wispert den beiden jemand in der Menge zu: „Der König kommt!“ Nach einer Weile „erschienen fremde Gesandte Japaner u. Chinesen, werden gebührend bestaunt“. Ein Nebenstehender meint „sehnse nich den da oben in dem grünen Überzieher?“ „Schon, was ist es denn für ein Tierchen?“ „August!“ meint der Mann neben den Jugendlichen stolz. Plötzlich kommen Gendarmen, treiben die Neugierigen zurück und halten den Verkehr an. Doch es ist nichts, August geruhte „die geduldigen Patrioten zu veralbern“. Er geht zurück, der abgesperrte Verkehr kann passieren. So geht es noch zwei Mal. Der Wachtmeister schwitzt bis unters Kinn und schimpft. Der König kommt schließlich herausgefahren, grüßt und ist verschwunden. Die Belohnung für zwei Stunden Warten. „Ein Lächeln zu erhaschen ist ja schon soviel.“ Im Großen Garten isst die Gruppe ihr Mittag und gibt sich dem Betrachten des Gartens hin: „Die Augusts, Johannen und wie sie sich […] schimpfen mögen, haben es verstanden das Volk bis aufs letzte auszubeuten, aber um ihre Maitressen zu befriedigen, haben sie alles getan, und mit entschiedenem Geschmack.“
„Anschließend wird ausgiebig […] das Elbsandsteingebirge durchwandert und von Herrnskreschen mit dem Schiff die Grenze nach Österreich ,überfahren‘. Die Jungen Grübeln. Neben „dem Kuhstall […] liegen wir und schauen in die Wolken […] Mein Herz schweige doch, schrei nicht so laut, befriedigt wirst du nicht werden ich bin ja nur ein Prolete, nur ein dreckiger Handwerksbursche und will ich doch die Welt besitzen! Nur Mühe und Arbeit hat sie für uns, […] solange müssen wir […] freudlos über den Boden der Erde gehen. Es ist eine traurige Zeit“.
Anschließend am Südrand des Erzgebirges entlang über Teplitz, Dux, Brüx nach Karlsbad. Karlsbad ist kein angenehmer Ort für Handwerksburschen. In Elnbogen, einem alten, malerischen Ort an der Egerschleife wartet noch heute der Herbergswirt auf 70 Heller […]. Über Eger ins Fichtelgebirge. Herunter nach Marktredwitz, Nürnberg. Der Leiter im Jugendbildungsverein Leipzig hat ihnen eingeschärft, auf jeden Fall das Germanische Museum zu besuchen. Zwei Mark Eintritt ist allerhand für die Kasse. Zum Direktor. Nach kurzem Verhör bekommen sie eine Freikarte und können die Kontrolle passieren. Über Ingolstadt nach München. Im Hofbräuhaus trinken sie tapfer eine Maß und schwanken hinaus zur Bavaria, um die südlich im Abendlicht grüßende Alpenkette zu bewundern. Gesprochen wird nicht viel. Die Jungen sitzen staunend mit lahmen Waden auf den Stufen und freuen sich über die fernen Schneehäupter. Die nächste Station ist Starnberg. In dem kleinen Ort Weilheim machen sie ausnahmsweise in einem Gasthaus Nachmittagsrast, weil es draußen heiß ist. Als sie zahlen wollen, hat ein älterer Herr im Voraus ihre Zeche beglichen. Hat er an seine jungen Jahre gedacht? Anderntags trennen sie sich. Walter fängt in Peißenberg als Bautischler an. Ganze zwölf Tage hat er es ausgehalten, bevor er in Garmisch aufkreuzt. Am Abend, Otto ist gerade zu Bett, hat an Walter gedacht, steht dieser bei ihm vor der Tür. Jetzt hat er in Garmisch Arbeit. Die beiden wollen hier arbeiten und gemeinsam ihre Tour fortzusetzen.
Gearbeitet wird, wo sich Stellen bieten. In Garmisch treten Walter und Otto eine Arbeit an und feiern Wiedersehen mit Alfred, der einen anderen Weg genommen hat. Die Feier wird lang, die drei gehen am Samstag spät zu Bett. Im Glauben, es sei Montagmorgen, tritt die Gruppe am Sonntagnachmittag unter dem Gelächter der Spaziergänger den Weg zur Arbeit an.43 Nach einer Woche wandern die drei weiter: Diese Zeit ist schön. Jeden Sonn- und Feiertag auf die Berge! Unvergesslich, unvergesslich ist ein Aufstieg auf den Krottenkopf zum Sonnenaufgang unter Führung Garmischer Naturfreunde.44 Pünktlich 5 vor 10 Uhr sind die beiden am Treffpunkt. Die Naturfreunde nicht. Warten bis halb elf. Es will sich niemand sehen lassen. Endlich um 11 Uhr haben die Jungen einen aufgegabelt. Es wird halb Mitternacht. Nach Partenkirchen. Um Mitternacht gehen sie auf St. Anton. Sie sind froh, überhaupt jemand erwischt zu haben, der mit ihnen geht. Sie gehen in die dunkle Nacht hinaus, einem unbekannten Ziele zu. Eine Laterne wird angezündet. Über ihnen funkelt der klare Nachthimmel. Im Tal leuchten die Lichter von Garmisch und in der Ferne liegt eine dunstig kohlschwarze Masse, die Berge. Nach der Wanderung legen sich die Jungen um 2 Uhr nachmittags schlafen, um halb sechs abends aufzuwachen. Sie meinen es sei 6 Uhr morgens. Um eine Erfahrung reicher, bleibt Otto misstrauisch und geht, um sich zu überzeugen. Auf der Straße trifft er Walter, der mit dem Leimtopf in furchtbarer Hast auf die Arbeit rennt – am Sonntag.
Die beiden gehen Klettern. Otto fasst einen Steinvorsprung, um sich hinaufzuschwingen, aber wie er ihn fasst, fällt er herunter, ein zweiter stürzt hinterher. Er ruft nach unten „Walter duck dich aber schnaks! Geh auf die Seite!“ Von unten ruft Walter: „Was hast denn Du?“ „Gottverdammich ich kann sie kaum halten!“ Kaum ist Walter außer Schussweite, stürzen die Steine an ihm vorbei: „Wie wäre es geworden, wenn ich nicht fest gewesen wäre? Gewiss nicht gut für alle beide“, meint Otto.45 Walter hat genügend zu tun, um den Gesteinen Steinen aus dem Wege zu gehen. Die beiden werden vorsichtiger.
„Höllentalklamm, Wachenstein, Kramer und Loisachtal, Eibsee und all die anderen Perlen einer herrlichen Landschaft, gesehen mit jungen, schönheitsdurstigen Augen, ein Erleben, nicht durchreist, sondern erarbeitet, erwandert. Ein achtzehnjähriger Mensch kennt noch nicht die ganze Härte des Lebens. Ihm steht noch viel Sonne im Augenwinkel, und genügend Muskelspannung ist da, um heranzuholen, was nur irgend möglich ist. Große Pläne werden geschmiedet. In Turin ist die Weltausstellung. Wenn wir nicht von Venedig aus nach Ägypten können, dann über die oberitalienischen Seen nach Mailand und Turin.“ „Venedig, Gardasee, Mailand. Wenn dann noch das Nötige vorhanden ist, geht’s von hier nach Turin, in die Ausstellung, und sollten wir dann noch nicht den Mut verlohren [sic] haben, an die Riviera.“46
Über Mittenwald zieht die Gruppe nach Innsbruck weiter. „In Scharnitz Passkontrolle, Handwerksburschen werden mit besonderer Liebe beaugscheinigt. Doch unsere Papiere sind klar, und der vorschriftsmäßige Reisegroschen ist auch da“47. Doch die drei müssen sich trennen, da Alfred als Ausgehobener zum Militär keine Ausreiseerlaubnis hat. Ziel ist der Brenner. Dann wird der Jaufenpass überstiegen. Gestern noch im Norden, heute im Lande des Weines und südlicher Flora. Ein fast zu schroffer Übergang. Meran. Durchs breite, weinfröhliche Etschtal nach Bozen, zum Denkmal Walthers von der Vogelweide, und nun durchs romantische Eggental auf den Karerpass mit den beiderseitig bizarren Dolomitenbergen. Über Cavalese zurück ins Etschtal und nach Trient. In Trient wird Reisegeld vom Österreichischen Metallarbeiterverband48 abgehoben und die Kasse saniert. Über Pergine ins Suganertal. Trotz der Gemeinsamkeiten gibt es Spannungen. Otto hat eine Aussprache mit Walter und meint, er wolle von Venedig aus nach Wien, „wenn [sich] nicht bis dahin die Schlaferei und das Fressen […] ändert. […] So schön auch die Walzerei hier sein mag […], sobald die Walzbrüder nicht richtig harmonieren, [ist] es besser, wenn jeder seiner Wege geht“49. An der italienischen Grenze werden die beiden herzhaft gefilzt und mit einem Fußtritt ins Heilige Römische Reich eingelassen. Dann Bassano und per Eisenbahn in die Poebene.
Der weite, unbegrenzte Blick über diesen gesegneten Landstrich tut gut nach dem ewig begrenzten Sehen in den Bergen. Bis Mestre war, als ob man durch einen wohlbestellten Garten fahren würde. Jetzt liegt jenseits der Lagunenbrücke Venedig vor ihnen. Ein Traum erfüllt sich. Als sie den Bahnhof verlassen, müssen sie sich auf die Bahnhofstreppe setzen, so ein verwirrendes Bild tut sich auf. Der Süden mit seinen glänzenden Farben, dem leichthin trällernden Leben, dem Stimmengewirr sich anbietender Führer, Fruchtverkäufer, randalierender Bengel, stöckelschuhbehackter tändelnder Damen und kein Wagen – wie traumhaft wirkt das alles auf den Fremdling.
„Vor dem Bahnhof der Gondelverkehr. Statt fester Straßen‚ Wasser. Nicht im kühnsten Spintisieren als Junge habe ich geglaubt, eines Tages auf der Bahnhofstreppe in Venedig zu sitzen. Jetzt sitze ich da, fest und sicher. Aber alles Staunen weicht kühler Überlegung, und wir suchen mit Hilfe der Polizisten unter Gebrauch lebhaftester Gebärdensprache das Asyl für unbemittelte Reisende. Dort angekommen, wirft man uns kurzerhand […] hinaus, mit dem Bescheid, am Abend wiederzukommen. Zwei Tage Venedig. Wie eine unvergleichliche Kulturschatzkammer, wie ein Museum ist diese schwebende, schwimmende Stadt. Nach einem fröhlichen Nachmittag im Volksbad auf dem Lido geht die Reise weiter nach Padua. Dann per pedes apostolorum nach Vicenza, Verona.“50 Aus Italien schickt Walter der Familie in Leipzig Briefe über die „herrlichen Kunstwerke“, die er mit Otto besichtigt hat.51 „Die schreckliche Hitze macht uns mürbe, und statt nach Mailand