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Sprachtherapie mit Kindern


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werden, wenn wirklich ein rezeptives Problem vorliegt (Bernthal et al. 2013).

      Lautanbahnung Der Schwerpunkt der Artikulationstherapie liegt auf dem expressiven Training. Hierbei wird das fehlgebildete Phon zunächst isoliert stimuliert (Vormachen, Aufforderung zur Nachahmung) und, wenn dies nicht gelingt, phonetisch korrekt angebahnt. Als Unterstützung zur Lautanbahnung können der Bewegungsablauf beschrieben werden, Vorstellungsbilder eingesetzt werden (z. B. bildliche Lautdarstellungen, Ruß 2008), der Laut von einem benachbarten Laut aus abgeleitet werden, ein Spiegel als visuelle Unterstützung, Eis als taktil-kinästhetische Unterstützung verwendet oder grob- und feinmotorische Bewegungen als Hilfestellung angeboten werden (Weinrich / Zehner 2011). In der Lautanbahnung gibt es unterschiedliche Feedback-Methoden:

      ■ über den kognitiven Kanal: Dem Kind wird erklärt, wie man den Laut bilden kann.

      ■ über den taktil-kinästhetischen Kanal: Mit Eis oder Wattestäbchen wird dem Kind die korrekte Zungenposition für einen Laut vermittelt. Es kann auch ein ähnlicher Laut (von Artikulationsort oder -art) verwendet werden, von dem der Ziellaut abgeleitet wird.

      ■ über den visuellen Kanal: Das Kind soll beim Therapeuten schauen, wie dieser den Laut produziert und was man dabei sehen kann. Das Kind kann mithilfe des Spiegels die eigene Zungen- / Lippenstellung beobachten und korrigieren.

      ■ über Lautunterstützende Bewegungen: Bewegungen, die mit dem ganzen Körper, mit den Händen / Armen oder den Füßen ausgeführt werden, können eine richtungsunterstützende Wirkung auf die Lautproduktion haben (Bewegungsunterstützte Lautanbahnung / BULA, Weinrich / Zehner 2011).

      Stabilisierung der Lautbildung Kann das Kind den angebahnten Laut isoliert phonetisch korrekt bilden, so beginnt die Stabilisierungsphase. Der Laut wird nun in einem Übungsdrill zunächst auf Silbenebene trainiert.

      Unter der Silbenebene versteht Van Riper die Produktion von CV, VC und VCV Kombinationen (1939, 1963).

      Anschließend wird der Laut auf Realwortebene – zunächst in der Regel im Wortanlaut – geübt. Es folgt die Übung auf Satzebene, dann auf Textebene (Gedichte, Reime etc.) und schließlich in der Spontansprache. In der klassischen Artikulationstherapie wird sowohl bei den Hörübungen als auch beim Artikulationstraining immer nur ein Laut zur gleichen Zeit erarbeitet.

      mundmotorische Übungen Bei Bedarf werden unterstützend zur Lautanbahnung mund- und zungenmotorische Übungen eingesetzt. Der Begriff Mundmotorik wird in Deutschland sehr global und uneinheitlich genutzt. Zum einen wird er im Bereich der Therapie orofazialer Störungen verwendet, zum anderen in Bezug auf ein generelles „mundmotorisches“ Training bei Aussprachestörungen oder im Hinblick auf ein Wahrnehmungstraining für Lautproduktionsstellen im Mundraum. Teilweise versteht man unter ihm auch eine spezifische Produktionsvorbereitung für einzelne Laute. Daher ist es wichtig, diesen Begriff genauer zu definieren. Lippen- und Zungenübungen zur Behandlung orofazialer Störungen finden sich in Kittel (2014). Wenn eine orofaziale Störung gleichzeitig mit einer Artikulationsstörung (phonetischen Störung) einhergeht, sollte erst mit der Lautanbahnung begonnen werden, wenn die muskulären Voraussetzungen gegeben sind, d. h. parallel zu den Ansaugübungen (Kittel 2014). Globale mundmotorische Übungen bei Vorliegen einer Aussprachestörung oder auch phonetischer Störung haben sich als nicht sinnvoll herausgestellt. Übungen, die den Bewegungsablauf oder die Bewegungsrichtung eines Ziellautes vorbereiten, können der Lautanbahnung dienen. Gegebenenfalls kann hier auf Übungen aus der orofazialen Therapie zurückgegriffen werden. Auch können Wahrnehmungsübungen (z. B. mithilfe von Eiswasser) dem Kind einen bestimmten Artikulationsort verdeutlichen. In diesem Fall handelt es sich aber nicht um eine motorische Übung, sondern eine taktil-kinästhetische.

      Mund- und zungenmotorische Übungen werden nur nach Bedarf (z. B. bei Vorliegen einer orofazialen Störung oder kurzfristig zu Lautanbahnungszwecken) eingesetzt, wenn dies sinnvoll erscheint. Sie begleiten die klassische Artikulationstherapie allerdings nicht kontinuierlich.

      Da sich herausgestellt hat, dass die klassische Artikulationstherapie in vielen Fällen an sich wirksam ist, aber meist nicht die effizienteste Therapieform darstellt, hat sich ihre Einsatzmöglichkeit im Lauf der Jahrzehnte verändert. Tabelle 5 bietet einen Vergleich des Therapieablaufs nach Originalquellen von Van Riper (1939), des Ablaufs der Therapie, wie er im Jahr 2017 sinnvoll erscheint, und einer Darstellung des Einsatzes von artikulationsmotorischen Elementen im Rahmen der phonologischen Therapie (z. B. P. O.P. T.; Kap. 4.2).

Van Riper 1939Van Riper heuteVan Riper heute als Zwischenschritt in Phase II POPT
• für alle Laute• für Sigmatismen und Schetismus lateralis und bei Vorliegen anderer, ausschließlich phonetischer Fehlbildungen• für alle Laute, die nicht spontan in Phase I oder Phase II auftauchen
1. Hörübungen: auditory bombardment, ausschließliches Heraushören des Ziellautes1. Hörübungen: auditory bombardment, siehe POPT: Heraushören von Ziel- und Ersatzlaut• entfällt, da Phase I P.O.P.T.
• Hierarchie 1: isolierter Laut, CV/VC, Wörter, Sätze• Hierarchie 2: gr. Opposition, kl. Opposition, minimale Opposition• Hierarchie 1: isolierter Laut, CV/VC, Wörter, Sätze• gleich auf minimaler Ebene: /s z/ versus /θ- ð/ oder /ʃ/ versus /ɬ/
2. Mund­Zungenmotorik ausschließlich zur Vorbereitung der Bewegung des Ziellautes2. Mund­Zungenmotorik ausschließlich zur Vorbereitung der Bewegung des Ziellautes
3. Anbahnung des phonetisch korrekten Lautes3. Anbahnung des phonetisch korrekten Lautes3. Anbahnung des phonemisch korrekten Lautes
4. Stabilisieren des Lautes auf Laut-, Silben-, Wort- und Satzebene4. Stabilisieren des Lautes auf Laut-, Silben-, Wort- und Satzebene• entfällt, nicht vorgesehen bei P.O.P.T.• Fortsetzung der Therapie durch P.O.P.T. Phase II, nur CV/VC, dann Phase III
5. Generalisieren des Lautes in gelenkter Spontansprache (Gedichte) und Spontansprache5. Generalisieren des Lautes in gelenkter Spontansprache (Gedichte) und Spontansprache
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      Van Riper, C., Erickson, R. (1996): Speech Correction: an Introduction for Speech and Language Pathology and Audiology (9th ed.). Englewood Cliffs, New York, Prentice Hall

      Kritischer Exkurs – Mundmotorische Übungen in der Artikulationstherapie: Mittlerweile wird in der Forschungsliteratur diskutiert, inwieweit es sinnvoll und wirksam ist, ein Training der Mund- und Zungenmotorik im Rahmen einer Aussprachetherapie durchzuführen. Weder lässt sich bis zum Jahr 2017 ein theoretisches Konstrukt finden, das diese Übungen rechtfertigt, noch liegen Evidenzen vor, die deren Wirksamkeit bezeugen (Hartmann 2010, Lass / Panbacker 2008). Bowen (2009) zitiert im Rahmen dieser Diskussion eine große Anzahl von Publikationen, in denen sich Experten für Aussprachestörungen eher besorgt über den weitverbreiteten Einsatz orofazialer Übungen äußern. Franken / Neumann (in Vorbereitung) konnten in ihrer 2016 durchgeführten Online-Umfrage feststellen, dass 42 % der befragten deutschen Sprachtherapeuten (N = 238) noch immer orofaziale Übungen bei Kindern mit Aussprachestörungen einsetzen, selbst wenn diese keine orofaziale Störung aufweisen.

      Wirklich sinnvoll sind nur ausgewählte Übungen im Rahmen der orofazialen Therapie, wenn eine orofaziale Störung vorliegt und behandelt werden soll (Kittel 2014). Eventuell sind auch vereinzelte ausgewählte Bewegungsübungen im Rahmen der klassischen Artikulationstherapie sinnvoll (Van Riper 1963, Van Riper / Erickson 1996).

      Evidenzen zur Therapieeffektivität Die klassische Artikulationstherapie nach Van Riper (1963) zählt bis 2017 zu den gängigsten Therapieformen, nicht nur in Deutschland (Golz 2015), sondern auch im australischen (McLeod / Baker 2014) und amerikanischen Raum (Brumbaugh / Smit 2013). Therapeuten gehen in der Regel von seiner Wirksamkeit (Augenschein-Validität) aus, weil dieser Ansatz „schon immer“ existiert.