Werner Suter

Ökologie der Wirbeltiere


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ist und auch bei vielen unterschiedlich großen Vögeln und Säugern gefunden wurde. Mit b ≈ 0,73 folgt die Steigung im Mittel tatsächlich enger der Körperoberfläche als dem Volumen, was grundsätzlich damit zusammenhängen mag, dass zahlreiche physiologische Prozesse, wie etwa der Wärmeaustausch über die Haut, über Oberflächen stattfinden. Weil die Steigung dennoch stärker als b = 0,67 ist, dürften mehrere verschiedene Mechanismen zur Allometrie beitragen (McNab 2002; Savage et al. 2004; Glazier 2005; O’Connor et al. 2007). Aktuelle Modelle erklären die Allometrie als Folge begrenzter Möglichkeiten des Energie- und Nährstoffflusses im Körper, wobei die einen auf das Transportnetzwerk fokussieren (West et al. 1997; Banavar et al. 2010; White C. R. & Kearny 2013), die anderen auf Vorgänge, die das Verhältnis zwischen struktureller Biomasse und Metaboliten (Körperreserven) bestimmen (Maino et al. 2014).

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      Abb. 2.2 Grundumsatz (Messung basierend auf Sauerstoffverbrauch pro Zeiteinheit) in Abhängigkeit der Körpermasse von 580 Säugetierarten (offene Kreise: Plazentatiere; gefüllte Kreise: Beuteltiere; gefüllte Rauten: Kloakentiere). Die Kurven sind für verschiedene Verwandtschaftsgruppen eingezeichnet und deren Steigung b angegeben. Die Kurve für alle Säugetierarten ist nicht eingezeichnet; ihre Steigung ist aber fast identisch mit dem b = 0,721, das von McNab (2008) mit einer anderen Methode der Kurvenanpassung gewonnen wurde (Abbildung verändert nach Capellini et al. 2010).

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      Abb. 2.3 Grundumsatz (gemessen in kJ/h) in Abhängigkeit der Körpermasse von 261 Nichtsingvögeln (a; Kurve ausgezogen) und von 272 Singvogelarten (b; Kurve gestrichelt). Zur besseren Vergleichbarkeit sind in (a) und (b) jeweils beide Kurven eingezeichnet. Die Kurvensteigung b beträgt für alle 533 Vogelarten zusammen 0,652. Der BMR liegt im unteren Bereich der Körpergrößen deutlich über dem BMR gleich schwerer Säuger, gleicht sich aber wegen der geringeren Kurvensteigung im oberen Größenbereich jenem der Säugetiere an (aus McNab 2009; s. auch McNab 2012) (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Elsevier,© Elsevier).

      Das Wesen der allometrischen Skalierung des BMR beruht also auf mechanistischen Prinzipien der Physiologie. In je einem Datensatz von 639 Säugetierarten und 533 Vogelarten (Abb. 2.3) erklärte die Körpermasse 96,8 % respektive 94,1 % der Variation, wobei die Korrelationen deshalb so hoch ausfielen, weil die Spanne der involvierten Körpermassen zwischen den kleinsten und größten Arten bei Vögeln und ganz besonders bei Säugetieren riesig ist (McNab 2008, 2009, 2012). Die massenunabhängige Variation ist deshalb ebenfalls von Bedeutung; sie ist sowohl durch phylogenetisch als auch durch artspezifisch gegebene Anpassungen an ökologische Gegebenheiten bedingt. Vögel haben – je nach Masse, weil die Steigungen der Allometrien etwas differieren (Abb. 2.2 und 2.3) – einen um etwa das 1,1- bis 2-Fache höheren BMR als Säugetiere, was auf die Flugfähigkeit zurückgeführt wird; flugunfähige Vögel haben einen ähnlichen BMR wie die Säugetiere (McNab 2012). Bei Letzteren weichen etwa Carnivore und Fledermäuse durch höhere Steigung, Insectivore durch deutlich niedrigere Steigung vom Säugermittel ab (Capellini et al. 2010; Abb. 2.2). Oft wurden solche Unterschiede über die Ernährung erklärt:

      • Bei Arten mit häufiger, gut verdaulicher Nahrung ist der BMR eher höher.

      • Bei Arten mit spärlicher, schlecht verdaulicher Nahrung ist der BMR eher niedriger.

      Ein Beispiel für letztere Gruppe liefern etwa die südamerikanischen Faultiere, deren BMR weniger als 50 % des aufgrund der Körpermasse erwarteten Wertes liegen kann (McNab 2002). Allerdings geht die Spezialisierung auf schlecht verdauliche Pflanzennahrung oft mit bewegungsarmer Lebensweise einher, sodass die relative Höhe des BMR auch mit der Mobilität zusammenhängen kann, wie der Unterschied zwischen Vögeln und Säugetieren nahelegt. Tatsächlich tendieren hoch mobile und unter Prädationsdruck stehende Säugetierarten zu höherem BMR als weniger hektisch lebende Arten (Lovegrove 2000).

      Letztlich ist die Form der Ernährung mit der Körpertemperatur korreliert, die bei herbivoren Säugetieren und (weniger deutlich) Vögeln höher liegt als bei carnivoren Arten (Clarke & O’Connor 2014). Als unmittelbare Messgröße für den Wärmefluss im Körper erklärt die Körpertemperatur in Modellen deshalb die Unterschiede im BMR besser. Säuger in Polargegenden haben etwas höhere Körpertemperatur und einen bis 40 % höheren BMR als direkt vergleichbare Individuen unter tropischen Bedingungen (Clarke et al. 2010). Ähnliches gilt für Vögel: Arten gemäßigter Breiten weisen einen höheren BMR und auch höhere Organmassen (Ausnahme: Gehirn und Verdauungsapparat) auf als eng verwandte und ökologisch äquivalente Arten tropischer Zonen (Wiersma et al. 2007b, 2012; Londoño et al. 2015). Entsprechende Unterschiede treten auch innerhalb einer Art zwischen Populationen auf, die auf unterschiedlichen geografischen Breiten leben (Maggini & Bairlein 2013).

      Trotz seiner Eignung als Vergleichsmaß ist der Grundumsatz nicht die minimal mögliche Energieausgabe eines Individuums! Der Energiebedarf der Grundfunktionen von Zellen und Organen ist nicht statisch, und so kann der BMR durch Schlaf, Unterernährung, Dehydrierung oder Torpor respektive Winterschlaf (Kap. 2.7) weiter reduziert werden. Der BMR ist damit auch alters-, tages- und jahreszeitenabhängig; oft ist er zum Beispiel bei Jungtieren höher. Untersuchungen an Vögeln haben gezeigt, dass der BMR selbst kurzfristig an veränderte Bedingungen angepasst werden kann, etwa bei Langstreckenziehern, die sich im Jahresverlauf in höchst unterschiedlichen klimatischen Umgebungen aufhalten (McKechnie 2008).

      Lange wurden Tiere bezüglich ihres Wärmehaushalts in Warmblüter (Vögel und Säugetiere) und Kaltblüter (Fische, Amphibien und Reptilien sowie alle Wirbellosen) eingeteilt, später anhand der Konstanz der Körpertemperatur in Gleichwarme (Homoiotherme) und Wechselwarme (Poikilotherme). Diese Klassifizierung wird der thermobiologischen Vielfalt aber bei Weitem nicht gerecht, denn auch viele Gleichwarme können ihre Körpertemperatur zur Energieersparnis absenken (Kap. 2.7). Heute wird eher die Herkunft der Wärme in den Vordergrund gestellt. Endotherme (Vögel und Säuger) produzieren Körperwärme weitgehend selbst über ihren Metabolismus, während die Exothermen (übrige Gruppen) hauptsächlich auf externe Wärmequellen zurückgreifen. Allerdings sind zum Beispiel auch Insekten in der Lage, während ihrer Aktivitätsphase eine hohe, streng regulierte Körpertemperatur einzuhalten.

      Welches sind die Vorteile der Endothermie? Die «Energieeffizienz» ist bei endothermen Organismen mit ihrem großen Aufwand für die Respiration viel kleiner als bei exothermen; es bleibt ihnen im Mittel etwa 2 % der Energie für die Produktion von Körpergewebe, gegenüber 50 % bei Exothermen. Deshalb stellt sich die Frage nach den Vorteilen konstanter Körpertemperatur, und damit nach der Evolution von Endothermie – die übrigens bei Vögeln und Säugern jeweils unabhängig entstand.

      Traditionelle Erklärungsversuche über die physiologische Leistungsfähigkeit (aerobic capacity) oder die Thermoregulation heben hervor, dass Endothermie

      • Aktivitäten ohne Abhängigkeit von Sonneneinstrahlung möglich macht – zum Beispiel sind sehr viele Säuger nachtaktiv – und höhere Ausdauerleistungen zulässt,

      • die konstante Möglichkeit bietet, auf äußere Stimuli zu reagieren, etwa bei der Nahrungssuche oder der Feindvermeidung,

      • die Besiedlung kälterer Gegenden auch für terrestrische Tiere möglich macht,

      • Torpor (Kältestarre) dennoch zulässt, zum Beispiel in Form von Winterschlaf und Winterruhe bei Säugern und in einem Fall bei Vögeln (Kap. 2.7).

      Eine neuere, breiter abgestützte Theorie führt das Entstehen der Endothermie auf die Evolution der Brutpflege (Kap. 4.5) zurück, welche aus verschiedenen Gründen auf konstant hohe Körpertemperatur angewiesen ist (Farmer 2000; Koteja 2004). Ein formaler Test von Modellen mit Daten von Nagetieren fand jedoch größeren