Franziska Küenzlen

Themenorientierte Literaturdidaktik: Helden im Mittelalter


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      Unser Band macht daher Vorschläge, wie das Potenzial der ‚mittelalterlichen Helden‘ für den Schulunterricht genutzt werden kann. Dabei wollen wir keine voreilige Identifizierung mit Helden erzielen, sondern anhand von Texten, die zugleich uralt und aktuell, fremd und nah sind, ein Bewusstsein für die semantische Breite des Heldenbegriffs schaffen und das sich daraus ergebende Spannungsfeld didaktisch fruchtbar machen. Den einen Extrempol im Spektrum des Heldenbegriffs nimmt der außerordentliche, einzigartige, übermenschliche Heros ein. Seine grundsätzliche Andersartigkeit, sein unbekümmertes, bisweilen ungebremst aggressives und asoziales Verhalten machen ihn bei aller Bewunderung, die ihm entgegengebracht wird, gleichzeitig auch zum einsamen Außenseiter. Am anderen Ende des Spektrums steht der moderne, gezähmte und zum gesellschaftlichen Vorbild gewordene Held des Alltags. Er hat nichts Einzigartiges an sich, sondern ist gerade dadurch bestimmt, dass er ein Mensch ‚wie du und ich‘ ist und seinen Platz in der Gesellschaft einnimmt, im entscheidenden Moment aber das Richtige, d.h. das gesellschaftlich Wünschenswerte, tut.

      Die Auseinandersetzung mit den von uns gewählten sechs Helden vor dem Hintergrund dieses breiten Spektrums des Heldenbegriffs ist ein didaktisch gewinnbringender Schwerpunkt, da zur Beschreibung des jeweiligen Helden und seiner Einordnung in das Spektrum auch die Bewertung seines Verhaltens tritt. Damit ist die Möglichkeit zu einer kontinuierlichen Anhebung des Aufgabenniveaus bis in den höchsten Anforderungsbereich gegeben. Dass es sich bei den Helden dieses Bandes um Figuren der mittelalterlichen Literatur handelt, macht einen reizvollen Kontrast zu den üblichen Schwerpunktsetzungen im Deutschunterricht aus, der ebenfalls im Sinne der Progression in einer Unterrichtsreihe didaktisch nutzbar gemacht werden kann: Der Perspektivwechsel, der bei der Lektüre literarischer Texte von den Lesern grundsätzlich geleistet werden muss, ist auch bei den von uns gewählten Texten über weite Strecken intuitiv möglich. Die Schülerinnen und Schüler bringen nämlich in der Regel Erfahrungen aus der Lektüre von Abenteuer- und Fantasy-Romanen mit, deren Erzählanlage und motivisches Inventar eine große Schnittmenge mit unseren Texten aufweisen. Erweitert man aber die Unterrichtsreihe um Informationen zum Literaturbetrieb im Mittelalter oder zum historischen Kontext der einzelnen Werke, gewinnt der mittelalterliche Text an Fremdheit. Das Fremdverstehen wird um seine kontextuelle Dimension verfeinert und erfordert auf diese Weise eine differenziertere Bewertung der erzählten Heldentaten in Absetzung von der eigenen, auf der Grundlage moderner Lebenszusammenhänge und individueller Erfahrungen gewonnenen Position.

      Literaturwissenschaftliche Fachliteratur liefert Sachanalysen, welche die Grundlage sinnvoller didaktischer Schwerpunktsetzungen sind, bietet aber in der Regel keine Reflexion hinsichtlich einer didaktischen Verwertbarkeit an Schule und Hochschule. Literaturdidaktische Fachliteratur nimmt die verschiedenen Probleme der Vermittlung von Literatur in den Blick, ist aber selten auf deren eigentliche Inhalte konzentriert. Fertige Unterrichtsentwürfe sind das Produkt einer von einer bestimmten Person unter bestimmten Umständen vorgenommenen didaktischen Reduktion und methodischen Umsetzung. Der Prozess, der zu diesem Ergebnis führt, ist aber meist nur ansatzweise oder verkürzt dokumentiert. Unterrichtshilfen dieses Typs sind daher für Berufsanfänger mit wenig Erfahrung in der systematischen Planung von Unterricht (Studierende, Referendare) wenig hilfreich und verführen zu einer unreflektierten Nachahmung sowie zur Übernahme nicht selbst angeeigneter Unterrichtsinhalte und nicht authentisch vertretener Unterrichtsstile. Themenorientierte Literaturdidaktik setzt bei dieser Situation an: Sie will aktuelle und literaturwissenschaftliche Themenschwerpunkte fachwissenschaftlich fundiert, aber mit einem spezifisch literaturdidaktischen Blick vorstellen, der auch Ausblicke auf eine konkrete Umsetzung im Unterricht einschließt. Die didaktische Feinjustierung und ein Großteil der methodischen Umsetzung können jedoch nur mit Blick auf eine konkrete Lerngruppe in ihrer spezifischen Situation vorgenommen werden und sind daher nicht primäres Anliegen. Angestrebt ist vielmehr, eine solide Basis für die weiterführenden didaktisch-methodischen Entscheidungen zu schaffen.

      Daraus ergibt sich, dass der Band an der Schnittstelle von universitärer Literaturwissenschaft, universitärer Literaturdidaktik und der konkreten Umsetzung in der Schule angesiedelt ist. Er hat einen didaktischen Schwerpunkt; methodische Entscheidungen werden nachgeordnet behandelt. Unser Zielpublikum sind also Lernende und Lehrende an Universitäten, Studienseminaren und Schulen. Jede dieser Gruppen hat spezifische Bedürfnisse, auf die unser Band mit folgenden Angeboten reagiert:

      Zu Beginn des Prozesses der didaktischen Reduktion steht die sachlich fundierte Auswahl eines Lerngegenstandes. Lehramtsstudierende der Germanistik erhalten in diesem Band eine Einführung in für den Einsatz in der Schule grundsätzlich geeignete epische Texte des Mittelalters, mit deren Hilfe sie ein passendes Werk für ihre zukünftigen konkreten Lerngruppen auswählen können. Der Vorteil gegenüber herkömmlichen Inhaltsangaben oder Einführungen ist die vergleichende Präsentation mehrerer Epen unter dem ‚Heldenblickwinkel‘: Zentrale Texte der mittelhochdeutschen Literatur werden nicht isoliert betrachtet, sondern mit einer ersten didaktischen Schwerpunktsetzung interpretiert und zueinander in Beziehung gesetzt. Die einzelnen Kapitel stellen den Text ins Zentrum und bauen Hinweise auf den Stand der Forschungsdiskussion nur sparsam ein. In die bibliographischen Angaben haben wir aber – sofern vorhanden – jeweils eine Monographie neueren Datums aufgenommen, die entweder eine ausführliche Bibliographie enthält oder über deren Literaturverzeichnis schnell an die einschlägige Forschungsliteratur zu gelangen ist. Dank dieses einführenden Charakters kann der Band auch allgemein von Studierenden der Germanistik sinnvoll genutzt werden.

      Innerhalb der Kapitel zu den einzelnen Helden setzt sich die Didaktisierung (Was wähle ich warum und wozu aus?) weiter fort, indem für den didaktischen Schwerpunkt ergiebige Szenen ausgewählt, zweisprachig präsentiert und durch Zusatzinformationen detailliert erschlossen werden. Die Übersetzungen der Originalzitate stammen von uns, um ein sicheres Verständnis im Zusammenhang mit unserem didaktischen Schwerpunkt zu gewährleisten. Dadurch ergibt sich eine durchgängige Problemorientierung (Darstellung des Helden, kritisches Hinterfragen seines Verhaltens), die bei der Umsetzung in eine Unterrichtsreihe an der Schule für die Schüler und Schülerinnen die Ziele sowohl der einzelnen Unterrichtsstunden als auch der gesamten Reihe transparent macht. An dieser Stelle ergeben sich auch Ausblicke für die methodische Umsetzung: Die Anordnung der ausgewählten Szenen in den Einzelkapiteln weist auf einen uns geeignet erscheinenden Aufbau der Unterrichtsreihe hin. Die Länge der zweisprachig präsentierten Textausschnitte und der dazugehörigen erschließenden Kommentierung lassen erkennen, ob dafür eine Einzelstunde oder eine Doppelstunde einzuplanen ist. Die Kapitelstruktur gibt also grundsätzlich Hinweise auf die Phasierung einer Unterrichtsreihe bzw. -stunde.

      Eine konkrete didaktisch-methodische Umsetzung lässt sich auch in universitären Zusammenhängen realisieren: Ein Referat zu einem der von uns vorgestellten Texte kann in Form der Gestaltung einer Seminarsitzung mit Einstieg – Problematisierung – Erarbeitung – Auswertung/Sicherung – Vertiefung geplant und durchgeführt werden, wobei die didaktische Feinjustierung sowie die konkrete methodische Umsetzung mit Blick auf die Lerngruppe (Lehramtsstudierende der Germanistik) erfolgen sollte. Der Band eignet sich also auch für Seminare der universitären Literaturdidaktik, da auf seiner Grundlage sowohl die didaktische Erschließung einzelner Texte als auch vergleichende Aspekte und grundsätzliche unterrichtsplanerische Techniken in den Blick genommen werden können.

      Die didaktischen Hilfestellungen, die der Band bietet, können auch von Referendarinnen und Referendaren sowie von Studierenden im Praktikum genutzt werden. Diese haben den Vorteil, ihre geplanten Stunden und Reihen an tatsächlichen schulischen Lerngruppen erproben zu können. Fachleiterinnen und Fachleiter können auf der Grundlage des Bandes das Repertoire der in den Fachseminarsitzungen zur Sprache kommenden Texte erweitern oder auch Ausbildungsaufgaben wie zum Beispiel eine Sequenzplanung stellen. Lehrerinnen und Lehrer können das vorgestellte Material nicht nur für die eigene Unterrichtsplanung, sondern darüber hinaus auch für fächerübergreifende Projekte vor allem mit dem Fach Geschichte nutzen. Der Schwerpunkt des Bandes liegt jedoch auf der literaturdidaktischen Erschließung von für den Schulunterricht viel zu wenig genutzten Texten.