somit zu einer Stabilisierung von Netzwerkbeziehungen beitragen. Die auf Transaktionskosten zentrierte Sicht wird durch das embeddedness-Argument von Granovetter aus der neuen Wirtschaftssoziologie entscheidend erweitert. Demnach ist ökonomisches Verhalten in sozioinstitutionelle Beziehungen eingebettet und untrennbar mit diesen verbunden. Eine Erweiterung liegt in der Einbeziehung temporärer Organisationsformen, insbesondere von Projekten, die aufgrund der zeitlichen Befristung und räumlichen Arbeitsteilung spezielle Ansprüche an die Koordination der Zusammenarbeit stellen. Kapitel 10 konkretisiert die organisationstheoretische Behandlung von Koordinationsproblemen auf regionaler Ebene und erörtert Ansätze zur Erklärung geographischer Cluster. Mit Industriedistrikten und innovativen bzw. kreativen Milieus werden zudem zwei Konzepte lokalisierter Produktionssysteme dargestellt, in denen die Einbindung regionaler Produktionsnetze in sozioinstitutionelle Zusammenhänge zum Ausdruck kommt. Dabei zeigt sich, dass beide Ansätze eine größere konzeptionelle Nähe aufweisen, als man zunächst annehmen würde. Das Kapitel stellt mit Porters Analyse der Bestimmungsfaktoren nationaler Wettbewerbsvorteile einen Ansatz vor, der Wettbewerbsvorteile aus Spezialisierungsprozessen auf nationaler Ebene ableitet und neue Wege in Richtung einer evolutionären Perspektive wirtschaftlicher Entwicklung aufzeigt. Kapitel 11 erweitert die räumliche Perspektive von lokalen Produktionssystemen hin zu Prozessen der Internationalisierung und zu globalen Formen der Unternehmensorganisation. Hierbei wird der wechselseitige Zusammenhang zwischen Standortstruktur, Organisationsstruktur und Unternehmensstrategien herausgestellt und das Verhältnis von Staaten zu Großunternehmen unter dem Aspekt von Machtprozessen diskutiert.
Teil 5 befasst sich mit der Dimension der Evolution. Zunächst rekapituliert Kapitel 12 klassische regionale Entwicklungstheorien und diskutiert die Aussagen und Ansprüche unterschiedlicher, zum Teil einander entgegengesetzter Modelle. Während die neoklassische Wachstumstheorie interregionale Ausgleichstendenzen zur Herstellung eines stabilen Gleichgewichts postuliert, propagieren die empirisch geleiteten polarisationstheoretischen Ansätze eine dauerhafte Kumulation räumlicher Ungleichgewichte. Mit dem Ansatz der von Krugman entwickelten geographical economics wird ferner ein Erklärungsansatz beleuchtet, der die Entstehung regionaler Industrieballungen und kleinräumiger Industriespezialisierungen modelliert und unter bestimmten Bedingungen dauerhafte räumliche Disparitäten erklärt. In der sogenannten geographischen Ökonomik (geographical economics) werden regionalökonomische Entwicklungen als historische, pfadabhängige Prozesse modelliert, gleichzeitig aber wird die Einbindung institutioneller Kontexte vernachlässigt. Kapitel 13 führt das Konzept evolutionärer Dynamik ein und stellt organisationsökologische Ansätze der Entwicklung von Unternehmen und Industrien vor. Im Kontext der Unternehmensentwicklung werden Unternehmensgründungen auf die sozioökonomischen Kontexte der Gründer zurückgeführt. Dies führt dazu, dass Gründungsideen dort realisiert werden, wo die Gründer arbeiten und leben. Eine echte regionale Standortentscheidung findet dabei oftmals nicht statt. Durch Rückgriff auf das Modell industrieller Entwicklungspfade von Storper und Walker und andere Konzepte evolutionärer Entwicklung wird gezeigt, wie bei der Entwicklung neuer Industrien regionale Clusterprozesse entstehen. Dies wird an den Beispielen der Entwicklung von Hightechindustrien verdeutlicht. Schließlich werden neuere Ansätze einer evolutionsökonomischen Wirtschaftsgeographie diskutiert.
Teil 6 befasst sich mit der Dimension der Innovation. Kapitel 14 verknüpft die evolutionäre Perspektive mit Konzepten kollektiven Lernens. Im Unterschied zu traditionellen Ansätzen, die von gegebenen Technologien ausgehen, konzentrieren sich die Ausführungen auf den Prozess der Wissens- und Technologiegenerierung. Hierbei wird die Entstehung neuen Wissens und neuer Technologien dem evolutionsökonomischen Ansatz von Dosi folgend als kumulativer, pfadabhängiger Prozess angesehen, der auf Lernprozessen und Erfahrungswissen basiert. Innovationen sind in dieser Konzeption eine Konsequenz des Voranschreitens bestimmter technologischer Entwicklungspfade. Dabei spielen Interaktionen zwischen den beteiligten Akteuren, reflexive Verhaltensweisen sowie vielfältige Feedback-Schleifen eine zentrale Rolle. Aus diesem Grund wird der von Lundvall beschriebene Prozess des learning by interacting hervorgehoben und es wird betont, dass Innovationsprozesse in regionalen Zusammenhängen besonders effizient organisiert werden können, wenn dabei nicht-kodifiziertes, sich schnell veränderndes Wissen bedeutsam ist, das nicht beliebig an andere Akteure und Orte transferiert werden kann. Zudem werden Aspekte des Lernens durch Beobachtung (ohne direkte Interaktion) thematisiert. Kapitel 15 bindet den technologischen Wandel unter Bezugnahme auf die Theorie der langen Wellen nach Schumpeter in eine gesamtwirtschaftliche Sicht der langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung ein. Da diese Konzeption problematische technologische Determinismen enthält, werden mit der neoschumpeterianischen Variante des Paradigmenwechsels nach Freeman und Perez und insbesondere mit der Regulationstheorie in Anlehnung an Boyer und Lipietz zwei Ansätze dargestellt, die die wirtschaftlich-technischen und gesellschaftlich-institutionellen Strukturen in einen Gesamtentwicklungszusammenhang zusammenführen. Davon ausgehend wird der Ansatz der varieties of capitalism nach Hall und Soskice diskutiert, der aus institutioneller Perspektive unterschiedliche nationale Spielarten marktwirtschaftlicher Systeme begründet. Diese können zu nationalspezifischen Innovationspfaden führen und ermöglichen somit eine Verbindung zum Ansatz der Innovationssysteme. Das Kapitel geht auch der Frage nach, inwiefern sich geographische Innovationssysteme auf unterschiedlichen Maßstabsebenen ausbreiten und wie diese im internationalen Vergleich entstehen und funktionieren. Hierbei werden Innovationsprozesse auf regionaler und nationaler Ebene diskutiert und anhand von Beispielen erläutert.
2Zu einer relationalen Wirtschaftsgeographie
2.1Geographie im Paradigmenwechsel
In diesem Kapitel legen wir die zentralen Argumente einer relationalen Sichtweise in der Wirtschaftsgeographie dar und unterscheiden ihre Grundperspektive von traditionellen wirtschaftsgeographischen Denkweisen. Hierzu werden neben der Bedeutung von Kontextualität, Pfadabhängigkeit und Kontingenz vier grundlegende Aspekte des Wirtschaftsprozesses in das Zentrum der Theoriebildung gestellt: Interaktion und Institution, Organisation, Evolution und Innovation. Damit soll ein fundiertes Verständnis der einzelnen Ansätze in einem größeren theoretischen Rahmen ermöglicht werden. Zuvor aber diskutieren wir die Idee von Paradigmenwechseln in allgemeiner Geographie und Wirtschaftsgeographie und illustrieren diese am Beispiel der Fachentwicklung in Deutschland.
Die Beobachtungen und Theorien, die Wirtschaftsgeographen formulieren, sind dabei stets geprägt von deren Fach- und Wissenschaftsverständnis. Wenngleich sich die Perspektiven einer Disziplin nicht sprunghaft ändern und sich meist auch nicht exakt datieren lassen, so ist es dennoch möglich, unterschiedliche Auffassungen, Methoden, Interessen und Vorgehensweisen charakteristisch von anderen zu unterscheiden. Auch die Theoriegeschichte der Wirtschaftsgeographie, so ein Argument dieses Buchs, kann einer solchen Unterscheidung unterzogen werden. Dies ist hilfreich, um einen kontextbewussten Zugang zu den Voraussetzungen und Inhalten ihrer Behauptungen zu schaffen und damit gleichsam eine differenzierte Kritik zu ermöglichen. Wir stellen daher zunächst das Konzept des Paradigmas vor und skizzieren anschließend eine wenn auch vereinfachte Unterscheidung der drei großen Paradigmen wissenschaftlicher Geographie. Um unsere Argumentation in Bezug auf die Paradigmen und Paradigmenwechsel in der allgemeinen Geographie und in der Wirtschaftsgeographie klar herauszuarbeiten, werden wir uns gezielt auf zentrale Aussagen ausgewählter Ansätze konzentrieren und andere nur verkürzt oder gar nicht darstellen. Dies hat vor allem didaktische Gründe.
Richtungweisend für die Konzipierung und Abbildung der Wissenschaftspraxis in Form von Paradigmen ist die Arbeit von Kuhn (1962) über die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, die als Kritik aus der Idee eines linearen, kumulativen Erkenntnisfortschritts entstanden ist. Ein Paradigma kann danach definiert werden als eine Menge von wissenschaftlichen Leistungen, die ähnlichen Regeln hinsichtlich ihrer theoretischen Perspektiven, Basisbegriffe, Erklärungsansätze und Methoden unterliegen (Harvey 1969, Kap. 2). Ein Paradigma beschreibt eine sozial akzeptierte Forschungstradition, die Wissenschaftlern etabliertes Schulwissen bereitstellt (Kuhn 1962). Dabei strukturiert ein Paradigma nicht etwa nur Lösungsansätze, sondern gibt implizit in seinen Regeln auch die schulmäßigen Forschungsprobleme bzw. „Rätsel“ vor. Klassisches Beispiel eines herausragenden Paradigmas in den Naturwissenschaften ist die Newton’sche Physik, in der die Existenz kosmischer Kräfte in einem unveränderlichen, absoluten Raum angenommen