987, 3).
Wissen-in-Aktion: Über ihre Praxis entwickeln PraktikerInnen eine Form von „Wissen-in-Aktion“ („knowledge-in-action“), das ihre Handlungen und Entscheidungen beeinflusst, aber kaum oder nur mühsam artikulierbar ist. Sie haben es „irgendwie gewusst“, „im Gefühl gehabt“ oder „intuitiv so gemacht“. Erst wenn Professionelle mittels Reflexion eine forschend-lernende Haltung einnehmen, wird Wissen-in-Aktion zugänglich und beschreibbar und es entsteht formulierbares Praxiswissen.
Schön unterscheidet bei der forschend-lernenden Haltung ferner zwischen „Reflexion während der Aktion“ („reflection-inaction“) und „Reflexion über die Aktion“ („reflection-on-action“).
Reflexion während der Aktion: Hier geschieht das Reflektieren im Verlauf des Handelns. Ich unterbreche mein Handeln nicht oder nicht wesentlich, sondern bin und bleibe in derselben Situation. Diese Art der Reflexion während des Handlungsverlaufs wird vor allem dann angeregt, wenn Überraschendes meine üblichen Routinen oder Erwartungen „stört“. Überraschendes verweist darauf, dass mein Verständnis- und Erwartungsrahmen vielleicht nicht auf die Situation passt. Anstatt einfach wie gewohnt oder geplant weiter zu machen, nehme ich die Überraschung zum Anlass, meinen nächsten Schritt anzupassen und anders zu gestalten. In diesen Momenten fungieren PraktikerInnen als „MikroforscherInnen“, die über winzige Experimente das, was sie gerade wahrnehmen, mit schon bestehenden Ideen abgleichen. Sie probieren einen nächsten Schritt aus und achten dann darauf, was „die Situation antwortet“ („talk-back of the situation“). Wenn die Antwort oder Reaktion zum gewählten Verständnisrahmen passend erscheint, dann verfolgen sie diesen Weg weiter, wenn nicht, dann probieren sie erneut etwas anderes aus. Ob und inwieweit diese sehr schnell ablaufenden Anpassungsprozesse einer „Reflexion während der Aktion“ tatsächlich bewusst stattfinden oder doch eher außerhalb des Bewusstseins ablaufen, ist allerdings umstritten.
Reflexion über die Aktion: Diese Form der Reflexion findet bewusst und deutlich zeitversetzt von der Aktion statt. Die unmittelbare Situation ist vorbei und jetzt kann ich mir aus der Distanz den Prozess und das Erlebte genauer und mit mehr Ruhe ansehen. Dabei betrachte ich vor allem meine eigenen Entscheidungen und Handlungsweisen noch einmal: Welche Ideen habe ich verfolgt? Inwiefern habe ich diese Situation als vergleichbar mit anderen erlebten Situationen gesehen und entsprechend gehandelt? Gab es kleine Überraschungen, denen ich mit „Reflexion während der Aktion“ begegnet bin? Was fällt mir erst jetzt im Nachhinein auf?
Nach heutigem Stand des Wissens kann diese Form der rückblickenden Reflexion die unbewussten Entscheidungsprozesse vermutlich nur begrenzt „freilegen“. Studien aus der Neurobiologie bestätigen zwar, dass Entscheidungsprozesse vielfach unterhalb der Bewusstseinsebene ablaufen. Inwieweit eine nachträgliche gedankliche Rekonstruktion durch Reflexion diese unbewussten Motivationen aber wirklich zugänglich macht, ist unklar. Vielmehr tendieren Menschen dazu, ihren Handlungen nachträglich sozial und persönlich akzeptierbare Motive zuzuschreiben. Insofern verdeutlicht Reflexion vor allem, welche Interpretationen und Motive uns als sozial und persönlich akzeptierbar erscheinen. Genau diese Annahmen und Konventionen zu hinterfragen ist das Ziel „kritischer“ Reflexion.
2.3 „Kritisch“ reflektieren
Ähnlich wie der Ausdruck der Reflexion ist „kritisch“ eine populäre, aber nicht immer klar umrissene Idee. Im alltäglichen Sprachgebrauch hat „Kritik“ eine negative Konnotation. Da fällt jemand ein negatives Urteil oder geht gar auf die Suche nach etwas, woran er oder sie herumnörgeln kann. Zunächst aber meint Kritik eine dezidierte Auseinandersetzung mit einem Gegenstand anhand transparenter Kriterien. Es werden über bestimmte Maßstäbe Unterscheidungen hergestellt, die dann eine positive, negative, neutrale oder sonstige Bewertung ermöglichen.
In der Philosophie hat Kritik eine lange Geschichte, die eine Vielfalt theoretischer Bezugspunkte für kritisches Denken anbietet. Stephen Brookfield (2011) hat fünf Denktraditionen „Kritischen Denkens“ umrissen, die trotz der Verkürzung in der Darstellung der jeweils komplexen theoretischen Felder für das Verständnis kritischer Reflexion wichtige Impulse geben.
2.3.1 Traditionen „kritischen“ Denkens
Gemein ist den folgenden Traditionen kritischen Denkens, dass sie das Gegebene nicht einfach hinnehmen, sondern auf unterschiedliche Weise in Frage stellen und prüfen. Die Perspektiven unterscheiden sich im Verständnis davon, was „Kritik“ ausmacht. Die Unterscheidungen und Maßstäbe, die angelegt werden, sind daher jeweils anders fokussiert und führen zu anderen kritischen Anfragen (Abb. 2).
Amerikanischer Pragmatismus: In der Tradition des Amerikanischen Pragmatismus, einer philosophischen und soziologischen Denkschule, bedeutet „kritisch“, sich das alltägliche Handeln in der Praxis stets genau anzusehen und durch Experimentierfreude das Verständnis einer Sache beständig zu verbessern. Da Donald Schön in der Tradition des Pragmatismus stand, ist es nicht überraschend, dass sich sein Modell der Reflexiven PraktikerInnen als passend zu dieser Sichtweise zeigt. Auch Teil dieser Denktradition ist die Einsicht, dass soziale Kontexte wesentlich mitbestimmen, welche (Be-) Deutungsrahmen Handlungen erhalten.
Abb. 2: Theorietraditionen kritischen Denkens (nach Brookfield 2011)
Aus der Perspektive des Amerikanischen Pragmatismus ergeben sich kritische Reflexionsfragen wie z.B.:
● Welche meiner Handlungen führen zu erwarteten bzw. unerwarteten Ergebnissen?
● Inwiefern ist das, was ich gerade erlebe, ähnlich dem, was ich schon in anderen Situationen erlebt habe?
● Inwiefern ist es anders als schon Erlebtes?
● Was war überraschend und was sagt mir das über meinen Verständnis- und Erwartungsrahmen?
● In welchen Momenten habe ich mein geplantes oder übliches Handeln angepasst und warum?
● Welche Reaktionen hatte das zur Folge?
● Was war daraufhin meine nächste Handlung und was das Ergebnis?
● Inwieweit verändert sich mein Verständnis- und Erwartungsrahmen?
● Was leite ich aus dem Gesamtprozess für mein professionelles Verstehen und Handlungsrepertoire ab?
Psychoanalyse und -therapie: Die Tradition von Psychoanalyse und -therapie fokussiert darauf, wie Verhaltensweisen und Emotionen, die in der Kindheit entwickelt wurden, die Entwicklung von Poten tialen im Erwachsenenleben hindern oder fördern. „Kritisch“ meint hier primär die Auseinandersetzung mit psychologischen, inneren Prozessen und verinnerlichten Verständnis- und Beziehungsformen. Aus dieser Sicht betrachtet bedarf „Reflexion“ einer systematischen und von den Konzepten der Psychoanalyse informierten Beschäftigung mit inneren emotionalen Dynamiken und Kindheitserfahrungen. Diese Perspektive betont insbesondere die Selbstreflexion der eigenen Biografie für die professionelle Entwicklung, sowie das Wissen um Konzepte wie „Übertragung“ und „Gegenübertragung“, „Widerstand“ und „Abwehrmechanismen“.
Aus der Perspektive der Psychoanalyse und -therapie ergeben sich kritische Fragen für die Reflexion wie z.B.:
● Inwiefern sind (meine) Verhaltensweisen