allerdings mit der Realisierung der In-vitro-Fertilisation und der ersten Geburt eines in-vitro-gezeugten Kindes, Louise Brown 1978, wurden die technischen Möglichkeiten der Reproduktion und insbesondere der Zeugung außerhalb des Körpers feministisch überwiegend kritisch diskutiert.
Gerade die Entwicklung der biomedizinischen Positionen zu sogenannter künstlicher Befruchtung zeigen die Verwobenheit gesellschaftlicher Prozesse und wissenschaftlicher Erkenntnis: Wie die Historikerin Christina Benninghaus ausführt, wandelte sich die Insemination zwischen dem erstmaligen Bericht über eine „künstliche Befruchtung“ 86 einer Frau 1865 und den bestverkauften Büchern der Ärzte Herrmann Rohleder und Albert Döderlein 1911 und 1912 über ihre Befruchtungserfolge von einer verpönten Praxis zu einer zwar selten angewandten, aber anerkannten Infertilitätsbehandlung vor dem Hintergrund einer veränderten Wahrnehmung der Bedeutung von Unfruchtbarkeit. „Gesellschaftliche Veränderungen liessen Sterilität zu einem nicht nur individuellen, [<< 110] sondern auch gesellschaftlichen Problem werden. Künstliche Befruchtung erschien einerseits als eine Lösungsstrategie, die gleichermassen dem Rückgang der Bevölkerung entgegenarbeitete und die Geschlechterordnung restaurierte.“ 87 Eine Parallele lässt sich in den biologischen Zeugungskonzepten aufzeigen, indem die zunehmende Ablehnung hermaphroditischer Konzepte und die Heterosexualisierung des biologischen Zeugungsverständnisses von den etwa 1870er-Jahren bis zu den 1920ern politisch begleitet sind von einer auch rechtlichen Festlegung der Geschlechter u. a. mit dem Erlass eines Personenstandsrechts im Zusammenhang mit der Eheschließung 1875, das das Preußische Landrecht, das den Begriff des Zwitters noch kennt, ersetzte.88 In einer Zeit, in der die erste Frauenbewegung und der Rückgang der Zeugungswilligkeit als Maskulinisierung problematisiert und medizinisch in Form der „Genitalhypoplasie“ gefasst werden,89 ist die Naturforschung geradezu besessen von der Geschlechtlichkeit der Zellen.90 Zugleich beginnt im deutschen Sprachraum der Begriff der „Vererbung“ seit den 1880ern die vorherigen, „Erblichkeit“ oder „Zeugung“, zu ersetzen, sodass ererbte Rechte und Besitz mit der Zeugung fixiert werden, mit Körpermerkmalen in eins fallen und per Blutsverwandtschaft Ein- und Ausschlüsse artikuliert werden.91
Auch die verschiedenen geschlechtertheoretischen Perspektiven, die wiederum seit der zweiten Frauenbewegung zur Laborzeugung und anhängigen Möglichkeiten des genetischen Eingriffs entwickelt wurden, spiegeln sowohl die gesellschaftlichen, politischen und technischen Entwicklungen, vor allem aber auch die der Frauen- und Geschlechterforschung insgesamt. Die deutschen feministischen Diskurse zeigten im Kontext der jeweiligen verschiedenen Gesetzgebungsverfahren zur Laborzeugung wie in kaum einem anderen Land eine einhellig kritische Position gegenüber künstlichen Reproduktionsverfahren (in [<< 111] einer Tradition der Frankfurter Schule in der Haltung zu Exzessen aufklärerischen Rationalismus).92 Sie betonten vor allem den Verdacht der Ausbeutung der Frau und ihres Körpers und argumentierten mit inhaltlichen Bezügen auf die einschlägigen feministischen Aktivistinnen Maria Mies, Gena Correa oder die internationale Gruppe Finrrage.93 Ein dominanter liberal-feministischer „Diskurs der Aufklärung“ 94 wiederum vertritt dagegen seit den 1990er-Jahren jeweils in Parlamenten Großbritanniens, Deutschlands und vor allem den USA ähnlich die Position, dass Frauen, da sie nicht allein Opfer kapitalistischer Verblendung seien, wie der marxistisch inspirierte feministische Diskurs suggeriere, in jedem Fall selbst entscheiden könnten und können müssten, ob, wann und wie sie Kinder bekommen wollen.95 Beckmann und Harvey begründen das frühe Erstarken einer liberalen feministischen Position zu neuen Reproduktionstechnologien in den USA in ihrer historisierenden Übersicht 96 damit, dass Frauen sich dort früh als Angehörige oder Patientinnen z. T. für Stammzellforschung oder Infertilitätsbehandlungen einzusetzen begannen 97 oder als Vorreiterinnen im praktischen Umgang mit Gentests am Embryo oder den Gameten fungieren, da sie unter anderem durch die Beratungssituation Hauptverantwortung für die Gesundheit ihrer Kinder auf sich nähmen.98 [<< 112]
Seit Ende der 1990er-Jahre zeigt sich der deutsche Diskurs zu Laborzeugungsverfahren als akademisch etabliert und argumentiert weniger mit der Ausbeutung weiblicher Körper als eher mit gesundheitlichen, technischen und sozialen Risiken;99 Fragen des internationalen Marktes und dominanten ethischen Debatten.100 In einer dritten ‚Welle‘ der vergangenen Jahre wurde Gouvernementalität im Sinne Foucaults stärker als Interpretationsfolie gewählt und AnwenderInnen dabei als im selben Machtfeld sich bewegend wahrgenommen.101 Seither mehren sich international Interviewstudien und internationale Vergleichsarbeiten, die mit soziologischen, anthropologischen oder ethnologischen Methoden Elemente der Praktiken der Laborzeugungsverfahren, wie etwa die Motivation von Frauen zur Eizellspende, vorgeburtlicher Diagnostik oder IVF untersuchen 102 oder die internationale Bewegung von ‚Biomaterial‘ wie Spermien und Eizellen verfolgen.103 [<< 113]
Die Änderung des feministischen Diskurses, der nun weniger die prekäre Rolle des Frauenkörpers auch in extrakorporalen Zeugungsverfahren unterstreicht, sondern auf diskursive Praktiken scheinbar jenseits eines binären Geschlechtskörpers verweist, wurde mitunter als eine postmodern trendgerechte Entsolidarisierung im Sinne der „Entkörperung der Frauen“ als ein Verschwinden von „L / weiblichkeit“ kritisiert.104 Diese Verschiebung reflektiert zugleich die Veränderung im betrachteten Gegenstand, der Zeugungsverfahren und Reproduktionsgenetik.105 Denn einerseits zeigt sich, dass auch der männliche Körper zunehmend in den Blick der Biopolitiken rückt, wie im Zuge der Erweiterung der Andrologie.106 Andererseits stellen die Analysen reproduktionswissenschaftlicher und -medizinischer Praktiken seit etwa der Jahrtausendwende eine Abkehr vom Primat der herkömmlichen fordistischen Mehrung, des Vertriebs und der Kontrolle biologischer Güter zugunsten einer Hinwendung zur zunehmenden molekularen Wertschöpfung des Körpers oder allein zu Potentialen des Eingreifens fest: „postmodern approaches to reproduction are centered on transformation of reproductive bodies and processes“.107 Dabei wird oft die Analyse unterstützt, es gehe hier um „biocapital“ 108 im Sinne einer Ausweitung von Möglichkeiten im Zugriff auf das [<< 114] Material und „life itself“.109 Das mit dem Autopoiesiskonzept postulierte Ineinsfallen von Produktion und Reproduktion wird somit ökonomische Realität. Zugleich wird „Leben“ von Weiblichkeit entkoppelt und eher mit Molekülen und Einzellern verbunden,110 das historische Projekt der Überwindung des Todes 111 durch die Entzifferung der DNA, des Textes des Lebens (in einer Gleichsetzung von Bibel, Gott- / Naturerkenntnis und Genom)112,