es sich spontan bildet. Der bittere Geschmack verrät es und sollte uns vom Verzehr abhalten.
Auf der anderen Seite sind Bitterstoffe in Pflanzen (beispielsweise im Chicorée oder in Grapefruits) aber auch ein Hinweis auf deren Gehalt an Antioxidantien. Auch für die Produktion von Galle und eine funktionierende Verdauung scheinen pflanzliche Bitterstoffe eine wichtige Rolle zu spielen. In diesem Zusammenhang ist es also durchaus problematisch, dass über viele Jahrzehnte die Bitterstoffe aus unserer Nahrung zu einem großen Teil herausgezüchtet wurden, um sie geschmacklich »attraktiver« zu machen.
Selbst unsere Geschmacks- und Geruchswahrnehmung hat sich im Laufe der Evolution entwickelt, gut bewährt und verfeinert, da wir mithilfe unserer Sinne potenziell unverträgliche Pflanzen besser erkennen und daher meiden können. Wir sehen also, dass selbst eine pflanzenbasierte Ernährung nicht primär oder automatisch als gesund einzustufen ist, nur weil die Pflanzen »der Natur entstammen«.
Es wäre daher tatsächlich eine (naturalistische) Fehlannahme, dass alles »Natürliche« von vornherein gut für den Menschen sei. Wir haben es zu dem gemacht, was es ist, und im Zuge der Menschwerdung durch unsere Beobachtungsgabe und unserem im Tierreich einzigartigen Erfindungsreichtum geschafft, die vielfältigen Ressourcen der Natur für uns immer besser zu nützen. Auch wenn das so von vornherein von den Pflanzen gewissermaßen »nicht vorgesehen war«. Auf den ersten Blick einigermaßen erstaunlich ist daher der Umstand, dass viele dieser sekundären Pflanzeninhaltsstoffe, obwohl eigentlich gar nicht für uns bestimmt, zahlreiche gesundheitsförderliche Aspekte aufweisen, auf die ich später zurückkommen werde.
Dem Konzept und Verständnis von weder gut noch schlecht werden wir im Laufe dieses Buches noch öfters begegnen, liegt darin doch ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis unserer gegenwärtigen Probleme, seien diese nun gesundheitlicher, ökologischer oder gesellschaftlicher Natur. Dies betrifft das Molekül Sauerstoff in Bezug auf unsere Gesundheit genauso wie die Rolle von Mikroorganismen oder moderne medizinische Maßnahmen. Betrachtet man alle diese Punkte nur isoliert aus einem engen Blickwinkel oder generalisiert von einem Einzelfall auf das große Ganze, ergibt sich rasch eine fehlerhafte Annahme bezüglich gut oder schlecht bzw. nützlich oder schädlich. Aber so einfach ist es nicht. Leider.
Sauerstoff und freie Radikale
Nehmen wir das Beispiel der sogenannten freien Radikale. Das sind verschiedene Formen von reaktionsfreudigen Sauerstoffmolekülen, die mit den biochemischen Komponenten unserer Zellen eine zum Teil heftige und unerwünschte Reaktion eingehen. Freie Radikale und der mit ihnen verbundene »oxidative Stress« sind verantwortlich für akute wie chronische Entzündungsvorgänge, viele Krankheitsprozesse und den Prozess des Alterns ganz allgemein. Freie Radikale fallen aber auch unter normalen Bedingungen in den Mitochondrien (das sind die Zellkraftwerke) unserer Zellen im Rahmen der Energieproduktion permanent an und werden von unseren körpereigenen antioxidativen Molekülen abgefangen und weitgehend unschädlich gemacht. Aller Wahrscheinlichkeit nach geht die evolutionäre Entstehung von antioxidativen Abwehrsystemen auf einen Zeitpunkt vor über zwei Milliarden Jahren zurück, als die Vorläufer der heutigen Cyanobakterien durch Photosynthese für eine recht hohe, für viele damalige Lebewesen toxische Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre sorgten. Dieses sehr lange zurückliegende Phänomen wird in der Wissenschaft als die »Große Sauerstoffkatastrophe« bezeichnet und machte die Entwicklung antioxidativer zellulärer Systeme zu einer Lebensnotwendigkeit für Organismen. So schützen sich unsere Körperzellen vor übermäßiger Oxidation und der damit einhergehenden Schädigung von Proteinen, Lipiden und DNA durch endogene Enzyme wie Superoxiddismutase, Katalase oder Glutathion-Peroxidase. Vor allem auf Ebene unserer Erbsubstanz (DNA) können freie Radikale zu Strangbrüchen und Basenfehlpaarungen führen. Ein übermäßiger oxidativer Stress findet sich zudem bei fast allen chronischen Krankheiten, die mit einer chronischen Entzündung einhergehen, von Arteriosklerose über Diabetes, Alzheimer-Erkrankung, Parkinson-Erkrankung bis hin zu chronischer Polyarthritis.
Es mehren sich allerdings die Hinweise, dass freie Radikale auch eine bedeutende positive Rolle in unserem Zellstoffwechsel aufweisen. Zum einen produzieren spezielle weiße Blutkörperchen diese aggressiven freien Radikale, um mit ihrer Hilfe eingedrungene Bakterien abzutöten, andererseits dürften sie in gewissen Konzentrationen auch notwendig für regulative Vorgänge in unserem Körper sein. Den meisten von uns ist der aggressive Prozess der Oxidation von rostenden Autoteilen (langsam) bis hin zu heftigen Explosionen (schnell) bekannt.
Zu den gesundheitsprotektiven Antioxidantien zählen auch verschiedene über Pflanzennahrung aufgenommene Verbindungen wie Carotinoide, Vitamin C, Vitamin E und Polyphenole wie das Resveratrol. Was läge also näher, als sich diese Substanzen in Form von konzentrierten Nahrungsergänzungsmitteln regelmäßig zuzuführen?
Der Frage, ob durch die Einnahme von Antioxidantien wie Vitamin A und E auch chronische Krankheiten oder sogar Krebs verhindert werden könnten, widmeten sich bereits einige groß angelegte Studien. Sie kamen zu einem verblüffenden Ergebnis: Die Einnahme von Vitamin-A- oder Vitamin-E-Kapseln scheint nicht nur keinerlei verhindernden Effekt auf die Entstehung von Krankheiten wie Krebs zu haben, sondern ganz im Gegenteil. Es zeigte sich, dass die Einnahme von Antioxidantien in Kapselform das Krebsrisiko (insbesondere bei Rauchern) und die Mortalität aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse sogar erhöhen dürfte.9
Eine Studie, die die Wirkung von alpha-Tocopherol-(Vit. E)- und beta-Carotin (Provitamin A)-Supplementierung auf die Inzidenz von Schlaganfällen bei Rauchern untersuchte, führte zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sich das Risiko, an einer Hirnblutung zu sterben, um sage und schreibe 181 Prozent erhöhte, also beinahe verdreifachte!10
Eine andere Studie untersuchte die Einnahme von antioxidativen Supplementen bei Sportlern. Bei intensiven und belastenden Sportarten kommt es in den Zellen zu einer vermehrten Bildung freier Radikale und man wollte herausfinden, ob sich durch die Gabe von Antioxidantien der Trainingseffekt steuern, sprich verbessern ließe. Auch hier war das Ergebnis wieder einigermaßen unerwartet und widersprach der Grundannahme: Jene Probanden, die Antioxidantien einnahmen, hatten einen schlechteren Trainingseffekt als diejenigen der Kontrollgruppe ohne zusätzliche Antioxidantien.11
Die Ursache hierfür, so vermuten die Forscher, dürfte in der Tatsache begründet sein, dass die Bildung einer gewissen Menge freier Radikale sogar notwendig ist, um entsprechende Trainingseffekte im Körper auszulösen. Das dahinterstehende Konzept nennt sich Mitohormesis und besagt, vereinfacht ausgedrückt, dass ein gewisses Maß an schädigenden Substanzen (wie Sauerstoffradikale) in den Körperzellen notwendig ist, um positive, adaptive Effekte auslösen zu können. Sportliche Bewegung und Kalorienreduktion wirken also offenbar als leichte, aber im Endeffekt gesundheitsförderliche Stressfaktoren, die eine geringe Produktion von reaktiven Sauerstoffverbindungen begünstigen. Bei einer Ernährung mit antioxidantienreichen Lebensmitteln (v.a. Gemüse und Nüsse) entstehen dabei keinerlei Nachteile.
Während also mittlerweile klar ist, dass große Mengen reaktiver Sauerstoffverbindungen schwere Zellschäden verursachen und das Altern fördern, können niedrige Werte hingegen die systemischen Schutzmechanismen verbessern, indem sie eine adaptive Reaktion auslösen. Die Realität scheint also wieder komplexer zu sein, als erwartet und »gut« oder »schlecht« ist auch hier die falsche Betrachtungsweise. Die Einnahme von Antioxidantien, wie beispielsweise Vitamin A und E, als teure Nahrungsergänzungsmittel ist also im besten Fall sinnlos und produziert einen teuren Urin, da sie der Körper nicht aufnimmt, oder ist im schlechtesten Fall sogar gesundheitsschädlich. Werden antioxidative Moleküle hingegen in natürlicher Form kontinuierlich mit der Nahrung, vor allem durch buntes Gemüse, Beeren, Obst und Nüsse, aufgenommen, dürften sie, nach allem, was wir bisher wissen, einen gesundheitsprotektiven, prophylaktischen Effekt aufweisen.12
Noch deutlicher werden diese auf den ersten Blick gegensätzlichen oder gar widersprüchlichen Funktionsweisen komplexer Systeme (wie z.B. bei unserem Organismus), wenn wir später einen kurzen Streifzug durch die interessante Disziplin der evolutionären Medizin unternehmen.
Vielem von dem, was wir im beständigen bunten Medienstrom vorgesetzt bekommen, sollten