Betätigungsfreiheit als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts anerkannt.[20]
Die unternehmerische Freiheit kann jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen und muss im Hinblick auf ihre soziale Funktion gesehen werden. Zwar kann der Schutz der Wirtschaftsteilnehmer keinesfalls auf bloße kaufmännische Interessen oder Chancen ausgedehnt werden, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört,[21] doch kann die unternehmerische Freiheit Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Union entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (Art. 52 GRC).
Allein auf das hohe Schutzgut der Gesundheit bezogen erscheint ein umfassendes Süßigkeitenwerbeverbot nicht unverhältnismäßig. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die Verordnung keine Beschränkungen auferlegt, die den Binnenmarktzielen entsprechen. Daher kann ein Verstoß gegen die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit insoweit angenommen werden.
IV. Eigentumsgarantie
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Die Eigentumsgarantie ist durch Art. 17 GRC gewährleistet. Hierzu zählt auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb.[22] Das Eigentum ist nicht schrankenlos gewährleistet, weil es im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden muss. Eigentum kann durch Enteignung entzogen werden und seine Nutzung kann nach Maßgabe des Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRC gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. Auch hier kann auf die angestellten Überlegungen verwiesen werden. Da die Verordnung nicht den Binnenmarktzielen entspricht, liegt eine unzulässige Beschränkung der Eigentumsgarantie vor.
C. Ergebnis
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Die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung ist insgesamt nichtig.
Frage 2
In Betracht kommt eine Verletzung der Warenverkehrsfreiheit, soweit die Produzenten von Süßigkeiten und Presseunternehmen betroffen sind. Werbeagenturen und Rundfunkunternehmen können in ihrer Dienstleistungsfreiheit betroffen sein.
A. Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV
Es könnte ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit vorliegen, soweit Süßigkeiten oder Medien zur Werbung für Süßigkeiten durch das Süßigkeitenwerbeverbot betroffen sind.
I. Schutzbereich
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Waren iSd Art. 34 AEUV sind Erzeugnisse, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelserzeugnissen sein können.[23] Sowohl Süßigkeiten als auch Presseartikel sind daher Waren iSd Art. 34 AEUV.
Auch der persönliche Schutzbereich ist eröffnet: Auf Art. 34 AEUV kann sich jede Person oder jedes Unternehmen berufen, das ein Interesse an der Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit hat, insbesondere weil es Waren herstellt, vertreibt, kauft oder verkauft.
Es ist davon auszugehen, dass diese Waren im grenzüberschreitenden Verkehr angeboten und nachgefragt werden. Das gilt insbesondere auch für Presseartikel im Verkehr mit gleichsprachigem Ausland.
II. Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit
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Eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit liegt dann vor, wenn Einfuhren mengenmäßig beschränkt werden oder es sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung handelt (Art. 34 AEUV). Mit der sog. Dassonville-Formel[24] ist als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten anzusehen, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.[25]
Das nationale Süßigkeitenwerbeverbot ist zunächst eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit, weil Presseerzeugnisse mit Werbung für Süßigkeiten nicht mehr vertrieben werden dürfen. Ferner wird auch in die Warenverkehrsfreiheit der Produzenten von Süßigkeiten eingegriffen, weil ein Werbeverbot absatzhindernde Wirkung hat.
Dieser weite Ansatz der „Dassonville-Formel“ bedarf aber einer tatbestandsmäßigen Reduktion. Denn tatsächlich führt die „Dassonville-Formel“ dazu, dass praktisch alle wirtschaftslenkenden Gesetze marktbeschränkende Wirkung haben. In der Entscheidung „Keck“ hat der EuGH das umfassende Beschränkungsverbot daher erheblich modifiziert: Nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, sollen nicht geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils „Dassonville“ unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Denn sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedsstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als dies für inländische Erzeugnisse der Fall ist. Diese Regelungen fallen dann nicht in den Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV.[26]
Demnach müsste das Süßigkeitenwerbeverbot eine Verkaufsmodalität darstellen und unterschiedslos für inländische und ausländische Unternehmer gelten. Hier ist nicht davon auszugehen, dass lediglich eine Verkaufsmodalität vorliegt. Zwar gilt das Süßigkeitenwerbeverbot unterschiedslos für inländische wie ausländische Unternehmer; einem Produzenten aber, der ein Produkt in einen nationalen Markt neu einführen will, stehen wegen des Werbeverbots kaum Möglichkeiten offen, potentielle Kunden auf sein Produkt aufmerksam zu machen. Dies geht insbesondere zu Lasten von Produzenten aus anderen Mitgliedstaaten, eben weil regelmäßig heimische Unternehmen auf dem inländischen Markt bereits etabliert sind, und es meistens ausländische Unternehmen sind, die versuchen werden, als Neueinsteiger auf dem Markt eines Mitgliedstaats Marktanteile zu erringen. Darin unterscheidet sich das absolute Werbeverbot von Verkaufsmodalitäten: Die Verbrauchergewohnheiten werden zementiert und der Marktzugang deshalb erschwert.[27]
Dafür, dass ein absolutes Werbeverbot für Süßigkeiten den Marktzugang betrifft, spricht ferner, dass gerade bei Erzeugnissen wie Süßigkeiten der Genuss mit herkömmlichen gesellschaftlichen Übungen sowie örtlichen Sitten und Gebräuchen verbunden ist, mit denen inländische Produzenten besser vertraut sind als ausländische.[28]
Das Werbeverbot hat daher unterschiedliche Auswirkungen auf den Absatz inländischer Erzeugnisse und Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten. Es liegt eine Marktzugangsregel vor. Von einer Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit ist somit auszugehen.
III. Rechtfertigung der Beschränkung
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Diese Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit kann gerechtfertigt sein.[29] Einerseits ist Art. 36 AEUV eine „Schranken-Schranke“ für diskriminierende Maßnahmen – Art. 36 AEUV lässt Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen zu –, andererseits hat der EuGH in „Cassis de Dijon“[30] entschieden, dass Hemmnisse für den Binnenhandel der Union, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, hingenommen werden müssen, soweit diese Beeinträchtigungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.
Die Maßnahme muss geeignet und angemessen sein. Sie darf weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung