Sonja Rudorf

Faule Mieten


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      »Aber dieser Mord jetzt.« Ellen schluckte die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, hinunter. Heimsuchung. Das klang nach den Gedanken einer Verrückten.

      »Ich weiß, dass es damit nichts zu tun hat«, flüsterte sie, »ich mochte ihn nur so gerne. Letzte Woche hat er mir noch beim Ausschneiden der Obstbäume geholfen.«

      »Weißt du was – ich helfe dir.« Maren sprang auf.

      Wenig später standen sie vor dem alten Pflaumenbaum und beratschlagten, wie sie das dicht verzweigte Astwerk ausdünnen sollten.

      »Erstmal das tote Holz entfernen.«

      »Eine gute Idee«, sagte eine Männerstimme in ihrem Rücken.

      Wieder trug der Kommissar ein blütenweißes Hemd, diesmal unter einer Jeansjacke. Seine Hände steckten in den Hosentaschen, als schlendere er durchs Viertel.

      »Das Gartentor stand offen, und ich dachte, ich schau mal …«

      »… wie man Pflaumenbäume richtig ausschneidet?« Maren lächelte auf diese bestimmte Art. Flirtete sie? Jedenfalls erwiderte der Kommissar ihr Lächeln.

      »Ich dachte, das macht man etwas früher. Aber ich wollte mir das Grundstück ansehen. Die Immobilienfirma Greif beziffert den Wert auf 2,1 Millionen. Ich war neugierig.«

      »Es ist ein Juwel, das diese Abzocker aufpolieren und für eine horrende Summe auf den Markt werfen wollen. Was glauben Sie, wie oft Post von denen im Briefkasten liegt. Wie oft Anrufe kommen. Hätte ich gewusst, dass Herr Fischer für diese Agentur gearbeitet hat …«

      »Er war ja nicht der Einkäufer für dieses Objekt.« Der Kommissar begutachtete die Gartenschere, die auf dem Rasen lag. »Obwohl sich einige die Zähne ausgebissen haben, auch schon bei der ehemaligen Besitzerin, Frau Wismar, wenn ich nicht irre.«

      Ellen ließ die Teleskopstange sinken. Diabolisch. Jetzt wusste sie, was hinter diesem freundlichen Blick lag.

      »Sie irren nicht. Sie hat es mir unter der Bedingung anvertraut, alles so zu lassen, wie es ist.«

      Warum erzählte Maren das? Und warum führte sie aus, wie sehr sie die Wünsche der verstorbenen Freundin respektiert hatte. Merkte sie nicht, dass dieser Steiner nur Stichpunkte lieferte, damit sie redete. Sich um Kopf und Kragen redete. Dass auch er gute Nachbarschaft schätze, hatte er gerade gesagt und dabei wie nebenbei die Regentonne an der Ecke inspiziert. Neulich wollte er noch ihr Alibi für den Mordabend wissen. Jetzt erzählte er seelenruhig, dass Immobilienmakler noch ganz andere Saiten aufziehen konnten.

      »Niemand kriegt diese Villa.« Der Rasen unter ihren Füßen wankte, als sie zwei Schritte auf den Kommissar zutrat. »Sie beherbergt uns, wir pflegen sie. So einfach ist das.« Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Durfte die Polizei einfach so in ihren Garten eindringen?

      »Dann sind Sie die guten Geister des Hauses!«

      »Sounds good.« Maren lächelte den Kommissar an, wie nur sie das konnte. »Ich würde eher sagen: Win-win. Wir haben unseren Seelenfrieden, nette Menschen im Haus und ein Auskommen, und die Mieter können es sich leisten, hier zu wohnen. Das wissen sie zu schätzen.«

      Von der Straße ertönte ein Scheppern, dem ein Fluch folgte. Er klang anders als das übliche Gebrüll der Bauarbeiter. Und es war eindeutig ihr Gartentor, das zugefallen war. Als Schleifgeräusche folgten, legte Ellen die Teleskopstange auf den Rasen und lief Richtung Vorgarten. Die neue Mieterin kam ihr entgegen. Im Schlepptau ihrer Linken klemmte ein eingerollter Futon und eine prall gefüllte Tüte, mit der anderen Hand hielt sie ein medizinisches Skelett an der Aufhängung in die Höhe, bemüht, es nicht auf den Boden schleifen zu lassen.

      »Ich brauche noch den Schlüssel«. Keuchend trat sie in den Garten. »Und ich bringe jemanden mit.« Ein Rütteln an der Aufhängung ließ die Gebeine des Skeletts klappern. »Er ist hilfsbereiter, als er aussieht. Darf ich vorstellen …« Sie lächelte in die Runde und verstummte, als ihr Blick auf den Kommissar fiel. Auch er wirkte mit einem Mal verkrampft. Einige Sekunden verstrichen, in denen niemand etwas sagte. Nur ein Vogel setzte unbeirrt seine Lockrufe ab, die unerwidert blieben.

      Maren löste sich als Erste aus der Starre und hieß die neue Mieterin willkommen. Nach einer kurzen Entschuldigung half sie mit der Tasche und verschwand mit ihr zum Haupteingang.

      Inzwischen war die Sonne hinter der Villa verschwunden. Im Schatten wirkte der Garten verlassen. Warum ging der Kommissar nicht? Stand da wie ein Ölgötze. Sie musste etwas sagen. Vielleicht zur neuen Mieterin, die der Kommissar angestarrt hatte, als hätte er noch nie ein weibliches Wesen in Schlaghosen und Windblouson gesehen.

      »Wenn ich Ihnen noch weiterhelfen kann«, sagte sie vorsichtig.

      Steiner drückte Daumen und Zeigefinger gegen seine Nasenwurzel.

      »War das eine Mieterin von Ihnen?«

      »Gerade frisch eingezogen. Eine Therapeutin und Künstlerin.« Schweigend quittierte sie sein Nicken, mit dem er sich verabschiedete, und sah seiner steifen Gestalt nach. Als das Gartentor hinter ihm zufiel, presste sie ihre Hände aneinander. Er hatte sie auch für eine Vermieterin gehalten. Sollte er noch einmal auftauchen, musste sie das richtigstellen.

      5

      Die Holzdielen knarrten, Stimmen hallten im Treppenhaus. Im ersten Stock stand das Flurfenster offen und trug das Knallen des Korkens ins Freie. Sekt am Nachmittag mit allen Mietern, wieso waren Maren und sie vor neun Monaten nicht auf die Idee gekommen, ihren Einstand in der Villa zu feiern? Ein handgeschriebener Zettel an der Innenseite der Eingangstür hatte ausgereicht, um die gesamte Mieterschaft in der Diele zu versammeln. Selbst Herr Boehm hatte einen Freund gebeten, ihn für die letzten Stunden in seinem Weinladen zu vertreten und sich in Schale geworfen.

      Ellen sah zu, wie die Perlen im Glas aufstiegen und sich auf der goldenen Oberfläche kräuselten. Das Glas in ihren Händen und das Korkenknallen weckten alte Erinnerungen.

      Sekt für die guten Tage, Whisky für die schlechten. Ihre Mutter trank nicht erst, seit ihr zweiter Mann sie verlassen hatte und es ruhig wurde in der Wohnung am Hafen. Am Osthafen, im Wohnblock, der Schieflage hatte. Tagelöhner und Sozialbaracken mit Pöbelcharme hatte dieser Keiler gebrüllt, bevor er sich seine eigene Tochter schnappte, um für immer zu gehen. Ab da wurde ihr Trinken exzessiver. Ab da gab es wieder nur Mutter und sie. Schäumende Sekttage wurden seltener, die Whiskynächte stiegen ins Unermessliche. Nur wenn es ihrer Mutter gelang, einer Arbeit nachzugehen, floss Prickelwasser. Bis zu ihrem letzten Tag vor sieben Jahren Whisky, Schlaftabletten und Sekt.

      Ellen führte das Glas an die Lippen und verharrte im letzten Moment. Sieben Jahre hatte sie keinen Sekt mehr angerührt. Aber Jona Hagen hatte ihr ein Glas in die Hand gedrückt, und nun stand sie mit den Mietern zusammen im Treppenhaus und wartete darauf, bis jeder ein gefülltes Glas in den Händen hielt. Gute Stimmung brachte die Neue mit, das musste man ihr lassen. Ein Kniff am Oberarm riss sie aus ihrer Betrachtung.

      Die alte Kücherer! Saß im Drehsitz des Treppenliftes und hielt ihr Glas in die Höhe. Ihr weißes Haar kräuselte sich dicht am Kopf, wahrscheinlich hatte sie wieder selbst daran herumgeschnitten. Dass alte Menschen so eigensinnig waren. Ellen schüttelte den Kopf. Burning down the house schallte es aus Marens geöffneter Wohnungstür. Eine Hausparty war so richtig nach ihrem Geschmack. Sie wippte mit den Hüften zu den Bässen und verschwand nach einem kurzen Wortwechsel mit Jona Hagen in ihrer Wohnung. Gleich darauf verstummte die Musik.

      Die Neue trat in die Mitte der Holzdiele. Aus der Nähe sah sie älter aus, als es die Kleidung erwarten ließ. Jeans mit Schlag und ein gepunktetes Sweatshirt. Sie war nur unmerklich kleiner als Herr Boehm, mindestens einsachtzig. Apart sah das aus, die grünen Augen zu dem braunen Kurzhaarschnitt. Wenn die jemanden um den Finger wickeln wollte, dann gute Nacht. Vom Typ her glich sie Maren. Ob sie auch Anarchopotenzial in sich trug? Jetzt erhob sie ihr Glas.

      »Alle da?«

      »Hanna fehlt«, konstatierte der Student vom Treppenabsatz her.

      »Frau Vers ist unpässlich.« Maren sah