2 Grundsätze des Vollstreckungsverfahrens › I. Verhältnis des Vollstreckungsverfahrens zu anderen Verfahren › 1. Erkenntnisverfahren und Zwangsvollstreckung
1. Erkenntnisverfahren und Zwangsvollstreckung
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Das Zwangsvollstreckungsverfahren ist die zum Erkenntnisverfahren notwendige Ergänzung, falls der Schuldner dem Richterspruch oder dem förmlich dokumentierten Anspruch nicht freiwillig nachkommt. Insofern ist das Zwangsvollstreckungsrecht mit dem Zivilprozessrecht eng verbunden und ist deshalb sachgerecht (zumindest im Wesentlichen) in der ZPO geregelt.
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Das Verhältnis von Zwangsvollstreckungs- und Erkenntnisverfahren ist insbesondere durch organisatorische und verfahrensmäßige Unterschiede gekennzeichnet: Organisatorisch ist die Zwangsvollstreckung zunächst anderen Organen anvertraut als das Erkenntnisverfahren. Zudem dient das Erkenntnisverfahren der Rechtsfindung und ist daher regelmäßig der Durchsetzung des Rechts im Wege der Zwangsvollstreckung zeitlich vorgelagert. Daraus folgt aber nicht, dass dem Zwangsvollstreckungsverfahren zwingend ein Erkenntnisverfahren vorausgehen muss. Insbesondere bei notariellen Urkunden ist das nicht der Fall. In der Praxis wird das Vollstreckungsverfahren zudem regelmäßig bereits betrieben, während das Erkenntnisverfahren noch nicht seinen formellen Abschluss gefunden hat. Die Vollstreckung kann etwa aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil (§§ 708, 709 ZPO) erfolgen, auch wenn gegen das Urteil noch ein Berufungs- oder Revisionsverfahren anhängig ist. Das Erkenntnisverfahren findet seinen Abschluss erst mit der formellen Rechtskraft des Urteils (§ 705 ZPO).
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Das Zwangsvollstreckungsverfahren wird durch einen Antrag des Vollstreckungsgläubigers in Gang gesetzt. Es ist im Gegensatz zum Erkenntnisverfahren kein (typisches) kontradiktorisches Verfahren[1]. Das Verfahren wird einseitig vom Vollstreckungsgläubiger betrieben, ohne dass der Vollstreckungsschuldner der (Zwangsvollstreckungs-)Gegner des Gläubigers wäre. Der Gläubiger kann deshalb als „Herr des Vollstreckungsverfahrens“ bezeichnet werden. Anders als im Erkenntnisverfahren, wo die Klage nur unter bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden kann (§ 269 I ZPO), steht es ihm etwa frei, seinen Vollstreckungsantrag einseitig zurückzunehmen und dadurch das Verfahren zu beenden[2].
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Der Schuldner wird im Vollstreckungsverfahren in vielen Fällen zunächst nicht einmal gehört. Das wird in Kauf genommen, um den Erfolg der Vollstreckungsmaßnahme nicht zu gefährden. Nur durch Rechtsbehelfe kann der Vollstreckungsschuldner aktiv in das Verfahren eingreifen und sich rechtliches Gehör verschaffen. Erst dadurch wird das Vollstreckungsverfahren kontradiktorisch.
§ 2 Grundsätze des Vollstreckungsverfahrens › I. Verhältnis des Vollstreckungsverfahrens zu anderen Verfahren › 2. Zwangsvollstreckung und Insolvenzverfahren
2. Zwangsvollstreckung und Insolvenzverfahren
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Das Zwangsvollstreckungsrecht ist als Einzelvollstreckung ausgestaltet: Jeder einzelne Gläubiger versucht, seinen titulierten Anspruch – etwa durch Pfändung und Versteigerung von beweglichen Sachen – mit staatlichem Zwang durchzusetzen. Pfänden mehrere Gläubiger dieselbe Sache des Schuldners, gilt das Prioritätsprinzip (§ 804 III ZPO). Der früher pfändende Gläubiger wird vor einem später pfändenden Gläubiger befriedigt. Wenn das Vermögen des Schuldners zur Befriedigung der Gläubiger nicht ausreicht, kann das Prioritätsprinzip zu einem Wettlauf der Gläubiger und dadurch zu einer möglicherweise ungerechten Verteilung des Vermögens führen.
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Das Insolvenzverfahren versucht diesen Wettlauf der Gläubiger zu vermeiden, indem alle Gläubiger in einem einheitlichen Verfahren gegen den Schuldner vorgehen und anteilig befriedigt werden. Diese Art der Zwangsvollstreckung wird auch Gesamtvollstreckung genannt. Die Gesamtvollstreckung erfolgt durch ein zu diesem Zweck bestelltes Organ (Insolvenzverwalter) und nicht durch die Gläubiger selbst.
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Beispiel 1 (Insolvenzeröffnung während der laufenden Zwangsvollstreckung, vgl. auch Rn. 336):
Gläubiger G hat bei Schuldner S vor sieben Wochen und noch einmal vor drei Wochen einige wertvolle Gegenstände pfänden lassen. Nun wird über das Vermögen des S die Insolvenz eröffnet. Was kann S tun, wenn G weiterpfändet? Ist die bereits erfolgte Pfändung wirksam?
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Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist nach § 89 InsO jede Maßnahme der Einzelzwangsvollstreckung unzulässig. In Beispiel 1 darf G deshalb keine weiteren Pfändungen durchführen lassen. Tut er es doch, kann der Insolvenzverwalter die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO einlegen (besondere Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 89 III InsO). Die Insolvenzeröffnung wirkt außerdem zurück: Pfändungspfandrechte erlöschen rückwirkend, wenn sie im letzten Monat vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung entstanden sind (§ 88 InsO, Rn. 335). Für die Wirksamkeit der vor sieben Wochen erfolgten Pfändungen kommt es darauf an, ob sie mehr als einen Monat vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung erfolgt waren. Selbst wenn das der Fall ist, darf nach § 89 I InsO keine vollstreckungsrechtliche Verwertung mehr erfolgen. Vielmehr greift § 50 I InsO: G hat einen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung aus dem Pfandgegenstand.
§ 2 Grundsätze des Vollstreckungsverfahrens › II. Verfahrensgrundsätze
II. Verfahrensgrundsätze
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Trotz der Vielgestaltigkeit des Vollstreckungsverfahrens und der Verfahrensziele lassen sich für sämtliche Abschnitte geltende Verfahrensgrundsätze zusammenfassen[3]. Sich diese deutlich zu machen, ist vor allem vor einer mündlichen Prüfung zu empfehlen. Verfahrensgrundsätze können aber auch angeführt werden, um Streitfragen in Klausuren zu lösen. Darauf ist die folgende Zusammenstellung ausgerichtet.
– | Die Zwangsvollstreckung ist die Ausübung staatlicher Gewalt zur Durchsetzung privater Rechte. (Wie jedes Verfahrensrecht ist auch das Zwangsvollstreckungsrecht öffentliches Recht.) |
– | Die Zwangsvollstreckung steht im Spannungsfeld von (überwiegendem) Gläubigerrecht und Schuldnerschutz und unterliegt verfassungsrechtlichen Schranken. |
– | Die Zwangsvollstreckung setzt stets einen Titel voraus. |
– | Das Vollstreckungsverfahren unterliegt nur einer eingeschränkten Parteienherrschaft. Zwar erfolgt die Zwangsvollstreckung nur auf Antrag des Gläubigers (Dispositionsmaxime), der Gläubiger kann aber nur Vollstreckungsarten wählen, die ihm das Gesetz zur Verfügung stellt. Der Schuldner nimmt nur durch Rechtsbehelfe Einfluss auf das Verfahren. Zudem können die Parteien nur vereinzelt von den zwangsvollstreckungsrechtlichen Regelungen abweichende Vereinbarungen treffen, da die Mehrzahl der Schuldnerschutzvorschriften (vgl. etwa § 811 ZPO) dem öffentlichen Interesse dienen und daher unabdingbar sind. |
– | Die Zwangsvollstreckung folgt dem Prioritätsprinzip. Das bedeutet, dass die Befriedigung der Gläubiger nacheinander erfolgt, und zwar in der Reihenfolge, in welcher sie die jeweilige Vollstreckungsmaßnahme bewirkt haben. |
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