Florian Heyden

Walter Ulbricht. Mein Urgroßvater


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seinen zwischen den Uferfelsen zerspritzenden Wellen zaubert die schönsten Farbenspiele. In Riva sollen wir, wie in fast allen besuchten Orten des größten Reiseverkehrs, ein ziemlich teures Nachtquartier beziehen. Nach mancherlei vergeblichem Suchen lassen wir uns … nach einigem Hin und Her von der Hochlöblichen Polizei auf dem Bürgermeisteramt in Schutzhaft nehmen. Doch wie elend wird uns, als man von außen die Zelle verriegelt und wir uns im Dustern auf der Holzpritsche, nur mit Hemd, Hose und Strümpfen bekleidet, zur Ruhe legen. Umso interessanter wird der Morgen. In ein wahrhaft internationales Gasthaus hat man uns gesteckt.

       Erfahrene Hände haben mit philosophischen Sprüchen das Leid und die Freuden der Landstraße in bester Kundensprache an die Wände gezaubert. Die Polente kommt dabei nicht zu kurz. Es dauert lange genug, ehe geöffnet wird. Mit dem Segen, uns auf keinen Fall noch einmal sehen zu lassen, dürfen wir uns trollen. Selten hat die Sonne so schön geschienen wie an diesem Morgen“52. Sie ziehen weiter, sehen zum ersten Mal einen „breitströmigen“ Gletscher, und machen neben den spektakulären Naturerlebnissen erneut unschöne Erfahrungen. „Das Engadin ist handwerksburschen-feindlich, und wir trachten, auf dem schnellsten Wege über den Albulapass ins Tal des Oberrheins zu kommen.

      Dann wieder auf den Gotthard hinauf nach Andermatt und über die vielgenannte Sankt-Gotthard-Straße mit der Teufelsbrücke hinunter zum Tell Denkmal in Altdorf. An und auf dem Vierwaldstätter See erleben wir recht lebendig die Geschichte Tells, die Tellkapelle, den Schillerstein und den Rütli.“53 Der Weg ist anstrengend und Otto meint hämisch: „Walter [tut] gar tüchtig auf die sakramentschen Berge schimpfen.“54 Über Stans nach Luzern. Hier wird fleißig Arbeit gesucht, jedoch bekommt nur Walter Beschäftigung in Sempach bei Luzern.

      Metallarbeiter sind ausreichend vorhanden und Otto ist überflüssig. Die beiden schlafen im Asyl de nuit,55 bevor sie sich am 16. August trennen.56 Otto zieht es nach Rom. Walter arbeitet ab Januar ein halbes Jahr bei der Tischlerei Gebr. Helfenstein in Sempach und schließt sich der sozialistischen Jugendgruppe unter Willi Münzenberg und Jacob Herzog an. Kurz vor Weihnachten 1911 schreibt er aus Sempach, er studiere den Winter über drei Bände der „Geologie der Schweiz“57.

      Ab Frühjahr 1912 wandert Walter alleine weiter. Im April arbeitet er bei der Schweizer Schreinerei Fuchs an der Werkbank. Nach sechs Wochen ertappt Fuchs ihn am 25. Mai dabei, wie er auf einem Kasten steht und politische Artikel vorliest. Er wird hinausgeworfen und zieht kurzerhand nach Vorarlberg weiter.58 Vom Vierwaldstädter See wandert er Anfang Juni über Interlaken und Genf nach Zürich. Bei strömendem Regen trifft er in Zürich ein. Er schreibt, es sei ihm auf der Walz so gut wie jetzt noch nie gegangen. Er plant, die Schweiz in Richtung Rhein zu verlassen. Die Arbeiterjugend bittet er um die Adressen jener, die in Kontakt bleiben wollen.59 Über Schaffhausen wandert er rheinaufwärts und findet einen Monat später in der Möbelfabrik Neckargemünd in der Mühlgasse Arbeit. Er wohnt für 3 Mark pro Woche in der Dachkammer der Witwe Kohl in der Hauptstraße. Abends trifft er sich mit den Gesellen in der Wirtschaft „Zum Pflug“ und der Stammkneipe „Ochsen“, diskutiert über Politik und erzählt von seiner Freundin Martha. Er erinnert sich wie er sie bei einer Landwanderung traf.60 Nach vier Wochen wandert er in einem großen Bogen über Köln, Antwerpen, Amsterdam, Bremen, Hamburg und Hannover weiter, bevor er zurück nach Leipzig geht.

      Auf allen Stationen besucht er Museen, das Deutsche Museum in München, das Geologische Museum in Genf und die Gemäldesammlungen in Brüssel und Amsterdam.61 Aus Düsseldorf schreibt er am 18. August, dass er bald daheim sei. Auch sein Wandergeselle Otto zieht in Leipzig bei Familie Ulbricht ein. Als Parteifunktionär nimmt Walter ihn ins Volkshaus, zu Reden und Streiks mit.62

      

      

      

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      Sozialdemokrat

      Nach seiner Wanderschaft schließt Walter sich der SPD an und arbeitet als Tischler. Er ist Parteifunktionär, bis er zum Militär einberufen wird. Im Heer ist er als Sozialist aktiv und wird überwacht. Er desertiert, wird festgenommen und bleibt bis Ende des Kriegs in Haft.

      Zurück in Leipzig arbeitet der 19-jährige Schreiner ab September wieder bei Hallitzschke & Volkmer, seinem Ausbildungsbetrieb. Er ist auch wieder in der Arbeiterjugend, verteilt in Zwenkau Flugblätter.63 Als Volljähriger tritt Walter von der Arbeiterjugend zur SPD über und besucht ab Dezember ein Dreivierteljahr lang mehrmals in der Woche nach der Arbeit und an Wochenenden die SPD-Parteischule.

      Er diskutiert über Wirtschaft und Marxismus,64 liest den ersten Band des Kapitals, Engels, Kautsky und die „Neue Zeit“. Er versucht sich an schwerer geistiger Kost, schreibt „die Geschichte ist […] die Lehrmeisterin des Politikers […] wir können lernen, wie sich der Entwicklungsprozess zu unseren heutigen […] Verhältnissen vollzog“. „Die ökonomische Entwicklung zeigt die Tendenz einer rapiden Konzentration des Kapitals […] und der […] Zunahme der Klasse der Besitzlosen. […] Das Werkzeug zur Wahrung der Gesamtinteressen der herrschenden Klasse ist der Staat. Dies hat zur Folge, dass der Kampf, den das Proletariat […] führt, ein politischer sein muss.“65

      Schon nach einem halben Jahr kündigt Walter bei Hallizschke und beginnt Ende April bei der Hofmöbelfabrik Carl Müller &