1142) und Hiob (1140–42) gelten als seine frühesten Bibelkommentare, da beide keinerlei Bezug auf seine anderen exegetischen Werke erkennen lassen. Möglicherweise wurden auch der kurze Daniel-Kommentar (1140–45), der erste Kommentar zum Hohenlied (1140–45) und sein fragmentarischer Psalmen-Kommentar (1140–45) noch in Rom (und nicht erst in Lucca) verfasst.
Ibn Ezras erster Tora-KommentarIbn Ezra verließ Rom 1145 in Richtung Pisa, von wo er bald nach Lucca (Toskana) weiterzog. Hier entstanden neben ersten Traktaten zur Astronomie ein erster Kommentar zum Dodekapropheton (Tere Asar; 1142–45) und ein kurzer Kommentar zum Pentateuch (nach seiner ausführlichen Einleitung bekannt als Sefer ha-Jaschar; 1142–45; ed. Weiser 1977). Die Einleitung zum ersten Tora-Kommentar ist programmatisch, insofern ibn Ezra hier vier verschiedene Wege der Bibelauslegung kritisiert, um dann seinen eigenen fünften Weg als den Königsweg vorzustellen.
Erste grammatische GrundlagenwerkeDaneben verfasste er einen Kommentar zu den Büchern Rut (1142–45) und Jesaja (1145) sowie einige grammatische Werke: Sefer ha-Jesod ‚Buch von den Grundlagen der [hebräischen] Sprache‘ (1142–45), Jesod Diqduq hu Sefat Jeter ‚Buch von den Grundlagen der Grammatik‘ (1142–1145) sowie eine Verteidigungsschrift der Arbeiten R. Sa‘adjas gegen die Vorwürfe des Dunasch ibn Labrat, von der ibn Ezra nach eigener Aussage in Ägypten Kenntnis erhalten hatte (Sefer Haganna al R. Sa‘adja Gaon; 1142–45). Hier zeigt sich bereits, welches große Gewicht ibn Ezra auf die grammatikalische Lern- und Lehrtradition Spaniens legte und wie sich dies ebenfalls auf sein Bibelverständnis auswirkte. Auch die nachfolgenden Jahre in Italien, ibn Ezra hielt sich in Mantua und Verona auf, waren vor allem der systematischen grammatischen Arbeit gewidmet: In Mantua verfasste er den Sefer Tzachut (‚Buch der Erlesenheit [der hebräischen Sprache]‘; 1145), in Verona den Sefer Safa Berura (‚Buch der klaren Sprache‘). Im Sefer Safa Berura findet sich auch bereits ein harscher Angriff gegen Raschi, dem ibn Ezra vorwirft, er habe nur vermeintlich die Bibel gemäß dem Peschat* erklärt; faktisch verdiene nur eine von 1000 Erklärungen Raschis dieses Prädikat (Sefer Safa Berura, ed. Wilensky 1923, 274).
Ibn Ezras Zeit in Frankreich1147 verließ ibn Ezra Italien und ging in die Provence, zuerst nach Béziers (1147/48) und Narbonne (1148–54), dann weiter |107|nach Nordfrankreich (Tzarfat*; 1154–56). Hier hielt er sich vor allem in Rouen und Dreux auf. Die Jahre in Frankreich waren für ihn eine Zeit großer Aktivität: In Béziers und Narbonne entstanden sein Sefer ha-Echad (‚Buch des Einen‘; vor 1148), (als Auftragswerk) der Sefer ha-Schem (‚Buch des [göttlichen] Namens‘; 1148) sowie mehr als zehn astronomische, natur- und kalenderwissenschaftliche Schriften (vgl. die umfangreiche Liste bei Sela/Freudenthal 2006). Erst in Rouen, wo er sich mit der nordfranzösischen Exegese auseinandersetzen musste, wandte er sich wieder der Bibelkommentierung zu. Er verfasste einen zweiten Kommentar zu Ester (1153–56), einen langen Kommentar zum Buch Daniel (1155) sowie den langen Tora-Kommentar, von dem jedoch nur noch die Einleitung, einige Passagen des Buches Genesis (1155/56) und der komplette Exodus-Kommentar (1155–57) erhalten sind. Daneben schrieb ibn Ezra einen zweiten Kommentar zu den Psalmen (1156), zum Hohenlied (Schir ha-Schirim; 1155–57) und zum Zwölfprophetenbuch (Tere Asar; 1156). Von seinen Tora-Kommentaren haben sich darüber hinaus zwei weitere Kommentarfragmente (zu den paraschijjot Wajjischlach und Wajechi) eines dritten Genesis-Kommentars erhalten (ed. Mondschein 1997), den ibn Ezra 1157/58 offenbar in London verfasst hat.
Der lange Exodus-KommentarDer erste, der ibn Ezras Urheberschaft des langen Exodus-Kommentares in der uns heute vorliegenden Form in Frage stellte, war R. Eli‘ezer Josef Tov Elem (Bonfils; ca. 1335–88) in seinem Superkommentar Tzafenat-Pa‘aneach, benannt nach dem neuen Namen des biblischen Josef (Gen 41,45). In der Einleitung seiner Erklärungen zu ibn Ezras erstem (kurzen) Exodus-Kommentar legte er an einer Reihe von dreizehn Einzelbeispielen dar, warum er glaube, dass nicht ibn Ezra selbst, sondern seine Schüler den langen Kommentar in der ihm (und uns) vorliegenden Form zusammengestellt hätten. Nicht nur die Länge an sich, sondern auch Doppelungen, Schülerbemerkungen (z.B. im Kommentar zu Ex 12,9) sowie philosophische Exkurse, die sich gerade nicht mit ibn Ezras Anspruch einer Pentateuchkommentierung vertrügen (vgl. nachfolgend Kap. 4.3.a.), sprächen dafür, dass hier Spätere aus verschiedenen Büchern zusammengetragen hätten. In der Tat gehen die großen Exkurse zum Gottesnamen, die in die Auslegung von Ex 3,15 und 33,21 eingeschaltet sind, wohl auf ibn Ezra zurück, sie bilden jedoch signifikante Doppelungen zu einzelnen Teilen des Sefer ha-Mispar (Lucca; 1142–45) und des Sefer ha-Schem (Béziers; 1148). Seit Josef Bonfils ist die Diskussion um diesen Kommentar und sein Verhältnis zu den anderen Tora-Kommentaren ibn Ezras nicht abgerissen. Dirk Rottzoll hat in der Einleitung seiner Übersetzung des langen Exodus-Kommentars diese Diskussion in |108|ihrem pro und contra detailliert zusammengestellt (Rottzoll 2000, XIII–XLIX). Hier stehen weitere detaillierte Einzelanalysen und die Arbeit an den Handschriften noch aus.
Begegnung mit den TosafistenIn Frankreich lernte ibn Ezra wohl auch Ja‘aqov ben Meïr ‚Rabbenu Tam‘ (1100–71) kennen, einen der vier Enkel Raschis, einen Bruder von Raschbam. Jedenfalls zitieren die tosafot (bRhSh 13a; bQid 37b) eine Anfrage ibn Ezras an Rabbenu Tam, der umgekehrt ein Bewunderer der Gedichte ibn Ezras war. Ibn Ezra kann in Rouen nicht an Raschbam und seinem Kreis vorbeigegangen sein, aber wie ihr Verhältnis zueinander war, bleibt weitgehend im Dunkeln. Als gesichert kann aber wohl gelten, dass ibn Ezra kaum wirklich einen ‚Fuß in die Tür‘ der Gruppe der nordfranzösischen Gelehrten bekam. Raschbam hat jedenfalls ibn Ezras Anwesenheit mit Stillschweigen quittiert: Er erwähnt ihn niemals namentlich in seinem Kommentar, wie auch umgekehrt R. Avraham ibn Ezra allenfalls indirekt gegen Raschbam oder in seinem Namen tradierte Auslegungen polemisiert. Es besteht nicht einmal ein wissenschaftlicher Konsens darüber, ob sie ihre Kommentare gegenseitig überhaupt gekannt haben (vgl. die Diskussion bei Jacobs 2010; Rottzoll 1998).
Ibn Ezra in EnglandFür seine unsteten Verhältnisse war ibn Ezra relativ lange in Frankreich. Er verließ das Land jedenfalls erst 1158 in Richtung London, wo er das Buch Jesod Mora (‚Fundament der Gottesfurcht‘) und vor allem die sog. Iggeret Schabbat (‚Brief des Schabbat‘; London 1158) verfasste. Ibn Ezras Verhältnis zu Raschbam ist gerade auch im Zusammenhang mit der Iggeret Schabbat diskutiert worden (zuletzt ausführlich Rottzoll 1998). Neben seinem schon erwähnten Sefer Jesod Mora ist die Iggeret Schabbat wohl seine letzte größere Schrift. Ibn Ezra starb zwischen 1165 und 1167 an einem unbekannten Ort. Als Sterbeorte werden Italien, England ebenso wie Südfrankreich oder Navarra angeboten (Charlap 1999, 6). Sein Leben endet also ebenso im biographischen Dunkel, wie es angefangen hat.
Ibn Ezras exegetische VorbilderAvraham ibn Ezra greift immer wieder auf rabbinische Gelehrte der sefardischen* Länder zurück; für ihn verkörperten diese eine nahezu ideale Synthese von judäo-arabischer philologischer und grammatischer Tradition einerseits und klassischer rabbinischer Gelehrsamkeit andererseits. Er erwähnt sie manchmal einfach als ‚Weise Spaniens‘ (chakhme sefarad; chakham echad bi-sfarad; chakham gadol sefaradi). Zu diesen Weisen gehören auch die chakhme ha-diqduq, die ‚Grammatiker‘. Namentlich genannt sind u.a. Jehuda ibn Qoresch (2. Hälfte 9. Jahrhundert; Tunesien), Menachem ibn Saruq; Dunasch ibn Labrat, R. Jehuda Chajjūğ und R. Jona ibn Ğanaḥ. Dieser wird im langen Exodus-Kommentar, im Kommentar zum Zwölf|109|prophetenbuch, im Psalmen-Kommentar und in den grammatischen Schriften als R. Marinus erwähnt (langer Exodus-Kommentar 1,10; 5,21; 6,3; 9,17; Hos 2,14.18; 11,4 u.ö.; Diskussion bei Rottzoll 2000, CXXVII–CXXX). Unter den Weisen Frankreichs (chakhme tzarfat) erwähnt er neben Raschi den Verfasser des Arukh, R. Natan ben Jechi’el Ba‘al ha-Arukh (1035–ca. 1110).
Ibn Ezras Verhältnis zu den KaräernIbn Ezras Verhältnis zu den Karäern* ist schillernd, denn er kennt ihre Literatur sehr gut und beruft sich vor allem bei sprachwissenschaftlich-grammatischen Erklärungen immer wieder explizit auf sie. Allein im langen Kommentar zu Exodus werden sieben karäische Gelehrte namentlich erwähnt; mit insgesamt 29 Erwähnungen (zustimmend wie kritisch) ist sicher Jefet ben Eli ha-Levi (Anfang 11. Jahrhundert) der am häufigsten zitierte. Inhaltlich setzt sich ibn Ezra aber immer wieder scharf und polemisch von den Karäern ab; sie gelten ihm als Leugner (makhchischim), Abtrünnige (minim) oder einfach „Hohlköpfe“ (reqe moach; ibn Ezra zu Ex 31,18;