Harald Bathelt

Wirtschaftsgeographie


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werden).

      Das Raumordnungsgesetz aus dem Jahr 1965 bejahte Konzentrationen und strebte explizit sogar eine weitere Verdichtung von Wohn- und Arbeitsstätten an. Die Grenze des Verdichtungsprozesses wurde darin über gesunde Strukturen und ausgewogene Lebensverhältnisse allerdings eher verschwommen formuliert. Wann und unter welchen Bedingungen Verdichtungen als unausgewogen zu betrachten waren, wurde nicht operationalisiert. Bei der Abgrenzung von Verdichtungsräumen als Regionen mit einer Bevölkerungsdichte von mehr als 1250 Einwohnern pro km2 – einer Abgrenzung, die häufig Verwendung fand – entfielen auf diese Raumkategorie im Jahr 1970 etwa 7 % der Fläche der Bundesrepublik Deutschland, 45 % der Wohnbevölkerung und 55 % der Beschäftigten.

      In den 1970er-Jahren erkannte man aber auch, dass es Gebiete mit negativen Verdichtungsfolgen gab. Ausdruck hiervon waren eine zu starke bauliche Nutzung in Relation zu den bestehenden Freiflächen, ein zu hoher Zeitaufwand beim Zurücklegen der Entfernungen zwischen Wohn- und Arbeitsstätte sowie eine Überlastung der Infrastruktur. Bei der Novellierung des Raumordnungsgesetzes Ende der 1980er-­Jahre wurden derartige Verdichtungsnachteile berücksichtigt und der Vorrang der Verdichtung aufgegeben (Tönnis 1995). Ziel der Raumordnung ist demnach einerseits die Vermeidung zu starker Verdichtung, andererseits aber auch die Verhinderung von Zersiedlungserscheinungen. Unter dem Prinzip der dezentralen Konzentration wird eine begrenzte Konzentration der Funktionen Wohnen und Arbeiten auf Verdichtungskerne, eine Entlastung dieser Verdichtungen durch kleine Konzentrationen am Verdichtungsrand und außerhalb der Verdichtungen sowie eine Konzentration der Infrastruktur auf bestimmte Achsen angestrebt (Stiens 2004). Grundlage dieser räumlichen Steuerung ist die Klassifikation siedlungsstruktureller Regionstypen die von der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) 1993 beschlossen und auf Ebene der Gemeinden abgegrenzt wurde (BBSR 2009). Die Abgrenzung basiert auf den beiden Kriterien der Siedlungsdichte (Einwohner je km² Siedlungsfläche) und des Anteils der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche. Aus der Kombination dieser Kriterien werden insgesamt sieben Regionstypen differenziert, die von hoch verdichteten Agglomerationsräumen bis hin zu ländlichen Räumen geringer Dichte reichen (→ Abb. 4.5). Zu den Verdichtungsräumen gehören Gemeinden, deren Fläche im Vergleich zum Bundesdurchschnitt überdurchschnittlich als Siedlungs- und Verkehrsfläche genutzt wird und die gleichzeitig eine über dem Bundesdurchschnitt liegende Siedlungsdichte aufweisen. Wesentliches Kriterium eines Verdichtungsraums ist ferner, dass dort mehr als 150 000 Einwohner leben. Insgesamt ist über die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung in Verdichtungsregionen konzentriert.

Abb_04-05

      Abb. 4.5 Verdichtungsräume in Deutschland (nach BBSR 2009)

      Ländlicher Raum ist ein Begriff, der aus dem Dualismus Stadt versus Land hervorgegangen ist. In dualistischer Sichtweise wurden Städte traditionell als Industrie- und Dienstleistungsstandorte mit hoher Verdichtung, als kulturell geprägte Raumeinheiten sowie als Gebiete mit neuen Gesellschaftsstrukturen und sich verändernden Werten angesehen. Demgegenüber galt das Land als gering verdichtet, agrarisch geprägt, durch natürliche Bedingungen bestimmt und mit traditionellen Strukturen und Werten in Form einer spezifischen ländlichen Lebensweise geprägt (Henkel 1993). Als mögliche Nachteile von Verdichtungen in den 1970er- und 1980er-Jahren erkannt wurden, richtete sich das Augenmerk stärker auf Räume außerhalb von Verdichtungen. Hierbei wurde der ländliche Raum als Restkategorie erfasst und entsprechend abgegrenzt: so etwa als strukturschwach ländlich geprägt und mit Ausgleichs- und Erholungsfunktionen besetzt (Herdzona 1995; Maier und Weber 1995).

      Die in der Raumordnung verwendete Unterscheidung zwischen Verdichtungsräumen und ländlichen Räumen schafft allerdings einen künstlichen Dualismus und ist höchst problematisch. So ist der ländliche Raum traditioneller Prägung heute kaum noch existent, jedenfalls nicht in flächenhafter Form. Der historische Stadt-Land-Gegensatz ist weitgehend überholt. In heutiger Zeit findet man außerhalb der Städte verbreitet städtische Lebensformen, zugleich aber innerhalb der Städte ländliche Lebensweisen. So haben sich in einzelnen Stadtteilen großer Städte teilweise ländlich-dörfliche sozio-kulturelle Milieus erhalten. In jedem Fall ist es fragwürdig, ländlich mit strukturschwach oder gar zurückgeblieben gleichzusetzen (z. B. Zakrzewski 1998) und städtisch automatisch mit strukturstark. Wenn man schon von derartigen Resträumen spricht, wäre es besser in differenzierter Weise ländliche Räume am Rande von Verdichtungsräumen mit hoher Dynamik, ländliche Räume mit noch ungenutzten Entwicklungspotenzialen und strukturschwache ländliche Räume mit Abwanderungstendenzen von Bevölkerung und Wirtschaftsaktivitäten zu unterscheiden (Maier und Weber 1995).

      Die hier dargelegten Argumente zeigen, dass wirtschaftliche Aktivitäten nicht gleichmäßig im Raum verteilt sind, sondern dass Produktionsprozesse unterschiedlich organisiert sind und dass diese Organisationsstruktur räumlich variiert. Aufgrund dessen entstehen räumliche Industrieballungen und Industriespezialisierungen. Aus ökonomischer Sicht würde man von räumlichen Ungleichgewichten sprechen. Dabei stellt sich die Frage, ob räumliche Ungleichgewichte normal sind und langfristig erhalten bleiben, oder ob es Tendenzen gibt, die derartige Ungleichgewichte fördern oder ihnen entgegenwirken. Hierbei ist es wichtig, geeignete Maßzahlen und Methoden zur Messung räumlicher Verteilungen zu verwenden.

      Nachdem die Bedeutung räumlicher Disparitäten diskutiert worden ist, sollen nachfolgend in knapper Form Methoden dargestellt werden, die es ermöglichen, Art und Ausmaß räumlicher Ungleichheiten empirisch zu ermitteln. Hierzu ist es zunächst einmal notwendig, die Struktur räumlicher Verteilungen möglichst exakt zu messen, um Ungleichheiten und damit Disparitäten überhaupt identifizieren zu können. Dies geschieht mit Hilfe von Parametern der Strukturanalyse. Darauf aufbauend lassen sich Methoden der Wachstumsanalyse einsetzen, um Hinweise über Veränderungen von Standortverteilungen zu erlangen. Ausgangspunkt der folgenden methodischen Diskussionen sind regional und sektoral differenzierte Beschäftigtenzahlen aller Regionen eines Gesamtraums (z. B. einer Volkswirtschaft). Anhand dieser Daten sollen räumliche Verteilungen gemessen und Disparitäten aufgedeckt werden. Ausgehend von n Regionen (i = 1, . . ., n) und m Sektoren (j = 1, . . ., m) wird dabei folgende Notation verwendet:

      Beschäftigte in Region i und Sektor j: Fo_003

      Beschäftigte aller Sektoren

      in Region i: Fo_004

      Beschäftigte des Sektors j

      im Gesamtraum: Fo_005

      Beschäftigte aller Sektoren

      im Gesamtraum: Fo_006

      Um eine räumliche Verteilung zu beschreiben, könnte man zunächst die Beschäftigtenzahlen eines Sektors in allen Teilregionen des Gesamtraums miteinander vergleichen, um festzustellen, wo dieser Sektor die größten räumlichen Konzentrationen aufweist. Diese Vorgehensweise ist aber insofern problematisch, als Absolutzahlen zu dem Ergebnis führen würden, dass große Regionen, wie z. B. städtische Agglomerationen, in praktisch allen Sektoren die größte Konzentration aufweisen und Regionen außerhalb der Metropolen fast überall nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das liegt daran, dass Absolutzahlen keinen Rückschluss darauf zulassen, wo relative Ballungen und Spezialisierungen bestehen. Die Größe einer Region bleibt dabei unberücksichtigt.

      Um räumliche Disparitäten zu messen, kann man alternativ Maße der deskriptiven Statistik wie etwa absolute und relative Streuungsmaße oder Konzentrationsmaße verwenden (Bahrenberg et al. 1990, Kap. 4.2). Darauf soll im Folgenden aber nicht weiter eingegangen werden.