die verschiedensten Wissensfelder. Eva Mayers psychoanalytisch angelegte Diskussion der „Selbstgeburt“ sieht in solchen Konzepten des unendlichen „Spiegelns“ vor allem das Bannen des Materiellen,10 eine Überwindung (von Sterblichkeit) durch Aneignung von Generativität, die sich, so auch die Biologin Elvira Scheich, ebenfalls in den naturwissenschaftlichen Traditionen der Theoriebildung fände.11
Mit zumindest als solchen diskutierten neuen technischen Möglichkeiten stellt sich zunehmend die Frage, wo denn das Lebendige beginne. Wurden Mary Wollstonecrafts [<< 98] Frankenstein und spätere Monster im 19. Jahrhundert von der industriellen Revolution, immer drängenderen Fragen nach der eigenen Identität und schließlich dem bewegten Bild angeregt, so geschieht dies neuerlich mit den aktuellen Technologieentwicklungen. Oder eher werden im Wechselverhältnis zwischen dem Willen zur „Verlebendigung der Technik“ 12 und den entstehenden Möglichkeiten, die Maschine mit dem Digitalen und teils auch dem Biotischen zu vermengen, lebendige Artefakte geschaffen, ohne auf das sterbliche Weibliche der Mutter rekurrieren zu müssen.13
Gleichzeitig erzeugen genetische Technologien und neuere Entwicklungen wie die Synthetische Biologie, die sich in der Lage sieht, biologische Zellen aus chemischen Einzelteilen herzustellen (und beschleunigt durch den Versuch des Genetikers Craig Venter, ein synthetisches Chromosom in ein Bakterium einzuführen und ‚zum Leben zu erwecken‘), eine analytische Entsprechung. Diese besteht in der sprachlichen Wendung, hier nun endgültig ginge es (zumindest den NaturtechnikerInnen und dem Kapital) um „life itself“, das Leben selbst.14
In der Geschlechterforschung wird die Zeugung einerseits, beginnend in den 1970er-Jahren, vorwiegend in ihren Dimensionen als Problem der künstlichen Befruchtung diskutiert. Andererseits richtet sich das Interesse auf einander historisch ablösende frühe bis aktuelle wissenschaftliche Zeugungstheorien als kulturtheoretisches Phänomen, die auf wechselnde Geschlechter- und Gesellschaftsordnungen verweisen (wie etwa von der Urzeugung bis zum Ein- und Zweigeschlechtermodell oder heutiger Merkantilisierung von Gameten und Embryonen). Wie die Geschlechterforschung seit über drei Jahrzehnten zeigt, sind Konzepte der Naturforschung und jeweilige kulturelle Hintergründe untrennbar über die Jahrhunderte mit Zeugungstheorien verknüpft. Auf diesen Aspekten, der Rolle von Geschlecht in verschiedenen Zeugungstheorien in der Naturforschung bis zur extrakorporalen Befruchtung, soll daher im Folgenden der Fokus liegen. [<< 99]
Zeugung in der Naturforschung von der Antike bis zur Moderne:
Flüsse und Ökonomie
Die bereits mit der antiken Mythologie einsetzende symbolische Zuschreibung der Geschlechter zu Logos / Geist einerseits und Materie / Körper andererseits findet in den Vorstellungen der frühen Naturforschung zur Zeugung ihre Entsprechung in der Differenz von Form versus Materie sowie von Hitze und Kälte nach der Temperamentenlehre der Humoraltheorie. Platons Interesse galt noch vor allem der Auflösung des Konfliktes zwischen Einheit und Differenz,15 wie in dem Urmythos von Zeugung und Eros deutlich wird, den er den griechischen Komödiendichter Aristophanes erzählen lässt.16 So habe es ursprünglich drei Geschlechter gegeben, indem immer zwei miteinander einen Kugelmenschen bildeten, zwei weibliche oder zwei männliche oder eine männlich-weibliche Kugel. Ihre Gesichter waren zueinander gewandt, die Geschlechtsteile nach hinten bzw. außen gerichtet. Da sie sich mit Zeus überwarfen, teilte er sie alle in zwei. Nun aber sehnten sie sich nacheinander und suchten und umarmen sich ständig, und kamen dadurch weder zum Arbeiten noch pflanzten sie sich fort. Zeus zeigte Einsicht und setzte ihre Geschlechter nach vorn. Hier liegt der Ursprung des Eros, bei Platon das Begehren nach Vereinigung gänzlich unabhängig von Zeugungsphantasien. Anders als für Platon stellt sich für Aristoteles hingegen mit der Frage nach der Zeugung auch stärker die Frage nach Differenz. Diese ist graduell und drückt sich nach der Philosophin Ingvild Birkhan in der männlichen Dominanz und Autorschaft aus.17
Männlichkeit und Weiblichkeit standen in der Antike nicht in binärer Opposition und waren auch nicht mit Genitalität verbunden,18 sondern mit den sich mischenden Temperamenten, wobei dem Männlichen das feurige und aktive zukommt.19 So wird nach Aristoteles „Über die Zeugung der Geschöpfe“ der allein nährende, die Materie [<< 100] darbietende weibliche Körper vom männlichen ‚Samen‘ befruchtet. Dabei sind diese Begriffe in ihrer heutigen Belegung irreführend, denn der dort so bezeichnete Samen ist reiner Impuls- und Formgeber.20 Begleitet wird die in diesem Konzept enthaltene Aktiv-passiv-Symbolik zugleich von der Gegenüberstellung männlicher Hitze zu weiblicher Kälte, es sei also die Hitze, die der weiblichen Samenmaterie (für Aristoteles das Menstruationsblut) bei der Zeugung zur Entwicklung verhelfe.21
Auch für die erfolgreiche Zeugung im Geschlechtsakt müsse ausreichend koitale Hitze herrschen, indem beide Geschlechter in Wallung sein müssten, heißt es noch in der Spätantike bei Soranus im 2. Jahrhundert in Rom 22 und bleibt Thema noch im 20. Jahrhundert. Bereits in der Antike gab es zwar mit Anaxagoras, Empedocles, Hippocrates und Parmenides Naturphilosophen, die die materielle Entstehung des Fetus sowohl dem männlichen wie auch weiblichen Samen zuschrieben.23 Dennoch wird das Aristoteles folgende Ein-Geschlechter- und Zeugungsmodell der Humoraltheorie von den griechischen Ärzten Galen und Soranus fortgeführt 24 und trägt sich über Paracelsus hinaus bis in die Aufklärung und damit bis zu den Ansätzen der heutigen Biomedizin.25 Und auch christliche wie jüdische Theoretiker behielten Aristoteles’ Verständnis des Männlichen als aktivierendes und formgebendes Prinzip über die Jahrhunderte bei.26
Mit der bürgerlichen Revolution gilt ab etwa dem 18. Jahrhundert das wissenschaftliche Interesse ganz der nicht nur graduellen, sondern qualitativen Geschlechterdifferenz und dies bezieht sich mit der Entwicklung der „Weiblichen Sonderanthropologie“ auch, allerdings leicht verspätet, auf den Prozess der Zeugung.27 In dem Maße, wie nachr [<< 102] evolutionär oder im deutschsprachigen eher biedermeierlich Generativität bzw. später Reproduktivität zunehmend dem ‚Weib‘ und dem Raum des Privaten zugeschrieben wurde,28 schwand das Interesse an der Suche männlicher Anteile an der Zeugung.29
Während in der Antike Spermien und Eizellen nicht bekannt waren, wurde auch nach der Entdeckung der Beteiligung von Gameten beider Geschlechter unter dem Mikroskop bis über die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die Idee des ‚Samens‘ als Energie- und Bewegungsträgers aufrechterhalten, indem der männliche Beitrag nicht als materiell gesehen wurde. Dieser Haltung nach, die heute als epigenetisch bezeichnet wird, betrachtete die Naturforschung seit Aristoteles und bis zu den Arbeiten des Physiologen William Harvey im 17. Jahrhundert den Embryo als in einer graduellen Entwicklung aus unorganisierter Materie aus dem Blut im Uterus oder durch eine Vermengung der Samenflüssigkeit beider entstanden 30