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Handbuch der Soziologie


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Grundkategorien und Bausteine, die für das gesamte Spektrum der Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften Geltung beanspruchen, c) Aussagenkomplexe zum spezifischen Aufbau der modernen Gesellschaft, in der Regel gestützt durch den diachronen Vergleich mit vormodernen Gesellschaften, d) empirisch gehaltvolle Befunde zur Wandlungsdynamik moderner Gesellschaft bis hin zu Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsprognosen sowie e) Pathologiediagnosen und Stellungnahmen zu Möglichkeiten und Risiken politischer Steuerung und Intervention, einschließlich der Reflexion auf die Problematik und die Begründbarkeit von normativen Aussagen und Kritik.

      Die im Handbuch vorgestellten acht Paradigmen haben in der Regel einen zentralen Referenzautor, dessen Werk sich rekonstruieren und in Verbindung zu soziologischen Debatten und gesellschaftlichen Problemlagen bringen lässt. Behandelt werden die Theorien von Talcott Parsons, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas, Michel Foucault, Pierre Bourdieu, Hartmut Esser und James Coleman, Anthony Giddens sowie Bruno Latour. Die inhaltliche Darstellung der Theorien orientiert sich an den oben genannten Programmpunkten und wird zusätzlich durch wichtige Kritikpunkte sowie theoretische Innovationen ergänzt. Eine genaue Aufschlüsselung der Gliederungspunkte für alle acht Großtheorien erübrigt sich hier. Stattdessen begründen wir kurz für jede einzelne, warum wir sie aufgenommen haben und in welchem Kontext sie lokalisiert und diskutiert wird.

      Axel Honneth und Kristina Lepold unterziehen das Werk von Talcott Parsons einer anerkennungstheoretisch aktualisierten Lektüre. Zu diesem Zweck skizzieren sie Parsons voluntaristische Handlungstheorie, sein strukturfunktionalistisches Systemmodell, die darauf basierende Theorie moderner Differenzierungsdynamiken und den Fortschrittsoptimismus seiner Modernisierungstheorie einschließlich der Risiken vereinseitigter Modernisierung. Parsons Werk erscheint von hier aus als idealtypisches Beispiel für eine Gesellschaftstheorie in dem von uns definierten Sinne. Seine Bedeutung als Referenztheoretiker für Luhmann, Habermas oder auch Giddens ist unübersehbar und sein Ansatz lebt in den Debatten um »multiple modernities« (Shmuel N. Eisenstadt) und die neofunktionalistischen Theorieprogramme (Jeffrey C. Alexander, Richard Münch) bis heute fort. Für Honneth und Lepold kommt der Gesellschaftstheorie von Parsons aktuelle Bedeutung vor allem deshalb zu, weil sie die Möglichkeit und Notwendigkeit zeigt, den normativen Gehalt der modernen Institutionen (kritisch) zu rekonstruieren, über den die Gesellschaftsmitglieder laufend miteinander streiten und Einvernehmen erzielen können müssen.

      Angesichts der enormen Bandbreite seiner Sozial- und Gesellschaftstheorie bedarf es keiner ausführlichen Begründung, warum Niklas Luhmann Aufnahme in den Kanon dieses Handbuches findet. Wolfgang Ludwig Schneider unternimmt eine systematische Rekonstruktion von Luhmanns Schriften und geht auf Schlüsselwerke wie »Soziale Systeme«, »Gesellschaftsstruktur und Semantik« oder »Die Gesellschaft der Gesellschaft« ein. Dabei legt er nicht nur die Basiskategorien der Systemtheorie und ihre beobachtungstheoretischen Prämissen dar, sondern verdeutlicht auch exemplarisch die Theorie funktionaler Differenzierung am Fall des Wissenschaftssystems. Denn an diesem Beispiel wird sichtbar, wie Luhmann den gesellschaftlichen Ort der Soziologie als Teil dieses Funktionssystems zu bestimmen und somit auf seine methodologischen Implikationen hin zu reflektieren vermag. Zum Abschluss modifiziert Schneider in seinem Beitrag Luh-manns Projektion einer funktional differenzierten Weltgesellschaft durch neuere Diskussionen zum Thema Inklusion/Exklusion sowie zur Rolle parasitärer Netzwerke, die eine partielle Erweiterung des Programms der Theorie sozialer Systeme nahelegen.

      Im Werk von Jürgen Habermas kommt das Programm einer rekonstruktiv angelegten, d. h. vielfältige Quellen und Vorarbeiten des soziologischen und philosophischen Diskurses aufnehmenden [15]und neu arrangierenden Theoriebildung voll zum Tragen, wie William Outwaithe in seinem Beitrag zu verdeutlichen sucht. Outhwaite arbeitet heraus, wie Habermas zentrale Einsichten der Disziplin zu einer Theorie des kommunikativen Handelns weiterentwickelt. Dazu gehören etwa der Historische Materialismus bei Karl Marx, Ervin Goffmans Modell des dramaturgischen Handelns, George Herbert Meads Theorie der Individuation, John L. Austins Sprechakttheorie, Jean Piagets und Lawrence Kohlbergs Entwicklungspsychologie, Max Webers Rationalisierungsthese oder Émile Durkheims Differenzierungstheorie. Einen Schwerpunkt des Beitrags bilden die Arbeiten, die Habermas seit »Faktizität und Geltung« verfasst hat, um seine Theorie auf aktuelle Herausforderungen wie die Globalisierung oder die Bioethik zu beziehen. Sichtbar werden so nicht zuletzt Kontinuitäten und Brüche zur ersten und dritten Generation der Kritischen Theorie, also zu Theodor W. Adorno, Max Horkheimer oder Walter Benjamin einerseits und zu Axel Honneth, Seyla Benhabib oder Nancy Fraser andererseits.

      Als poststrukturalistische Theorieposition, die an der (archäologischen und genealogischen) Untersuchung historischer Formationen von Diskurs- und Zeichenwelten festhält und die Verstrickung der Sozial-, Kultur- und Lebenswissenschaften in das Machtgefüge der modernen Gesellschaft aufzeigt, gehört auch das Werk von Michel Foucault in dieses Handbuch. Wie der Beitrag von Sina Farzin zeigt, leistet Foucault über die Bereitstellung innovativer methodischer Werkzeuge hinaus insbesondere mit seinen Analysen der Kontrollstrukturen und Disziplinierungstechniken sowie den Studien zur Gouvernementalität der Gegenwart wertvolle Beiträge zur modernen Gesellschaftstheorie, die in den letzten Jahren immer weiter in den soziologischen Wissensbestand eingesickert sind.

      Ausgehend von dem frühen, mittels ethnologischer Untersuchungen zur Gesellschaft der Kabylen gewonnenen »Entwurf einer Theorie der Praxis« beschäftigt sich Robin Celikates mit den Basistheoremen der kritischen Soziologie von Pierre Bourdieu. Demzufolge setzt Bourdieu eine Traditionslinie moderner Gesellschaftstheorie fort, die auf soziale Kämpfe zwischen Klassen abstellt und erweitert diese mit einer kultursoziologischen Analyse symbolischer Klassifizierungen. Konzepte wie Habitus, Praxis und Feld stehen im Zentrum aktueller Diskussionen über das Programm einer praxeologischen bzw. relationalen Sozial- und Gesellschaftstheorie. Darüber hinaus deckt sein Werk mit Selbstreflexionen des soziologischen Blicks, Analysen zum Geschlechterkonflikt, zeitdiagnostischen Thesen zur Ökonomisierung der Gesellschaft sowie deren politischer Wendung zu einer Kritik der neoliberalen Invasion wiederum alle Stufen des allgemeinen Theorieprogramms ab. Als kritischer Anschluss werden vor allem die Arbeiten um Luc Boltanski und Laurent Thévenot einbezogen, die den »doppelten Bruch« problematisieren, den Bourdieu gegenüber den Illusionen des Common Sense für unvermeidbar halte, der aber die reflexiven Kompetenzen des Alltagslebens unterschätze.

      Clemens Kroneberg setzt sich in seinem Beitrag mit den Rational-Choice-Ansätzen auseinander. Neben den handlungs- und spieltheoretischen Grundlagen des Ansatzes wird das »Makro-Mikro-Makro-Modell« zur Erklärung sozialer Tatbestände präsentiert (James Coleman, Hartmut Esser) sowie der Fokus auf die Folgen und Dynamiken aggregierter individueller Entscheidungen gerichtet, in Anlehnung an Mancur Olsons Kollektivgutproblem. Kroneberg nutzt seinen Beitrag nicht zuletzt für ein Plädoyer, in dem er die Theorien der rationalen Wahl gegen klassische Einwände verteidigt, gesellschaftstheoretische Abstraktionen ablehnt und stattdessen für deduktiv-nomologische Erklärungen mittlerer Reichweite votiert.

      Mithilfe des Bauplans einer komplexen Gesellschaftstheorie lässt sich auch der Strukturationsansatz von Anthony Giddens sehr gut rekonstruieren, wie Jörg Oberthürs Beitrag zeigt. Mit seinem Theorem der doppelten Hermeneutik zielt Giddens auf die Besonderheiten sozialwissenschaftlicher im Unterschied zu naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Und mit der Unterscheidung von [16]Sozialtheorie und Soziologie kennzeichnet er selbst Theorieaufgaben mit unterschiedlichem Generalisierungsanspruch, um die Diskontinuitäten zwischen vormoderner und moderner Gesellschaft identifizieren zu können. Die Wandlungsdynamik der Moderne gleiche inzwischen einer Fahrt mit dem »Dschagannath-Wagen«, sei also kaum mehr zu kontrollieren und erzeuge massive Folgeprobleme, so dass die Soziologie gefordert ist, verbliebene politische Handlungsoptionen zu finden und freizulegen. Abschließend geht Oberthür auch auf zentrale Kritiken und Weiterentwicklungen des Strukturationsansatzes ein, etwa auf Theorien reflexiver Modernisierung.

      Schließlich werden im Handbuch auch die Arbeiten von Bruno Latour behandelt. Ausgehend von Latours wissenschaftssoziologisch ausgerichteten Laborstudien zeigt Henning Laux in seinem Beitrag, wie Latour seinen Ansatz im Laufe der Jahre sukzessive zu einer vollwertigen Gesellschaftstheorie ausgebaut hat. Ausgehend von seinem Unbehagen mit dem konstitutionellen Gefüge der Moderne (»Wir sind nie modern gewesen«), formuliert Latour eine Zeit- und Pathologiediagnose (»unkontrollierte