Tonius Timmermann

Lehrbuch Musiktherapie


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musiktherapeutischen Repertoires spiegeln müssen.

      Wir stellten fest, dass wir langsam „weise“ zu werden im Begriff sind – „weise“ i. S. von den beiden Baltes, die 1990 Weisheit definierten als „Expertenwissen im Bereich grundlegender Lebensfragen“ und weiter ausführten, dass zur Weisheit gehören:

      ●viel Faktenwissen zu verschiedenen Lebensbereichen,

      ●reichhaltiges Handlungswissen,

      ●ein hohes Maß an Verständnis der unterschiedlichen (oft widersprüchlichen) Kontextgebundenheiten des Lebens,

      ●Wissen, dass jedes Urteil immer nur relativ zu persönlichen und kulturellen Wertsystemen gültig ist und

      ●die Erkenntnis, dass jede Analyse von Lebensproblemen zwangsläufig unvollständig bleibt (Baltes/Baltes 1990).

      So viel zu unserer gewachsenen und wachsenden „Weisheit“, die wir denjenigen entgegensetzen wollen, die die Weisheit aus einem Pott löffelten, dessen Inhalt bekanntlich ebenso absolut richtig wie begrenzt ist. Der immerwährende rote Faden: Wir wollten ein Lehrbuch zur Musiktherapie schreiben,

      ●das wir gerne in unseren eigenen Jahren als StudentIn gehabt hätten,

      ●das wir als Musiktherapie-Lehrende unseren heutigen Studierenden als Arbeitsmittel an die Hand geben und

      ●welches KollegInnen unserer und mehr oder minder benachbarter Disziplin sowie

      ●allgemein Interessierte als Wissens-, Anregungs- und Motivationsquelle hoffentlich mit Gewinn nutzen können.

      Mögen Sie, liebe Leserinnen und Leser, ruhig und nüchtern mit diesem Buch arbeiten, mögen Sie dieses und jenes gut finden und anderes zu einseitig – dann holen Sie sich andere Bücher zu Rate.

      Gewidmet unseren Studierenden in Augsburg, Hamburg, Wien, Zürich, Tallinn, Budapest, Orenburg/Russland, München, Bozen, Assisi sowie jenen aus unseren freien Seminaren.

       Hans-Helmut Decker-Voigt,

      Hamburg/Allenbostel – Lüneburger Heide

      Dorothea Oberegelsbacher, Wien

      Tonius Timmermann, Wessobrunn, München

      Hinweise zum Aufbau dieses Lehrbuchs

      Wir gingen folgendermaßen an dieses Projekt: Weniger i. S. eines „Synkretismus der Musiktherapie“ („synkretismus“ griech. = Verschmelzung verschiedener Lehren und Kulte mit der Gefahr unkritischer Übernahme von Argumenten anderer). Vielmehr mit der Annäherung, das in diesem Lehrbuch versammelte Wissen eklektizistisch aufzubauen und zwar i. S. des ursprünglichen Ekletizismus (griech. = Denkweise, die neben den eigenen, auch die Argumente der Denkmodelle und Handlungsmodelle anderer einbezieht und den Leser auf die Suche schickt, welche Richtung ihm oder ihr gegenwärtig am nächsten kommt). Es ist diejenige Denkweise, nach der wir auch unsere Studiengänge leiten: Das Lehrbuch folgt – entfernt – dem Aufbau einer Sonate (A-B-A’):

      Teil I („Exposition“) beschäftigt sich mit den Grundlagen der Musiktherapie. Hier findet man Historisches, Definitorisches, Theoretisches, Praxeologisches …

      Teil II („Durchführung“) orientiert sich am Lebenskreis und wie Musiktherapie darin zu wirken vermag. Dieser Mittelteil nimmt den größten Lese- und Denkraum ein und folgt heutiger entwicklungspsychologischer Betrachtung menschlichen Lebens – bezogen auf seine ganze Lebensspanne – in unserem Kulturkreis. So folgen alle Aspekte zur Rolle und Bedeutung der Musik in der jeweiligen Lebensphase dem Dreierschritt:

      ●Normalverlauf und Störungsmöglichkeiten,

      ●Beispiele aus der Praxis,

      ●Theoriebildung (s. Inhaltsverzeichnis).

      Teil III („Reprise und Coda“) greift das thematische Material des ersten und zweiten Teils in Form schlussfolgender Reflexionen auf: Berufliche Identität, Einordnung in den Rahmen der Psychotherapie, Ausblick auf Forschung und Ausbildung sowie Adressmaterial zu Organisationen.

      Hinweise zur Benutzung

      1) Lehrbücher sind nicht nur zum Durchlesen, sondern zum Nach- und Vorarbeiten und Beschäftigtsein mit Teilthemen. Deshalb verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick durch die Kenntnisnahme der Gliederung im Inhaltsverzeichnis.

      2) Zur Vertiefung mit einem Teilthema finden Sie am Schluss eines jeden Kapitels Literaturempfehlungen, mit denen wir gute Erfahrungen beim Ausweiten, Vertiefen und Einbinden des Teilaspekts gemacht haben.

      3) Wenn Sie zitieren, so bitten wir Sie, den Namen des jeweiligen Autors eines Kapitels zu nennen und nicht nur das Lehrbuch mit allen drei AutorInnen.

      4) Der Adressteil mit Angaben zu Organisationen und Verbänden wurde im besten Wissen der Aktualität erstellt. Da sich aber Adressen am schnellsten ändern, stehen wir gerne für Auskünfte dann bereit, wenn Sie keinen sofortigen Kontakterfolg haben.

      5) Wir stehen nicht nur bereit, sondern hoffen auf und danken für Feedbacks, für Anregungen aller Art – aus Ihrer Arbeit mit diesem Buch heraus!

       von Dorothea Oberegelsbacher

      „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen;

      und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“

      (Ludwig Wittgenstein)

      Musiktherapie ist die gezielte Verwendung des Mediums Musik oder seiner Elemente zu therapeutischen Zwecken. Sie ist immer in eine bewusst gestaltete therapeutische Beziehung eingebunden und verwendet nicht sprachliche und sprachliche Kommunikation sowie psychologische Mittel und Techniken.

      Musiktherapie wendet sich an Menschen mit Leidenszuständen, Verhaltensstörungen und Entwicklungsrückständen, um an der Wiederherstellung, Erhaltung oder Verbesserung von seelischer, geistiger und körperlicher Gesundheit mitzuwirken (Oberegelsbacher 2004). Ihre spezifische Möglichkeit ist, dass sie Menschen über einen präverbalen bzw. extraverbalen, emotionsbetonten Zugang erreicht, in allen Lebensaltern und Störungen einen Wiederanschluss an diesen Bereich findet und von dort aus ihr Wirken entfaltet.

      präverbaler

      Zugang

      Musiktherapie kann einzeln, in Gruppe sowie unter Einbeziehung von Angehörigen stattfinden. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen der Musik erlebende und sich durch Musik ausdrückende Mensch sowie die Resonanz, die er im Therapeuten und bei den anderen Beteiligten auslöst, mithin das Beziehungsgeschehen in all seinen Aspekten (Timmermann 2004a, 4).

      Ausdruck und

      Resonanz

      Die Resonanz umfasst die äußere und innere Wirklichkeit der Beziehung, also die Realbeziehung und auch die begleitend auftretenden Phantasien dazu. In der musiktherapeutischen Situation wird der behandelte Patient/Klient in seinem Umgang mit Musik und seinen Reaktionen auf das musikalische Geschehen wahrgenommen. Besondere Berücksichtigung finden dabei die sich herausbildenden Erlebens-, Einstellungs- und Verhaltensmuster, unbewusste (Re-)Inszenierungen, aber auch psychovegetative und physiologische Reaktionen. Der Therapeut gestaltet die musikalischen Handlungen oft aktiv mit, beachtet dabei die Indikation und den Zeitpunkt im therapeutischen Prozess. Spielen, Reden und Zuhören wechseln einander ab.

      Beziehungs-gestaltung durch Musik

      Die Angebote der Musiktherapie, aktiv – auf leicht spielbaren Instrumenten und mit der Stimme – oder rezeptiv – im vorbereiteten Hören gezielt angebotener Musik –, dienen folgenden Zielen: