Werner Suter

Ökologie der Wirbeltiere


Скачать книгу

Verdauungssystemen ergeben. Der Rahmen dafür ist die natürliche Umwelt, mit der sich das Tier auseinandersetzen muss, was zu verschiedensten physiologischen Strategien im Umgang mit der verfügbaren Energie geführt hat. So verbinden sich physiologische mit ökologischen Fragen – das Merkmal der grenzüberschreitenden Disziplin der Ökophysiologie. Diese Thematik ist Gegenstand des Kapitels 2.

      2. Will man hingegen wissen, wie ein Tier diese Bedürfnisse erfüllt, also die benötigte Nahrung beschafft, steht ein verhaltensökologischer Ansatz im Vordergrund. Die Fragen lauten dann zum Beispiel, wie das Nahrungsangebot räumlich und zeitlich verteilt ist, wie ein Tier die Nahrung nutzen kann (zum Beispiel selektiv oder opportunistisch) und welche Strategie der Nahrungssuche und -aufnahme letztlich zum besten Erfolg, das heißt zur Fitnessmaximierung führt. Theorien und Befunde, Fragen und Antworten dazu bilden das Kapitel 3.

      Energie wird aufgenommen und für verschiedene Zwecke wieder verbraucht. Der Energiefluss lässt sich mittels eines Energiebudgets beschreiben und seine Bilanz berechnen. Als Maßeinheit für die Energie wird in der Regel das Joule (J) respektive das Kilojoule (kJ) verwendet; früher wurde eher mit Kalorien (cal) gerechnet, wobei 1 J = 0,239 cal oder 1 cal = 4,186 J. Wird eine Energieangabe gemacht, so sollte stets hinter der Einheit ( Joule oder Kalorie) die Art der Energie genannt werden, wie im folgenden Energiefluss-Schema (Abb. 2.1) ausgedrückt.

Image

      Abb. 2.1 Vereinfachtes Schema des Energieflusses durch den Körper. Nicht angegeben sind geringere Verluste, die bei den Assimilationsvorgängen und dem Gewebeaufbau (siehe Text) anfallen. Auch die zur Verdauung benötigte Energie, die als Wärme abgegeben wird (diet induced thermogenesis, specific dynamic action), ist ein solcher Verlust, sofern sie nicht zur Balance von Kältestress verwendet werden kann. Der Verlust hängt von der Art der Nahrung und weiteren Faktoren ab und beträgt oft 10–20 %, mitunter sogar 50 % der assimilierbaren Energie; die Verdauung von Protein ist energieintensiv (Barboza et al. 2009).

      Von der aufgenommenen Bruttoenergie GE (gross energy, typischerweise mittels Verbrennungs-Kalorimetrie gemessen) kann nur ein Teil genutzt werden; der andere geht auf verschiedenen Stufen verloren. Zunächst wird das nicht verdaubare Material als Kot F (faeces) ausgeschieden; die verdauliche Energie DE (digestible energy) steht zur Assimilation zur Verfügung. Das Verhältnis von DE zu GE wird oft als Verdaulichkeit der Nahrung bezeichnet (s. Kap. 2.6). Bei der Absorption der Stoffe geht nochmals Energie über Exkrete Ex (Urin, Harnsäure, Hippursäure und andere) verloren; Pflanzenfresser geben auch Methan ab (s. Kap. 2.4). Daraus resultiert die assimilierbare oder verstoffwechselbare Energie ME (metabolizable energy), die nun dem Stoffwechsel zur Verfügung steht. Ein Teil davon, oft sogar der größte Teil, dient der Veratmung R (respiration), welche die für den «Betrieb» des Organismus bei Massenkonstanz nötige Energiemenge bezeichnet. Der andere Teil kann für die Bildung von Körpergewebe P (production) verwendet werden, zunächst für Gewebeersatz und das eigene Wachstum, dann auch zur Reproduktion (Gonadenbildung). Da für diese Prozesse nicht die gesamte Energie direkt in die Produktion von Gewebe fließt, sondern auch – produktionstypisch – zusätzliche Wärmeverluste auftreten, kann die reine, nur für die Nettoproduktion (ohne Wärmeverluste) verbrauchte Energie als Nettoenergie NE (net energy) quantifiziert werden. Diese letzte Energiestufe spielt in der Ökologie meist keine Rolle, sondern in der Fütterung landwirtschaftlicher Nutztiere (zum Beispiel als NettoenergieLaktation NEL für die Milchbildung). Damit ergibt sich:

Image

      Generell variieren die verschiedenen Budgetkomponenten in ihrer relativen Bedeutung stark in Abhängigkeit der Nahrung, der Tiergruppe, von Körpergröße, Alter, Jahreszeit und weiteren Faktoren. Oft benötigt der Erhalt der Körpermasse bereits die ganze assimilierbare Energie ME, sodass nichts für Wachstum oder Reproduktion zur Verfügung steht - zum Beispiel in der kühlen Jahreszeit oder während Trockenperioden. Ist ME sogar kleiner als R, so muss auf körpereigene Energievorräte zurückgegriffen werden, wobei das Tier an Masse verliert (s. Kap. 2.7).

      Die Energieausgabe während einer bestimmten Zeitdauer wird als Umsatz (metabolic rate) bezeichnet und in der Regel auf 24 Stunden bezogen. Der dabei erzielte Verbrauch eines normal lebenden Tieres mit allen Aktivitäten ist der Gesamtumsatz. Aus Feldmessungen am wild lebenden Tier stammt der englische Begriff field metabolic rate.

      Der Gesamtumsatz besteht damit aus

      • einem weitgehend festgelegten Teil für den Erhalt der körpereigenen Grundfunktionen, dem Grundumsatz (basal metabolic rate, BMR) und

      • einem äußerst variablen Teil, dem Tätigkeits- oder Arbeitsumsatz, der den Energiebedarf für Verdauung und zusätzliche Temperaturregulation sowie die lokomotorischen Aktivitäten umfasst.

      Falls das Tier in dieser Zeit zudem Körpergewebe aufbaut (Wachstum und Reproduktion oder Anlagerung von Fettreserven), ist die Energieaufnahme entsprechend höher als der Gesamtumsatz.

      Der Grundumsatz ergibt sich aus dem Energiebedarf für die Grundfunktionen der Körperorgane (Exkretion, Atmung, Blutkreislauf, Nervenfunktion, Leberfunktion, etwa 36-50 % des BMR) sowie der Zellfunktionen (Protein- und Lipidumsatz, Ionentransport, etwa 40-56 %). Diese Energiemenge entspricht bei Endothermen (Box 2.1) dem Erhaltungsumsatz bei Ruhe und Fasten innerhalb der thermoneutralen Zone, das heißt, wenn für Wärmeregulation und Verdauung keine zusätzliche Energie aufgewendet werden muss. Oft lässt sich bei Messungen an Wildtieren die Bedingung des Fastens nicht überprüfen und experimentell ist sie bei Pflanzenfressern mit konstant gefülltem Magen-Darm-Trakt nicht ohne Auslösen erheblichen Stresses zu erreichen; beim gemessenen Wert spricht man dann vom Ruheumsatz (resting metabolic rate, RMR). Der BMR ist also unabhängig von irgendwelcher Tätigkeit des Tieres und als solcher ein für Vergleiche geeignetes Standardmaß; Messungen liegen von über 1 200 Vogel- und Säugetierarten vor (White C. R. & Kearney 2013). Der BMR wird oft als reine Funktion der Körpermasse dargestellt:

Image

      Dabei sind BMR = kJ ME pro Tag und W = Körpermasse in kg. Die Werte der Konstanten a und b sind tiergruppenspezifisch. Für Endotherme liegt die Steigung b meist um 0,71–0,75 und a variiert je nach den für Energieausgabe und Körpermasse verwendeten Maßeinheiten (Abb. 2.2 und 2.3; zu beachten ist, dass die Linearität nur eine Folge der doppellogarithmischen Darstellung der Potenzfunktion ist). Der Grundumsatz steigt also weniger stark als die Körpermasse an oder anders gesagt, der relative Aufwand pro Masseneinheit (die spezifische Metabolismusrate) und damit auch der relative Nahrungsbedarf nehmen mit zunehmender Größe ab. Solche Funktionen zwischen Körpergröße und anderen biologischen Parametern werden Allometrie genannt, wobei der Spezialfall der linearen Beziehung mit Exponent = 1 als Isometrie bezeichnet wird.

      Die Skalierung (scaling) mit der Steigung b ≈ 0,73, die als Mittel der Messungen an zahlreichen Tierarten gewonnen wurde, ist nach deren Beschreibung im Jahre 1932 durch den Schweizer Agrar- und Ernährungswissenschaftler Max Kleiber (1893–1976) als Kleibers Gesetz bekannt geworden und wird (aufgerundet auf 0,75) auch als three-quarter rule bezeichnet; sie ist das Kernstück der Metabolischen Theorie der Ökologie (Sibly et al. 2012a). Ob ihr gesetzmäßige Gültigkeit zukommt und welche Mechanismen ihr zugrunde liegen, wird heute wieder intensiv diskutiert (White C. R. & Kearny 2013). Würde die Energieausgabe linear der Körpermasse folgen, ergäbe sich b = 1;