Sonja Rudorf

Faule Mieten


Скачать книгу

Praxis weitergehen. Sie musste mit Ulf reden. Und davor frühstücken. Ob es im Wohnviertel um diese Uhrzeit irgendwo Schokocroissants gab?

      Zwanzig Minuten später nippte sie zwischen Süßigkeiten und Kaltgetränken an einem Espresso. Vom Ofen in ihrem Rücken zog ein Duft nach frischen Brötchen durch den Raum. Sonntagmorgens glich die Tankstelle einer Bäckerei. Kaum jemand tankte. Eine Angestellte reichte Backwaren, Getränke und Zeitungen über die Theke, aus den Boxen rieselte Popmusik. Auch eine Art, die Menschen aus dem Viertel kennenzulernen. Jona lächelte der Frau hinter der Theke zu. Ihr gefiel der Ort. Ob Ulf hier tankte? Das Präsidium lag in der Nähe. Wie oft war sie in Versuchung gewesen, ihn anzurufen. Bei der letzten Fahrt zwischen Bornheim und der Villa im Dornbusch hatte sie den Weg über das Nordend genommen, um dann doch nicht in die Neuhofstraße einzubiegen. Seit wann wich sie Konflikten aus?

      Wieder schob sich sein müdes Gesicht in ihre Erinnerung. Er bat um Schonung, und in ihr explodierten die Wünsche. Es muss doch mehr als Alles geben, hörte sie ihren Vater spöttisch sagen und leerte den Pappbecher bis zum letzten Tropfen, doch auch der zuckrige Bodensatz konnte diesen Gedanken nicht versüßen.

      Das in Papier gewickelte Schokocroissant wurde ihr über die Theke gereicht. Sie drückte der Angestellten einen Fünfeuroschein in die Hand und verließ die Tankstelle. Auf dem Gehsteig hinter den Zapfsäulen eilte eine schmale Gestalt in Sportanzug dem Park entgegen. War das die scheue Mieterin von gestern? Hanna Vers? Jona fixierte die Frau. Ihr Gang wirkte selbst auf die Distanz getrieben. Ein Tuch verdeckte die Hälfte ihres Gesichtes. Aber die Haare und die Körperhaltung verrieten sie. Ohne nachzudenken, überquerte Jona die Tankstellenanlage und folgte ihr. Hanna Vers war schon in den Schotterweg des Parks eingebogen. Mit am Körper abgewinkelten Armen schritt sie aus. Trieb sie Sport? Bei dem gestrigen Sektumtrunk hatte sie geistesabwesend gewirkt und war erst nach einer Weile aufgetaut. Umso erstaunlicher ihre Einladung auf eine Tasse Tee, als sie sich noch einmal kurz am Treppenabsatz begegnet waren. Sie schien einsam. Ihr Lächeln, die verkrampften Schultern. Und dann ihr Schweigen, als sie sich gegenübersaßen. Der Blick voll stummer Erwartung. Warum, verdammt, musste sie immer auf so etwas reagieren. Ob es ihr nicht gut ging. So etwas fragte man doch nicht beim ersten Treffen. Hanna Vers schien nur darauf gewartet zu haben.

      Ein Liebespaar kam ihr entgegen. Jona wich den beiden aus und bemühte sich um einen Schlendergang. Der Park war übersichtlich; wenn Hanna Vers ihn umrundete, würde sie sie zwangläufig irgendwann sehen oder an ihr vorbeilaufen. Die einzige versteckt liegende Bank, die ihr einfiel, war die am Tatort. Aber das war perfide. Als sie ihren Blick wieder nach vorn wandte, war Frau Vers verschwunden.

      Erleichtert biss Jona in ihr Croissant. Unter ihren Sohlen knirschte der Schotter, die Vögel zwitscherten. Sie würde ihren Spaziergang fortsetzen, ohne nach ihrer Nachbarin zu forschen. In der Praxis begegneten ihr täglich genug Neurosen. Aber seltsam war ihr plötzliches Abtauchen doch. Sie ließ ihren Blick schweifen und erhaschte auf dem gewundenen Pfad ins Gehölz einen Fetzen des bordeauxroten Sportanzuges. Was machte Frau Vers im Gestrüpp der Sinai-Wildnis? Jetzt bückte sie sich. Hatte sie etwas verloren an diesem gefällten Baumstamm, hinter dem sie erneut verschwunden war? Irritiert näherte sich Jona dem Pfad. Noch immer schien ihre Nachbarin wie vom Erdboden verschluckt. Plötzlich tauchte sie auf und stand wie eingefroren. Ob sie Hilfe brauchte?

      Der Himmel war inzwischen fahl, aber immerhin pochte es nicht mehr hinter ihrer Stirn. Nur ihr Denken schien verlangsamt. Keine Eingriffe, keine Übergriffe, befahl sie sich im Geiste. Was gingen sie die Marotten ihrer Mitmieterin an? Sie war gestern schon viel zu tief in das Gespräch über Ängste und Selbstzweifel eingestiegen.

      Erst nach endlosen Sekunden wandte sie sich ab und folgte dem Schotterweg bis zum Ende des Parks. Rechts ging es in eine Grünanlage. Ihre Gedanken wanderten zu Ulf. Wie es schien, hatten sie den ersten richtigen Konflikt. Es war 36 Stunden her, seit sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, und sein fassungsloser Blick im Garten der Villa ging ihr nach.

      Sie blieb an einem Bronzekunstwerk stehen. Ein Mann saß auf einer Bank, ein zweiter stand abgewandt hinter ihm. Die perfekte Nichtkommunikation. Willkommen im Club, dachte sie und wählte, nachdem sie sich neben der sitzenden Skulptur niedergelassen hatte, Ulfs Nummer. Keine fünf Sekunden später hatte sie ihn in der Leitung.

      ***

      Die Stufen zum Eingangsportal des Polizeipräsidiums kamen ihr steiler als sonst vor. Am Empfang wusste man bereits von ihrem Besuch. Die Beamtin hinter der kugelsicheren Trennscheibe gab das Drehkreuz frei. Das letzte Mal hatte sie den Innenhof in Vorfreude auf Ulfs Umarmungen überquert und es nicht erwarten können, durch die langen Gänge des hinteren Gebäudes zu seinem Büro zu kommen. Jetzt schien es ihr mit jedem weiteren Schritt unmöglicher, seiner Bitte, ins Präsidium zu kommen, gefolgt zu sein. Es war sein Bereich, sie eine Besucherin.

      Ulf telefonierte mit dem Rücken zu ihr, als sie die angelehnte Tür des Büros aufschob. Graues Licht floss in den Raum, der ihr verändert vorkam. Vielleicht, weil vor dem Whiteboard eine zusätzliche Stellwand stand. Bevor sie sich bemerkbar machen konnte, beendete Steiner das Telefonat.

      »Entschuldige.«

      »Bist du im Dienst?«

      »Nein.« Er bat sie ins Zimmer. Wie bei einer Vorladung. Mit spröder Stimme lehnte sie ein Wasser ab. Zwei Meter zwischen ihnen, und keine Regung in seiner Miene.

      »Das, was ich dir sagen muss, wird dir nicht gefallen.« Er trat zur Stellwand und tippte mit dem Finger auf das Foto einer brutal erstochenen Leiche in Jogginganzug.

      »Dein Vormieter«, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. »Er wohnte nicht zufällig in dieser Villa. Sein Kollege Moritz Krampner gab gestern zu Protokoll, dass Torben Fischer geradezu verbissen gewesen sei, dieses Anwesen unter Vertrag zu kriegen. Er war verschuldet, und das Haus, in dem er vor seiner Trennung lebte, gehört seiner Frau. Wie du ja bereits weißt.«

      Jona starrte auf die hingestreckte Person und musste an die olivfarbene Tapete denken, auf die der junge Mann noch kurz vor seinem Tod geschaut hatte.

      »Keiner in der Firma hat es geschafft, die Besitzerin umzustimmen«, fuhr Steiner fort, »und Fischers Name kannte sie bis dato nicht.«

      »Maren Keiler?«

      »Wir reden von Traute Wismar. Die Frau Keiler das Haus im Falle ihres Todes zugedacht hat.«

      »Und die ist jetzt tot?« Jona musterte die schmalen Augen hinter den Brillengläsern. Sie waren rot gerändert.

      »Seit zweieinhalb Monaten. Die Erbangelegenheit läuft noch. Und vermutlich rechnete sich Fischer bei der neuen Vermieterin Chancen oder zumindest einen gewissen Einfluss aus.«

      »Das ist Spekulation.«

      »Eine Hypothese. Nimm seinen Laptop. Wir wissen nicht, wer die Daten geschreddert hat. Aber dass sie vor seinem Tod vernichtet wurden, hat die KTU bestätigt. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass Torben Fischer es selbst getan hat. Sensible Daten vielleicht über das Haus, die Vermieter, über Vermögensverhältnisse.«

      Aus dem Flur drangen Stimmen. Mit zwei Schritten war Ulf bei der Tür und drückte sie leise ins Schloss. Sensible Daten. Wahrscheinlich durfte er kein Wort davon preisgeben. Sie trat näher an die Stellwand. Ein Männername stand links vom Foto des Toten, und rechts der Name ihrer Vermieterin.

      »Da haben wir Moritz Krampner, der gestern im Präsidium war. Er sagt, sie würden sich auch privat gut verstehen. Und …«, Ulf stand plötzlich so dicht neben ihr, dass ein Hauch seines Aftershaves zu ihr wehte, »… er war noch am Montag zwei Stunden vor seinem Tod bei ihm.«

      Ob das schon verdächtig sei, hörte Jona sich fragen, während ihr die Kraft aus den Knochen wich. Wieso diskutierte sie mit Ulf über den Fall, statt endlich die Worte auf ihre Dachkammer zu lenken, statt ihn zu berühren, irgendwie, um diesen Bann zu brechen?

      »Wenn er uns das freiwillig gesagt hätte, nein. Wir mussten ihn erst mit der Handyauswertung von Fischer konfrontierten. Er war der letzte Anruf auf seiner Liste. Angeblich bot Krampner ihm an, vorübergehend bei ihm zu wohnen.« Steiner räusperte sich. »In der Ermittlungsarbeit wimmelt es von guten Menschen und edlen Motiven.«

      »Und