Franziska Küenzlen

Themenorientierte Literaturdidaktik: Helden im Mittelalter


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zur Widerständigkeit, zum Eigensinn beibringen wollen. Solche Initiativen sind etwa der im Jahr 2000 gegründete Verein ‚Gesicht zeigen. Für ein weltoffenes Deutschland e.V.‘, das für Schulen 2009 entwickelte ‚Projekt Zivilcourage‘ oder das von der AG ‚Frieden‘ in Trier seit 2010 betriebene Kursangebot ‚Yes, you can‘. Der amerikanische Psychologe Philip G. Zimbardo verfolgt im Rahmen seines 2010 begründeten ‚Heroic Imagination Projects‘ ähnliche Ziele: Auf Zivilcourage und Widerständigkeit könne die Demokratie nicht verzichten. Daher bietet Zimbardo auf seiner Homepage einen Internetkurs an, in dem jeder den everyday heroism erlernen, sich also Klick für Klick zum Helden ausbilden lassen kann.1

      Dass diese Demokratisierung des Heldenbegriffs – jeder kann ein Held sein, wenn er eigene Interessen zum Wohl anderer in bestimmten Situationen zurückstellt – einer auf Einzigartigkeit und Außerordentlichkeit des Helden basierenden Substanz des Heldenbegriffs zuwiderläuft, ist klar: Führt man sie konsequent zu Ende, dann ist jede Mitbürgerin eine Heldin, die das ausgesperrte Nachbarskind für einige Stunden aufnimmt; jeder Mitbürger, der das verlorene Portemonnaie ins Fundbüro zurückbringt usw. Einer derartigen Omnipräsenz der Helden leisten die Medien in ihrem Neuigkeits- und Sensationshunger kräftig Vorschub. – Wir erinnern nur an die Werbung der Sportschau (ARD) zum Start der Bundesliga- Saison 2011: „Hier werden Helden gemacht!“

      Diese im Alltag weit verbreitete Entheroisierung des Helden ist freilich kein Zufall, sondern man kann sie geradezu als Reaktion auf seine vorhergehende Bedeutung im 19./20. Jahrhundert lesen. Gerade in Deutschland hat man kein ungebrochenes Verhältnis zum Heldentum und ist deshalb bemüht, den Begriff mit sozialen Tugenden wie Zivilcourage und kollektivem Handeln zu besetzen. Als Beispiel für die Problematik des Begriffs führen wir ein Zitat aus einem am 15. Mai 2010 in der Bild am Sonntag erschienenen Interview an, in dem der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg eine Neubewertung des Heldenbegriffs forderte:

      „Der Begriff des Heldentums ist durch den Missbrauch in der Nazi-Zeit erheblich belastet. Das erschwert einen rationalen Umgang. Wenn man ihn aber davon entkoppelt, stellt man schnell fest, dass der Umgang individuell ganz unterschiedlich ist. Meine Kinder benutzen den Begriff Held ganz zwanglos, bei anderen löst er sofort Nesselausschlag oder Entsetzen aus. Genauso unterschiedlich wird von jedem beantwortet, ob sich jemand tapfer, sehr tapfer oder wie ein Held verhalten hat. Grundsätzlich aber gilt, dass wir den Schritt hin zu einem rationalen Umgang mit dem Begriff Held oder Heldentum nur mit der gebotenen Sensibilität und im Bewusstsein der Geschichte tun können.“

      (http://www.bild.de/politik/2010/interview/was-ist-fuer-sie-ein-held-12549608.bild.html, Zugriff am 03. 01.2014)

      Die von zu Guttenberg geforderte Rationalisierung des Heldenbegriffs hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade nicht vorgenommen, als sie die ersten ‚Ehrenkreuze der Bundeswehr für Tapferkeit‘ im Sommer 2009 verlieh. Den Begriff des ‚Helden‘ sparte sie in ihrer Ansprache nämlich aus. „Die Soldaten bekamen die Tapferkeitsmedaille ausgehändigt, weil sie sich unter Lebensgefahr um verletzte Kameraden gekümmert hatten. Ihr Handeln entsprach damit dem, was auch im zivilen Kontext preiswürdig war: dem selbstlosen Einsatz für andere“ (Frevert 2011: 804). Bei der militärischen Verwendung des Heldenbegriffs tun wir uns also alles andere als leicht.

      Dies aber hängt mit der Geschichte des Begriffs zusammen, die hier in aller Kürze vorgestellt werden soll. Denn ‚Held‘ ist zunächst einmal kein Terminus aus Gesellschaft und Politik, sondern ein Begriff aus der mittelalterlichen Literatur. Der Ausdruck ist in der Geschichte der deutschen Sprache erstmals in der frühmittelalterlichen Dichtung belegt, im altsächsischen Heliand (um 830) und im althochdeutschen Hildebrandslied (um 840), jeweils gebunden in Stabreimformeln: heliđos in hallu (‚die Helden in der (Fest)-Halle‘), heliđos ubar hringa (‚die Helden über die Ringe‘, also über ihre Kettenhemden). Wir haben es demnach mit einem Begriff der Dichtersprache zu tun, mit dem Krieger in Rüstung beim Kampf oder bei der anschließenden Feier in der Festhalle beschrieben werden. Mit diesen Belegen aus dem 9. Jahrhundert ist der Begriff ein Element der germanischen Heldendichtung und in ähnlichen Formeln in der altenglischen oder altnordischen Stabreimdichtung vertreten. Im 12. Jahrhundert scheint sich das Wortfeld für den Krieger in der Epik zu erweitern: Neben helt treten recke, wîgant oder degen als Bezeichnungen für den Krieger. Auffallend ist dabei, dass der Ausdruck ‚Held‘ in die moderne höfische Literatur um 1200, Romane auf der Grundlage keltischer oder antiker Stoffe, nicht übernommen wird. Im Parzival, im Iwein oder im Lancelot sind ‚Ritter‘ (rîter) die Protagonisten der Erzählung. Offensichtlich versucht man sich mit dem auch im Alltag und in der Rechtssprache üblichen Ausdruck ‚Ritter‘ von den älteren ‚Helden‘, diesen Kriegern aus der heroischen Vorzeit, abzusetzen. Ab dem 17. Jahrhundert findet der Begriff ‚Held‘ schließlich als „wertfreier Terminus für die literarische Hauptfigur“ Verwendung (Fuchs 1997: 12). Freilich ist diese neutrale Bezeichnung für den Protagonisten nur die eine Seite der geschichtlichen Entwicklung. Denn daneben behauptet sich seit dem 19. Jahrhundert erneut jene Vorstellung des alle Dimensionen sprengenden Einzelkämpfers, die schon der klassischen höfischen Dichtung um 1200 nicht mehr als zeitgemäß erschienen war.

      Dieses erneute Anknüpfen an die überholte Bedeutung eines Kriegers aus der Vorzeit hängt unmittelbar mit der Situation im ehemaligen Kaiserreich Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen. Um dem politisch und kulturell als überlegen angesehenen Frankreich eine eigene nationale Identität entgegenzusetzen, erkundete das liberale deutsche Bürgertum seine kulturellen Anfänge. Dabei versuchte man auf der Suche nach den eigenen Wurzeln bewusst alles zu übergehen, was an Traditionen und Errungenschaften aus der Romania im Laufe der Jahrhunderte adaptiert worden war. Nördlich vom Limes sei der von äußeren Einflüssen kaum oder spät erreichte, ursprüngliche Kern der deutschen Kultur zu finden, ja Nordeuropa insgesamt schien in seinem Widerstand gegen das römische Imperium Elemente der eigenen Vorzeit bewahrt zu haben. Als Träger dieser Kultur und damit zugleich als Vorläufer der Deutschen wurden die Germanen bestimmt. Einer jener Forscher, die hier ihren Schwerpunkt setzten, war Jacob Grimm. Von der deutschen Philologie gern als einer ihrer Gründungsväter beansprucht, ging es Grimm selbst doch neben der Sprache immer auch um Recht und Religion der Germanen, eben um eine ‚germanische Kulturgeschichte‘. Dies spiegelt sich in seinen Werken, der Deutschen Grammatik, den Deutschen Rechtsaltertümern, der Deutschen Mythologie und der gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm herausgegebenen Sammlung der Deutschen Sagen (1816 und 1818). Dass Grimm mit der kulturgeschichtlichen Zielsetzung seiner Forschungen nicht allein stand, bezeugen die Titel fachwissenschaftlicher Periodika, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkamen, etwa die 1841 begründete Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur oder die erste Ausgabe des zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienenen Reallexikons für Germanische Altertumskunde. Erkennbar wird diese durch eine Reihe von Philologen betriebene Suche nach den Anfängen der ‚eigenen‘, der ‚germanischen‘ Kultur auch in der Namengebung des Faches: Germanistik. Freilich boten die deutschen Texte für eine Kulturgeschichte der eigenen Vorzeit viel zu wenig Material, und so wurde auch die altnordische Götter- und Heldendichtung als Quelle herangezogen. Dies erklärt, warum die Begründung der Germanistik als Wissenschaft in Deutschland die Gründung des Faches Nordistik nach sich zog (Engster 1986).

      Nur von diesem Punkt aus aber, von der Bedeutung der germanischen Heldendichtung für die Suche nach einer kulturellen Identität, die die fehlende nationale Einheit gewissermaßen ersetzen sollte, nur von dieser Situation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts her ist die weitere Geschichte des Heldenbegriffs erklärbar. Aus den Kriegern der Heldendichtung wurden unversehens Leitbilder für die Jugend. Diese Entwicklung kann hier nicht in allen Einzelheiten nachgezeichnet werden; einige wenige Beispiele sollen genügen: August Wilhelm Schlegel empfahl im Jahr 1812 das Nibelungenlied als „Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend“ (zit. nach: Heinzle / Waldschmidt 1991: 142). Gustav Roethe, 1859 geborener Mediävist, erklärte zur Relevanz der älteren Texte: „Von deutschen Heldenliedern her rauschen uns diese Töne herüber […]; es ist die Treue, die in Deutschland ebenso den größten Gedanken, dem Kaisertum, der Reformation zum Siege verholfen hat“ (Roethe 1927: 5). Andreas Heusler, 1865 geborener Mediävist, stellte seinem 1905 publizierten Urväterhort, einer mit Illustrationen versehenen Sammlung von Texten