Florian Heyden

Walter Ulbricht. Mein Urgroßvater


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Einheit wählt einen Soldatenrat und löst sich auf. Mit einem Transportzug fährt Walter durch die Ardennen bis nach Frankfurt und von dort auf dem Tender einer Lokomotive nach Leipzig.90

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      Revolutionär

      Der Kaiser hat abgedankt, die Republik ist ausgerufen, doch für viele ändert sich wenig an Armut und Misere. Lebensmittel, Rohstoffe und Heizmaterial sind knapp, Deutschland ist ruiniert. Der Krieg hat Millionen Verwundete und Tote gefordert. Jetzt heißt es wählen – bürgerliche Republik oder Sowjetdeutschland.

      Schon am 3. November 1918 bildet sich auch in Leipzig ein Arbeiterrat, drei Tage darauf ein Soldatenrat. Die Revolution breitet sich jetzt über ganz Sachsen aus, knapp 500 Soldaten ziehen mit einer aus einem Tischtuch improvisierten roten Fahne zum Volkshaus und ziehen sie auf. Der Bürgermeister befürchtet, die Revolutionäre wollten das neue Rathaus stürmen, und wendet sich ohne Erfolg an die Leipziger Militärkommandantur mit der Bitte um Hilfe. Der Kommandant meint per Telefon, er sei selber machtlos.

      Als Walter in Leipzig ankommt, ist die Stadt längst komplett in der Hand der Revolutionäre. Mitglieder des Spartakusbunds besetzen die Propaganda- und Pressestelle des Generalkommandos. Mit dem Waffenstillstand treffen jetzt auch die Leipziger Truppen zurück in der Garnison ein. Zur Begrüßung der heimkehrenden Soldaten steht Leipzig im Flaggenschmuck. Höhepunkt ist der Empfang der Reste des Infanterie-Regiments 106 auf dem Marktplatz. Beim Einzug „überwiegen die sogenannten nationalen Farben, immerhin sind die roten Fahnen nicht selten“91. Nur ein kleiner Teil der Truppe demobilisiert in den Kasernen, die meisten in Schulen und Quartieren im Umland. Die Heeresleitung will um jeden Preis verhindern, dass Revolutionäre wie Walter mit den Soldaten in Kontakt kommen oder die Bildung der vorläufigen Reichswehr behindern.

      Walter behält seine Uniform vorerst weiter an und bleibt faktisch Soldat. Nach seiner Ankunft arbeitet er als Tischler bei Heinrich Gündel.92 Fast täglich sitzt er mit anderen Jungrevolutionären zusammen und bespricht, was zu tun ist. Bereits eine Woche später beginnt er im Arbeiter- und Soldatenrat in der Propaganda unter Soldaten und in Lazaretten zu arbeiten. Als USPD-Referent spricht er in Zeitz, Borna und in der Leipziger Umgebung.93 Er agitiert in Kriegsgefangenenlagern im Umland, um die Insassen für die Bolschewiken zu gewinnen. Wegen seiner Sowjetpropaganda vermittelt die USPD ihn am Ende kaum noch. Schon am 14. Dezember 1918 veröffentlicht der Spartakusbund sein Programm, in dem er fordert, politische Gefangene freizulassen, Banken zu enteignen und die Einzelstaaten sowie Dynastien abzuschaffen.

      Damit ist der Bruch mit SPD und USPD vollzogen. Walter liest Lenins gerade erst illegal auf Deutsch erschienenes Buch Staat und Revolution, das er über Genossen in die Hände bekommen hat.94 Eine gewalttätige Revolution müsse den bürgerlichen Staat zerschlagen, bevor das Proletariat die Macht erobern könne. Damit widerspricht Lenin den „revolutionären Spießbürgern“ der SPD und USPD, die „der Revolution […] mit dem Mundwerk bei einem Krug Bier frönen“95. Walter entscheidet sich für die sozialistische Republik.

      Am 30. Dezember 1918 gründet der Spartakusbund die Kommunistische Partei Deutschlands. Noch ist die KPD bedeutungslos und organisatorisch hoffnungslos unterlegen. Auch in Leipzig, wo der sächsische Ableger der KPD am 4. Januar 1919 gegründet wird, bleibt die Partei klein und hat kaum Einfluss. Walter schließt sich mit seiner Freundin Martha der Partei an und wird kurzerhand in die Leitung gewählt. Er arbeitet mühselig bis zur totalen Erschöpfung.

      Zur gleichen Zeit kommt es in Berlin zu Kämpfen zwischen Linken und Regierungstruppen, nachdem Friedrich Ebert den Berliner Polizeipräsidenten, der das Vertrauen der Linken besitzt, abgesetzt hat. Die Unruhen führen zum Generalstreik, Militär und Freikorps rücken brutal gegen die Aufständischen vor und besetzen Berlin. Auch wenn die KPD nicht für die Kämpfe verantwortlich ist, müssen alle Spartakisten jetzt um ihr Leben fürchten. Wenige Tage nach dem Ende der Kämpfe erschießen Freikorpssoldaten die Parteiführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ihr Begräbnis in Berlin-Friedrichsfelde wird zur Demonstration von USPD und KPD. Auch Walter reist für die Leipziger KPD zu dem Begräbnis nach Berlin.

      Wieder in Leipzig mietet die neue Partei am Johannisplatz einen preiswerten, kleinen Raum. Kisten werden zu Tischen und Stühlen umfunktioniert. Die Gruppe stellt eine alte Schreibmaschine in Dienst. Allmählich nimmt die Partei Gestalt an.96 Bei der Wahl der Leipziger Stadtverordneten fehlt Walter nicht. Sein einfacher Status zeigt sich an seinem Listenplatz als Zwölfter. Ein Mandat erhält er nicht.

      Noch will niemand in Leipzig für die Spartakisten Flugblätter drucken, es ist kein Geld dafür da. Aber Walter nutzt die Gunst der Stunde, als er mit Willi Langrock auf dem Weg vom Messplatz zum Volkshaus zufällig sieht, wie Demonstranten die Druckerei der Leipziger Neuesten Nachrichten besetzen, nachdem sie die Tür mit einem Kohlewagen eingerammt haben.97 Die beiden erklären, dass sie die Druckerei zum Herstellen eines Flugblatts brauchen. Drucker und Setzer finden sich, nach einer Stunde schon verteilt die Gruppe das Flugblatt. Matrosen, welche die Besetzer verhaften sollen, verbrüdern sich und lassen die Gruppe gewähren.

      Am 2. Februar 1919 wird die Volkskammer der Republik Sachsen gewählt. Die SPD wird stärkste Partei, gemeinsam mit USPD und KPD erreichen die Arbeiterparteien 58 %. Es wird eine kurze Verschnaufpause bleiben. Walter nimmt auch an USPD-Versammlungen des Arbeiter- und Soldatenrats teil. Die Positionen der Parteien sind fließend, Walter propagiert die Räte-, die Sowjetmacht. Genauso ist er Teil der Leipziger Delegation auf der 2. Reichskonferenz der Freien Sozialistischen Jugend in der Kunstgewerbeschule in Berlin. Die Konferenz bekennt sich zur sozialistischen Republik, zur KPD und positioniert sich „gegen die bürgerliche Demokratie […], für die Diktatur des Proletariats“. Aber „die Selbstständigkeit der Jugendbewegung ist unbedingt notwendig […]. Einen organisatorischen Einfluss der Kommunistischen Partei und ihrer Organe auf die Jugendbewegung lehnt die Freie Sozialistische Jugend […] ab“98. Genauso lehnen die Delegierten es vorerst auch ab, sich „Kommunistische Jugend“ zu nennen.

      Zum Abschluss hat die Berliner Delegation eine Feier für die Revolutionsopfer in der Singakademie vorbereitet. Nach einer „spartakistischen“ Rede kommt es zum Eklat, als die Pianisten sich weigern, für die Gruppe zu spielen. Anstelle von Tschaikowskis Klaviertrio gibt es aus dem Stegreif revolutionäre Gedichte und die Internationale.99

      Kaum einen Tag nach Walters Rückkehr nach Leipzig überschlagen sich die Ereignisse. In der Stadt bricht der Generalstreik aus, in Bayern wird die Räterepublik ausgerufen. Knapp 40 000 Arbeiter stimmen in Leipzig für, 5320 gegen Streik, auch die Eisenbahner, Gas- und Elektrizitätswerke