Stefan Storr

Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht


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die Wettbewerbsbedingungen der betroffenen Unternehmen auswirkt. Dies wäre wiederum mit dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nicht vereinbar. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung müssen die Wettbewerbsverzerrungen, auf deren Beseitigung der Rechtsakt zielt, daher spürbar sein.[9]

      Es ist deshalb zu prüfen, ob die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung tatsächlich zur Beseitigung spürbarer Verzerrungen des Wettbewerbs beiträgt:

      (1. Gruppe der Hersteller von Süßigkeiten) Was den Markt für Süßigkeiten betrifft, bestehen grundsätzlich keine Wettbewerbsverzerrungen, weil die Werbeverbote der Mitgliedstaaten für sämtliche in- und ausländische Unternehmen gleich gelten. Allein, dass Hersteller und Verkäufer von Süßigkeiten in Mitgliedstaaten mit restriktiven Rechtsvorschriften ihre Marktposition nur über den Preiswettbewerb entwickeln können, stellt keine Wettbewerbsverzerrung dar, sondern eine Beschränkung der Wettbewerbsarten, die in gleicher Weise für alle Wirtschaftsteilnehmer in diesen Mitgliedstaaten gilt.

      (2. Gruppe der Presseunternehmen und anderer Medien, die nicht ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden) Ein Hemmnis für den Binnenmarkt besteht schon, wenn die Mitgliedstaaten hinsichtlich eines Erzeugnisses oder einer Erzeugnisgruppe divergierende Maßnahmen erlassen. Wird Werbung für Süßigkeiten in Presseunternehmen und anderen Medien in einem Mitgliedstaat verboten oder anderen Bedingungen unterworfen als in einem anderen Mitgliedstaat, in dem die Werbung für Süßigkeiten weniger reguliert ist, kann der Wettbewerb der Presseunternehmen und anderer Medien tatsächlich oder potentiell behindert werden.

      Die Beseitigung dieser bestehenden und möglicherweise künftigen Hemmnisse der Presseerzeugnisse und anderer Medien fördert dann den Binnenmarkt in diesem Bereich.

      (3. Gruppe der Medien, die ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden) Eine Wettbewerbsverzerrung ist nicht erkennbar: Was die Medien betrifft, die ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden, gelten die Werbeverbote in einem Mitgliedstaat für alle in- und ausländischen Unternehmen gleich.

      Zwar sind Unternehmen, die in Mitgliedstaaten mit einer weniger restriktiven Regelung der Werbung für Süßigkeiten ansässig sind, hinsichtlich der Größenvorteile und der Gewinnerzielung begünstigt, diese Vorteile wirken sich jedoch auf den Wettbewerb nur entfernt und mittelbar aus und führen nicht zu spürbaren Verzerrungen.

      Es mag nicht ausgeschlossen sein, dass Unterschiede zwischen bestimmten Regelungen zur Werbung für Süßigkeiten in Einzelfällen spürbare Wettbewerbsbeschränkungen herbeiführen können. Derartige vereinzelte Verzerrungen rechtfertigen es jedoch nicht, Art. 114 AEUV für ein allgemeines Werbeverbot zu verwenden, wie es die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung vorsieht.

      Demnach kann der Unionsgesetzgeber die Wahl von Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage der Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, Wettbewerbsverzerrungen in der Werbebranche oder in der Süßigkeitenbranche müssten beseitigt werden.

      3. Ergebnis

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      Eine Werbeverbots-Regelung kann allein für den Bereich der Presse und anderer Medien, die nicht ausschließlich für die Werbung zur Absatzsteigerung von Süßigkeiten eingesetzt werden, auf der Grundlage von Art. 114 AEUV erfolgen.

      V. Art. 53 Abs. 1 AEUV iVm Art. 62 AEUV

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      Als Rechtsgrundlage könnte ferner Art. 53 Abs. 1 AEUV iVm Art. 62 AEUV zur Koordinierung der mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Dienstleistungen in Betracht kommen. Das könnte insbesondere für solche Dienstleistungen von Bedeutung sein, die die Personenfreizügigkeit nach Art. 114 Abs. 2 AEUV betreffen.

      Art. 53 Abs. 1 AEUV iVm Art. 62 AEUV lassen ihrem Wortlaut nach aber nur eine Regelung durch Richtlinien zu. Eine VO kann darauf nicht gestützt werden.

      VI. Art. 115 AEUV

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      Art. 115 AEUV ist gegenüber Art. 53 Abs. 1 AEUV iVm Art. 62 AEUV subsidiär. Eine Harmonisierung auf der Grundlage von Art. 115 AEUV ist nur durch eine Richtlinie möglich. Diese Rechtsgrundlage ist daher nicht einschlägig.

      VII. Art. 352 AEUV – Flexibilitätsklausel

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      Auf der Grundlage der Flexibilitätsklausel kann die Union Rechtsakte erlassen, wenn ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche erforderlich erscheint, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen, und wenn in den Verträgen die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind (Art. 352 Abs. 1 S. 1 AEUV).

      Gleichwohl dürfen die auf der Flexibilitätsklausel beruhenden Maßnahmen keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in den Fällen beinhalten, in denen die Verträge eine solche Harmonisierung ausschließen (Art. 352 Abs. 3 AEUV). Genau das regelt aber Art. 168 Abs. 5 AEUV im Bereich des Gesundheitsschutzes.

      Außerdem sind die Verfahrensvorschriften nicht eingehalten: Aus dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, dass die Kommission den Deutschen Bundestag und den Bundesrat nach Art. 352 Abs. 2 AEUV im Rahmen des Verfahrens zur Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 5 Abs. 3 EUV auf die Vorschläge aufmerksam gemacht hätte. Zudem haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat der Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung nicht nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG zugestimmt. Das aber verlangt das BVerfG, weil die Flexibilitätsklausel in ihrem Anwendungsbereich unbestimmt ist und im nahezu gesamten Anwendungsbereich des Primärrechts eine Zuständigkeit der Union schaffen kann. Die Übertragung einer Blankettermächtigung auf die Union wäre verfassungsrechtlich unzulässig.

      Im Ergebnis scheidet Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage aus.

      VIII. Verletzung des Subsidiaritätsprinzips, Art. 5 Abs. 3 EUV

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      Wie ausgeführt kommt der Union allenfalls für die Harmonisierung des Pressemarktes und anderer Medien eine vertragliche Rechtsgrundlage zu. Hierfür ist das Vorliegen der Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips zu prüfen.

      Das in Art. 5 Abs. 3 EUV geregelte Subsidiaritätsprinzip stellt nach mittlerweile herrschender Meinung eine Kompetenzausübungsregelung dar, dh es bestimmt, in welchen Fällen die Union von einer ihr durch den Vertrag zugewiesenen Kompetenz Gebrauch machen darf.

      1. Ausschließliche Zuständigkeit der Union?

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      Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 3 EUV ist zunächst, dass die beanstandete Regelung nicht einen Bereich betrifft, der in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt. Die Rechtsangleichung auf der Grundlage von Art. 114 Abs. 1 AEUV gehört nicht zur ausschließlichen