also jene theoretischen Grundsätze und -regeln, nach denen ich meine zu arbeiten oder nach denen in Organisationen offiziell gearbeitet wird bzw. werden soll.
„Theory-in-use“: ist dagegen die „Theorie-im-tatsächlichen-Gebrauch“ und meint jene Handlungsrationalität, der im Arbeitsalltag de facto und meist stillschweigend gefolgt wird oder die innerhalb von Organisationen mehr oder weniger unausgesprochen die Abläufe bestimmt. Die „Theory-in-use“ ist nicht immer bewusst und lässt sich oft erst aus der genaueren Beobachtung und Befragung des Handelns rekonstruieren.
Schritte Kritischer Reflexion
Für den Prozess der Kritischen Reflexion hat Brookfield (2011) vier Schritte skizziert:
1. Genaue Betrachtung und Beschreibung von Worten und Taten
2. Identifizieren und Prüfen von Annahmen
3. Aktiver Perspektivenwechsel
4. Von Reflexion zurück zu Praxis
Im Folgenden sind für jeden Schritt zur Anregung jeweils Fragen für die unterschiedlichen Ebenen der Praxis Sozialer Arbeit angeschlossen.
Genaue Betrachtung und Beschreibung von Worten und Taten: Die Suche nach Annahmen auf individueller Ebene geschieht z.B. auf der Grundlage von verschriftlichten Situations- oder Fallbeschreibungen, über Audio- oder Videoaufnahmen von Situationen oder Interviews, oder auch über Darstellungen, die auf direkter Beobachtung oder Teilnahme an einer Situation basieren.
Auf der individuellen Ebene beginnt Kritische Reflexion mit Fragen nach Beschreibungen wie:
● Was genau ist da abgelaufen?
● Was habe ich (oder andere) getan, gesagt, gedacht oder gefühlt?
● Worauf habe ich (oder andere) reagiert und worauf nicht?
● Was wollte/will ich (oder andere) erreichen?
Auf der Organisationsebene können neben Beobachtungen, Interviews oder anderen Beschreibungen auch bestehende Texte und Regelungen, wie etwa die Konzeption der Organisation, ihre Selbstdarstellung auf der Webseite, Arbeitsablaufpläne, etc. Gegenstand der Reflexion sein.
Auf der Ebene von Organisationen ergeben sich so erste Fragen wie:
● Wie wird die Arbeit in der Organisation beschrieben?
● Von wem wird sie so beschrieben?
● Welche Ziele und Prinzipien werden benannt?
● Wie sind Abläufe der Arbeit organisiert?
● Welche Worte oder Bilder werden genutzt?
Auf größerer gesellschaftlicher Ebene können auch andere Materialien, wie etwa Medienprodukte zu einer Thematik, genauer in den Blick genommen werden, um die Zusammenhänge kollektiver und individueller Praktiken zu beleuchten.
Auf gesellschaftlicher Ebene lassen sich Materialien zu einem Thema befragen z.B. über Fragen wie
● Von wem wird die Thematik aufgegriffen?
● Wie wird die Thematik dargestellt?
● Wann, wo, wie häufig wird sie dargestellt?
● Welche Worte oder Bilder werden genutzt?
Identifizieren und Prüfen von Annahmen: In diesem Schritt werden die Darstellungen kritisch auf die darin impliziten kausalen, präskriptiven und paradigmatischen Annahmen hin befragt.
Für die Annahmen der individuellen Ebene ergeben sich Fragen wie z.B.:
● Welche Bedeutungen habe ich dem Geschehen zugeschrieben?
● Wie rechtfertige ich das eigene Handeln?
● Welche Zielvorstellungen sind implizit?
● Warum wollte/will ich diese Ziele erreichen?
● Was habe ich als „normal“ oder „erstrebenswert“ gesetzt?
● Welches Menschenbild liegt meinem Handeln zugrunde?
● Welche Idee habe ich davon, warum sich Situationen oder Menschen verändern?
● Welche Rolle weise ich mir und anderen zu?
● Woher kommen meine Annahmen?
● Wie und wo habe ich gelernt, so zu denken?
● Welchen Einfluss hat meine Biografie?
● Welche empirische Grundlage haben meine Annahmen?
● Inwieweit sind meine „espoused theory“ und „theory-in-use“ deckungsgleich oder abweichend von einander?
Für die Ebene kollektiver professioneller Praxen in Organisationen oder Institutionen eröffnen sich ergänzend kritische Fragen wie z.B.:
● Welche Annahmen über menschliches Verhalten sind in den Darstellungen oder Abläufen in der Organisation enthalten?
● Was wird als „normal“ oder „erstrebenswert“ gesetzt?
● Wessen Wissen/welche Art Wissen wird besonders wertgeschätzt, wessen Wissen/welche Art Wissen wird weniger oder gar nicht beachtet?
● Welche Idee darüber, wie Situationen oder Menschen sich verändern, ist in den Darstellungen bzw. Abläufen verborgen?
● Welche Rolle(n) weist sich die Organisation selber zu?
● Welche Rollen werden anderen zugewiesen?
● Wer trifft am Ende die Entscheidungen?
● Inwieweit sind „espoused theory“ und „theory-in-use“ in der Organisation deckungsgleich oder abweichend von einander?
● Welche Rolle spielen Kontextfaktoren, wie z.B. Finanzierungsstrukturen, Hierarchien, politische Vorgaben, erlaubte Zeitfenster etc.?
Auf gesellschaftlicher Ebene lassen sich Fragen an mediale oder andere Darstellungen richten wie z.B.:
● Welche Bilder und Vorstellungen sind dominant?
● Wie werden Menschen(gruppen) oder gesellschaftliche Institutionen repräsentiert?
● Wie werden Worte oder visuelle Darstellungen genutzt, um diese Bilder von Menschen, Institutionen, Stadtteilen etc. herzustellen?
● Welche Annahmen über die „Natur“ des Menschen und menschliches Verhalten sind in den Darstellungen enthalten?
● Wie werden diese Ideen gerechtfertigt?
● Was wird als „normal“ oder „erstrebenswert“ gesetzt?
● Welche Historie haben diese Normal- oder Idealvorstellungen?
● Wer wird in diesen Ideen privilegiert, benachteiligt oder ausgeschlossen?
● Worüber wird nicht gesprochen?
● Wer kommt nicht oder nicht hinreichend zu Wort?
Aktiver Perspektivenwechsel: Auf der Grundlage der kritischen Prüfung der Annahmen werden gezielt mehrere andere mögliche Sichtweisen eingenommen oder ausprobiert.
Für Perspektivwechsel auf der individuellen Ebene sind mögliche Reflexionsfragen z.B.:
● Wie kann das Geschehen anders gedeutet werden?
● Wie deuten andere involvierte Personen (KlientInnen, Angehörige, Freunde, weitere beteiligte professionelle VertreterInnen etc.) die Situation?
● Welche anderen Annahmen über Menschen und ihre Motivationen könnte ich zugrunde legen?
● Welche anderen Rollen kann ich einnehmen, und was bedeutet das für die Rolle meines Gegenübers?
● Welche anderen Zielvorstellungen sind möglich?
● Welche anderen Wege zum Ziel sind denkbar?
● Welche Perspektiven bietet die Fachliteratur