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Handbuch der Soziologie


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Öffentlichkeit (»Parlament der Dinge«). Von hier aus entwickelt er mit der Akteur-Netzwerk-Theorie ein sozialtheoretisches Vokabular, das Studien zu verschiedenen Feldern der Gesellschaft anleitet (u. a. Politik, Recht, Ökonomie, Kunst, Religion). Diese Befunde überführt er schließlich in eine »Soziologie der Existenzweisen«, die eine neuartige Differenzierungstheorie darstellt, mit deren Hilfe nicht nur eine alternative Bestimmung der modernen Gesellschaft, sondern auch eine »diplomatische Soziologie« möglich werden soll. Diese kann dazu beitragen, der planetarischen Bedrohung durch den anthropogenen Klimawandel entgegenzutreten.

4.Was erforschen Soziologinnen und Soziologen?

      Die Beiträge im vierten Teil des Handbuches geben eine breite und allgemeinverständliche Einführung in traditionelle und zeitgenössische Untersuchungsfelder der Soziologie. Die Erkenntnisse der hier vorgestellten »Bindestrich-Soziologien« bilden ein unverzichtbares Material für die im vorangegangenen Abschnitt exemplarisch vorgestellten Gesellschaftstheorien. Zwischen den Speziellen Soziologien und der Allgemeinen Soziologie besteht dennoch kein unilinearer Zusammenhang; beide befruchten sich vielmehr wechselseitig. Denn ebenso wie allgemeine Überlegungen zur Reproduktion und zum Wandel sozialer Ordnung ohne die Berücksichtigung konkreter Forschungsergebnisse spekulativ blieben, erweisen sich umgekehrt der Zuschnitt und die Gewichtung der einzelnen Untersuchungsfelder als selber theorieabhängig. So spiegelt sich zwar die geläufige Auffassung, im Prinzip lasse sich jedes Thema soziologisch studieren, in der langen Liste disziplinärer Untergliederungen; gleichwohl hat sich die Forschungsintensität historisch ausgesprochen ungleich verteilt und sind gerade die historisch gewachsenen Kernbereiche durch grundlegende Kontroversen geprägt. Die wissenschaftlichen Netzwerke, die sich der systematischen Erforschung gesellschaftlicher Teilbereiche und spezifischer soziologischer Themenfelder widmen, differenzieren sich mithin sowohl in Abhängigkeit von der Struktur der analysierten Gesellschaftsformation als auch entlang konkurrierender sozialtheoretischer Paradigmen. Um die soziologische Forschung in ihrem umfassenden, umstrittenen, unabgeschlossenen und gleichwohl historisch gewachsenen Charakter zu präsentieren, kommen die etablierten Teilbereiche der Disziplin wie die Rechtssoziologie, die Wirtschaftssoziologie, die Kultursoziologie usw. in Einzelbeiträgen zu Wort, für die wir Cluster aus verwandten, institutionell jedoch regelmäßig separierten Themen gebildet haben, die von den Autorinnen und Autoren dieses Abschnitts in ihrem Zusammenhang diskutiert werden, ohne dabei auf eigene Positionierungen zu verzichten.

      [17]Den Auftakt macht Paula-Irene Villa, deren Beitrag zu den Feldern »Körper, Geschlecht und Sexualität« die Bedeutung des Natur-Kultur-Dualismus veranschaulicht und aufzeigt, wie diese Unterscheidung im Alltagsverständnis und vor allem in der soziologischen Reflexion brüchig geworden ist. Der Beitrag skizziert die institutionelle Etablierung und den Forschungsstand von Körpersoziologie, Geschlechtersoziologie und Soziologie der Sexualität sowie deren Verhältnis zueinander aus dem in der Disziplin verbreiteten Selbstverständnis, dem zufolge soziologische Forschung darauf zielt, alltagsweltliche Überzeugungen zu hinterfragen. Wie lassen sich die Naturalisierung von Körper, Geschlecht und Sexualität erklären? Welche Konstruktionsprozesse liegen diesen mit welchen Folgen zugrunde? Diskutiert werden, nicht zuletzt mit Blick auf die empirische Forschung, gleichermaßen die praxeologische Perspektive auf die soziale Hervorbringung des vermeintlich Vorsozialen und die Rolle, die gesellschaftlichen Strukturen dabei zukommt. Ein abschließender Ausblick auf die Intersektionalitätstheorie unterstreicht, dass die einzelnen soziologischen Untersuchungsfelder alles andere als hermetisch gegeneinander abgegrenzt sind und von den entsprechenden Forschungen Impulse ausgehen, die neue Perspektiven, konzeptuelle Innovationen und paradigmatische Verschiebungen in anderen gesellschaftswissenschaftlichen Forschungsfeldern anstoßen.

      Die Bereiche der Sozialisationsforschung, der Bildungs- und der Familiensoziologie skizzieren Hans-Peter Müller, Erika Alleweldt und Jochen Steinbicker aus sozialstruktureller Perspektive: Welche Funktionen haben Sozialisation, Bildung und Familie für die Reproduktion sozialer Ungleichheit? Die verkürzende Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroebene überwindend, zeichnet der Beitrag zunächst die auch institutionell weit vorangeschrittene Ausdifferenzierung dieser ausgesprochen umfangreichen Teildisziplinen im deutschen sowie im internationalen Kontext nach. Vorgestellt wird der Vergesellschaftungsprozess entlang der Forschungen zu Sozialisationsinstanzen und -kontexten, zu Lebensphasen und zu den Dimensionen und Effekten von Sozialisation. Die besondere Bedeutung der primären Sozialisation findet mit Blick auf die Veränderungen des Verständnisses und der Struktur von Familie ebenso Berücksichtigung, wie die Rolle und der Wandel der Bildung unter dem Gesichtspunkt der sekundären Sozialisation thematisiert werden. Die Diskussion der Wissensbestände dieser soziologischen Untersuchungsfelder liefert Hinweise dafür, dass die zentrale Frage nach der Reproduktion sozialer Ordnung nicht ohne klassentheoretische Konzepte und ideologiekritische Überlegungen beantwortet werden kann.

      Die normative Regelung gesellschaftlicher Ordnung bildet den Gegenstand des nachfolgenden Beitrags, in dem Susanne Krasmann das sozialwissenschaftliche Wissen zu »Recht, Norm und Sicherheit« diskutiert. Im Vordergrund steht dabei die Spezifik des Rechts. Wie wirken rechtliche Normen? Was unterscheidet sie von anderen sozialen Normen? Anders als z. B. die Moral lässt sich das moderne Formalrecht nur im Zusammenhang mit der Staatsgewalt verstehen. Von diesem Ausgangspunkt her thematisiert der Beitrag zunächst unterschiedliche sozialwissenschaftliche Ansätze zum Zusammenhang von Recht und Ordnung. Das Spektrum der hierfür relevanten Überlegungen reicht von anthropologischen über liberale, sozialkonstruktivistische und materialistische bis hin zu poststrukturalistisch inspirierten Perspektiven. Ganz im Sinne des disziplinären Selbstverständnisses, alltagsweltliche Illusionen kenntlich zu machen, dienen die Widersprüchlichkeiten des Rechts im Verhältnis zu Gewalt, Ordnung, Gerechtigkeit usw. als Leitgesichtspunkte der Darstellung. Systematisch werden diese hinsichtlich der Legitimität sowie der Legalität des Rechts diskutiert und schließlich mit Blick auf den Wandel des Strafrechts und dessen zunehmende Funktionalisierung für Sicherheitszwecke ausgeführt.

      Zu den ältesten Teilbereichen der Disziplin zählt neben der Rechts- auch die Wirtschaftssoziologie. Letztere steht im Fokus des Beitrags von Christoph Deutschmann zu »Wirtschaft, Arbeit und Konsum«. Die Aufgabe der Wirtschaftssoziologie wird anhand der Infragestellung der klassischen [18]Arbeitsteilung mit den Wirtschaftswissenschaften umrissen, der zufolge diese die Logik wirtschaftlichen Handelns und jene die soziokulturellen Kontextfaktoren betrachtet. Gegen die modelltheoretischen Annahmen der Wirtschaftswissenschaften zeichnet Deutschmann nach, dass die von der vorherrschenden neoklassischen Theorie als ahistorisch unterstellte ökonomische Handlungsrationalität selbst ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung ist, das man zu dem in seiner Wirkungsweise und Dynamik nur verstehen kann, wenn die institutionellen Einbettungen der Wirtschaft nicht als deren äußerlicher Rahmen, sondern als ihre ambivalenten und instabilen Hervorbringungen konzipiert werden. Wirtschaftssoziologische Forschung ziele darauf, die mit der räumlichen sowie sozialen Entgrenzung der Märkte freigesetzte Dynamik zu erfassen, die die gesamte Gesellschaft, das Arbeitsleben und den Konsum inklusive der markteinbettenden Institutionen, Organisationen, Netzwerke und Leitbilder einem fortlaufenden Veränderungsdruck aussetzen.

      Auch der anschließende Beitrag stellt die herkömmliche Scheidung und Entgegensetzung von Wirtschaft und Kultur, von Materiellem und Symbolischem in Frage. Die Kultursoziologie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Diese Transformationen manifestieren sich am augenfälligsten in der Entstehung der Cultural Studies. Unter dem Titel »Kultur, Medien und Technik« erläutert Scott Lash, wie weitgehend unsere Lebensform und ihre medialen Kommunikationsweisen heute technologisch durchdrungen sind. In der Folge nehmen gesellschaftliche Zusammenhänge zunehmend einen verselbstständigten, systemischen Charakter an. Der Beitrag fragt nach den kulturellen Grundlagen dieser Entwicklung, die ganz in der Tradition kultursoziologischen Denkens in den gesellschaftlich vorherrschenden, aber kontingenten Rationalitätsmustern identifiziert werden: einer Kontexten gegenüber unsensiblen, kategorisierenden theoretischen Vernunft und einer individualistischen Zweckrationalität. Lash ruft dagegen die antike Erörterung des Technikbegriffs in Erinnerung und findet in diesem Zusammenhang bei Aristoteles die Alternative einer pragmatistischen, produktiven Vernunft, die sich gegen die neoliberale Vereinnahmung unserer technischen Kultur wenden lässt.

      Auch das Themencluster »Wissen,