Franziska Küenzlen

Themenorientierte Literaturdidaktik: Helden im Mittelalter


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altgermanischen Ehre. Diese heidnische Ehre befiehlt dem Manne, sich nichts bieten zu lassen, kein Recht preiszugeben, seinen Ruhm unvermindert ins Grab zu nehmen; in unbeugsamem Trotze in den Tod zu gehen, ein Lachen auf den Lippen; sie macht ihm zur obersten Pflicht die Rache für die eigene Kränkung und für den Tod des Angehörigen; sie gebietet dem Gefolgsmanne, mit freudigem Stolze für den Herrn zu sterben. […] Urväterhort mögen diese Sagen mit Recht heißen: den Alten haben sie ihr Kriegerleben verklärt; dem Nachkommen sind sie das Vermächtnis, woraus ihm die Stimme der Vorzeit vernehmlich entspringt.“ (Heusler / Koch 1905: 5)

      Bei Heusler wird, wie bei Schlegel und Roethe, die Gegenwart auf eine ‚heroische‘ Tradition verpflichtet, aus der Werte wie Ehre, Treue und Todesbereitschaft abzuleiten seien. Die Textausgaben von Heldendichtungen und Heldensagen, die der Grimmschen im 19. Jahrhundert folgten, sind bislang noch nicht systematisch zusammengestellt und gedeutet.2 Reihentitel von Büchern mit Heldensagen wie Jugend- und Hausbibliothek oder Leitfaden für den ersten Geschichtsunterricht an höheren Mädchenschulen zeigen aber an, dass Heldensagen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jenen von Schlegel geforderten festen Platz in der Jugenderziehung erlangt hatten.

      Die in der Öffentlichkeit, aber auch in Teilen der Fachwissenschaft betriebene Engführung der mittelalterlichen Literatur auf die Heldendichtung und den Heldenbegriff war von Anfang an ideologisch, „die Moderne [band] den Heldenbegriff fest in das Projekt der Nationsbildung ein“ (Frevert 2011: 804). Dieser ‚treue‘ und ‚todesbereite‘ Held wurde in dem Moment instrumentalisiert, als die kriegerischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts anstanden. Der ‚neue‘ Held in der Nachfolge der heldenepischen Krieger sollte nun der Soldat sein, der sich für die Nation opfert. Auch hier haben Germanisten argumentativ mitgeholfen. Wilhelm Scherer entwirft als Grundhaltung der Germanen bzw. Deutschen im Jahr 1871 Folgendes:

      „Die Frage nach dem Lebensglück des Einzelnen tritt weit zurück. Der Soldat, der auf dem Schlachtfelde mit dem Tode kämpft, jubelt mit dem letzten Athemzug den siegenden Cameraden ein Hurrah zu.“ (zit. nach: Engster 1986: 46)

      Schon nach dem Ersten Weltkrieg wurden Soldatenfriedhöfe als ‚Heldenhaine‘ bezeichnet, und wir alle kennen jene Gedenksteine, die in den einzelnen Gemeinden an die Gefallenen des Ersten und dann auch des Zweiten Weltkrieges erinnern: Sie sind regelmäßig überschrieben mit der Widmung: „Unseren Helden“. Mit dem Begriff der Helden werden hier alle gefasst, die für die Nation gefallen sind. Wenn wir also diesen Heldenbegriff des 19. und 20. Jahrhunderts an eine Wertidee binden wollten, dann wäre dies die Idee, dass ein Held für die Nation handelt, sie verteidigt und dabei den Tod in Kauf nimmt.

      Obwohl der Erste Weltkrieg zahllose Tote gefordert und zahllose Invaliden (vgl. Kienitz 2008) hervorgebracht hatte, konnten die Nationalsozialisten an diesen instrumentalisierten Heldenbegriff noch einmal anknüpfen. Schon ein Jahr nach der sogenannten Machtergreifung, also im Jahr 1934, bestimmte die NS-Regierung auf Anregung des Bundes für Kriegsgräberfürsorge, dass der Volkstrauertag, der an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges erinnern sollte, in Heldengedenktag umbenannt wurde. Dieses Verständnis spiegelt sich oftmals auch in Todesanzeigen oder in jenen Briefen, in denen die Wehrmacht den Angehörigen den Tod eines Familienmitglieds bekannt gab. Ein auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums zugängliches Plakat (DHM 1987/260 http://www.dhm.de/ausstellungen/lebensstationen/2_167.htm, Zugriff am 03.01.2014) aus dem Jahr 1940 ruft zu Spenden für die Pflege der Kriegsgräber auf: „Ehret die Heldengräber“ heißt es in der Aufschrift. „Der scharfkantige Kopf eines Soldaten der Wehrmacht, der hinter Stahlhelmen und weißen Kreuzen sichtbar wird, gibt der Darstellung eine düstere, zugleich heroische Ausstrahlung.“ Der Einband des Buches Helden streiten, Götter ringen aus dem Jahr 1937 zeigt auf dem Titelblatt den Kopf eines Helden, freilich ist seine Darstellung deutlich an die Ikonographie des Soldaten angelehnt. Joseph Campbell bezeichnet solche nationalen Helden in seinem Schlusswort als „Heilige eines Antikultus“, die der Propaganda und Selbstverherrlichung von Partikularinteressen dienen (Campbell 2011: 372).

      Zweifelsohne hängen unsere Vorbehalte gegenüber dem Heldenbegriff mit dieser Geschichte zusammen, an der sich aus germanistischer Sicht nichts beschönigen lässt. Das heißt nicht, dass die Fachwissenschaft die Voraussetzungen und die Leitbegriffe dieser (noch einmal: zum Teil von ihr selbst verantworteten) Reduktion ihrer Texte auf ein ‚nationales Narrativ‘ (zum Begriff vgl. Müller-Funk 2008) nicht längst einer grundlegenden Kritik unterzogen hätte. Vor allem Klaus von See ist der Ermahnung nicht müde geworden, dass sich die Helden der Vorzeit nur sehr bedingt für die Wertidee der Nation vereinnahmen lassen. Weder sind sie (etwa im Nibelungenlied) ‚treu‘, noch sind sie (als Goten oder Burgunden) mehrheitlich als ‚Vorfahren‘ der Deutschen zu betrachten, noch beugen sich die Protagonisten der Heldendichtung einem numinosen Schicksal. Beowulf, Siegfried oder Högni kämpfen im Gegenteil dagegen an (von See 1991).

      Wir fokussieren in unserem Band weder allein Helden der Heldendichtung, noch möchten wir den Begriff so weit verallgemeinert sehen, wie dies oftmals in der Textanalyse geschieht, nämlich als Bezeichnung für eine Hauptfigur. Vielmehr schließen wir mit unserem Heldenbegriff an Joseph Campbells berühmte Studie zum Heros in tausend Gestalten an. Campbell entwirft darin einen anthropologischen Heldentypus, für dessen Weg sich unabhängig von einzelnen Epochen oder Sprachen in Mythen, Märchen, Legenden oder Sagen eine ‚universale‘ Struktur nachzeichnen lässt: „Der Held verläßt die Welt des gemeinsamen Tages und sucht einen Bereich übernatürlicher Wunder auf, besteht dort fabelartige Mächte und erringt einen entscheidenden Sieg, dann kehrt er mit der Kraft, seine Mitmenschen mit Segnungen zu versehen, von seiner geheimniserfüllten Fahrt zurück“ (Campbell 2011: 42). Die Grundstruktur dieser Narrative vom Helden ist demnach die Reise, und die mythische Abenteuerfahrt des Helden folgt, in vergrößertem Maßstab, der Formel, wie die Abfolge der rites de passage sie vorstellt: „Trennung – Initiation – Rückkehr, einer Formel, die der einheitliche Kern des Monomythos genannt werden kann“ (Campbell 2011: 42).

      Dieses grobe Erzählschema lässt sich durch die folgenden Stationen weiter ausdifferenzieren: Im Abschnitt des Aufbruchs begegnen wir zunächst der Schilderung der Alltagswelt, in der der spätere Held seinen Ort hat. Er erhält den Ruf des Abenteuers, dem er sich erst einmal verweigert, ehe er dann mit übernatürlicher Hilfe die erste Schwelle überschreitet. Im folgenden Abschnitt, der Initiation, hat der Held zunächst eine Folge von Prüfungen zu bestehen, zum Teil allein, zum Teil mit der Hilfe von Gefährten. Auf dem Höhepunkt dieser Herausforderungen wird der Held mit einer Gefahr konfrontiert, die er oftmals nur mit Hilfs- und Schutzmitteln überleben kann, welche er auf der Reise in eine Anderwelt erworben hat. Wenn er diese größte Gefahr gemeistert hat, bekommt der Held nicht selten ein großes Geschenk (Segen), das die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis eröffnen kann. Der Held trifft dann die Entscheidung, ob er in die gewöhnliche Welt zurückkehrt. Wenn dem Heros die Rückkehr gelingt, kann er die neue Gabe zum Wohle der Gemeinschaft nutzen.

      Dieses Erzählschema ist universell, wenngleich verschiedene narrative Genres unterschiedlich eng daran gebunden sind. Kaum eine mythische Erzählung enthält alle skizzierten Stationen – manche enthalten viele, manche nur wenige; manche Mythen mögen sich nur mit einer der Stationen beschäftigen, andere die Stationen in einer geänderten Reihenfolge präsentieren.

      Wir stellen vor dem Hintergrund dieses Verständnisses vom Helden sechs Erzählungen von mittelalterlichen Helden vor und diskutieren ihre ästhetischen, existenziellen und ethischen Prämissen. Diese Geschichten werden nicht erzählt, „um Probleme zu lösen, sondern um eine Problematik auszufalten und sie in ihrer ganzen Spannung zu Bewußtsein zu bringen. Und in dieser Offenheit vermag das Erzählen selbst zu einer genuinen Form von Erfahrung zu werden“ (Haug 1999: 16).

      Die zum Teil von ideologischen Vereinnahmungen geprägte Rezeptionsgeschichte wird in den jeweiligen Kapiteln gegebenenfalls einleitend noch einmal aufgegriffen, die Lektüre im Unterricht aber kann sich auf die Beschäftigung mit einer diachronen Vielfalt von jeweils auf andere Weise schwierigen Helden richten. Deren Fremdheit mag zunächst einen gewissen Reiz ausmachen. Daneben aber ist nicht zu übersehen, dass auch mittelalterliche Heldengeschichten