scheinen auf den ersten Blick zwar einleuchtend, beruhen aber bei genauerem Hinsehen auf stark vereinfachten, wenig nachvollziehbaren Erklärungen oder haben schlicht gar keine Substanz.
Je mehr Basis- und Hintergrundwissen wir uns zu einem Thema aneignen, desto einfacher gelingt eine differenzierte und unaufgeregte Zuordnung der uns täglich vorgesetzten Inhalte. Dabei ist es aber auch gerechtfertigt, dass wir im Laufe der Zeit unsere Meinungen zu gewissen Themen ändern oder schlicht zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir die Antwort auf viele Phänomene und Fragen derzeit (noch) nicht kennen.
Es gibt allerdings einen kleinen, aber emsigen Personenkreis, der sich gewissermaßen als konservativer »Hüter der naturwissenschaftlichen Wahrheit« sieht, der technischem Fortschritt bedingungslos huldigt und sich seine professionell zur Schau getragene Skepsis zu komplexen lebenswissenschaftlichen Fragen auf seine Fahnen geheftet hat. Reichen Sachargumente nicht aus oder hat man sein eigenes Verständnislimit erreicht, wird mit zum Teil äußerst fragwürdigen, an Sekten erinnernden, aggressiven Methoden gearbeitet. Sie richten dabei nicht selten erheblichen und zum Teil auch irreparablen Schaden an. Sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Auffällig häufig entstammen diese Personen den Lebenswissenschaften fernen Bereichen.
Woher kommen ihre Sichtweisen und vereinfachten Annahmen zu komplexen Prozessen des Lebens und warum leugnen sie zum Teil jegliche gegenteilige empirische Erfahrung? Eine mögliche Antwort darauf könnten wir in der Entstehung unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes als Folge der Aufklärung im 18. Jahrhundert finden.
Von den Ursprüngen zur Aufklärung
Wenngleich Details der menschlichen Evolution unter Anthropologen immer noch durchaus kontrovers diskutiert und mit Sicherheit noch länger nicht restlos geklärt sein werden, so ist man sich doch weitgehend einig, dass die Gattung Homo seit mindestens zwei Millionen Jahren und die Art Homo sapiens, also der anatomisch moderne Mensch, vermutlich seit etwa 300 000 Jahren existiert. Während 99 Prozent ihrer Existenz mussten Menschen und ihre Vorfahren ihre eigene Nahrung finden. Sie verbrachten daher einen wesentlichen Teil des Tages damit, die Natur zu beobachten, um Pflanzen zu sammeln und Tiere zu jagen.
Vor etwa 40 000 Jahren setzte eine explosive Entwicklung unserer kulturellen Fähigkeiten ein. Dann, innerhalb der letzten 12 000 Jahre, hat unsere Spezies den Übergang vom Jäger-und-Sammler-Dasein hin zur ackerbaulichen Produktion von Lebensmitteln und zur kontinuierlichen Veränderung unserer Umwelt vollzogen. Menschen fanden heraus, dass sie das Wachstum und die Zucht bestimmter Pflanzen und Tiere kontrollieren konnten. Diese Entdeckung führte schließlich zur weltweiten Verbreitung von Ackerbau und (etwas später) Viehzucht. Aktivitäten, die die natürlichen Landschaften der Erde veränderten – zuerst lokal, dann zunehmend global.
Als die Menschen mehr Zeit in Anbau und Herstellung von Nahrungsmitteln investierten, wurden sie sesshaft. Aus kleinen Siedlungen wurden Dörfer und aus Dörfern wurden Städte. Mit der kontinuierlichen Verfügbarkeit von kalorisch ausreichender Nahrung begann die Bevölkerung dramatisch zu wachsen. Unsere Spezies war so erfolgreich, dass sie so ganz nebenbei und unbemerkt einen Wendepunkt in der Geschichte des Lebens auf der Erde eingeläutet hat. Wir bezeichnen heute das neue geochronologische Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist, als das Anthropozän.13
Interessant ist der Umstand, dass bis zu dem Zeitpunkt unserer Sesshaftwerdung kaum wissenschaftliche Nachweise von weitverbreiteter Aggression, patriarchalischen Hierarchien und übermäßiger interpersoneller Gewalt existieren. Hingegen haben wir ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Menschen viel Zeit für künstlerische Naturdarstellungen, Rituale und ein intensives Gesellschaftsleben aufwandten. Aus den archäologischen Funden von Artefakten und Höhlenbildern erschließt sich eine offenbar sehr tiefe Verbindung der Menschen mit der Natur, hing doch ihr Wohlergehen und Überleben in hohem Maße von ihr ab. Allerdings ist hier kein Platz für eine verklärende Sicht unserer Vergangenheit. Denn ein sprichwörtliches Honiglecken war das Leben damals mit Sicherheit nicht und die eiszeitlichen Jäger trugen mit ihrem Jagdverhalten vermutlich bereits damals schon zum Verschwinden von großen Pflanzenfressern, der sogenannten Megafauna, bei. Die Beziehung zur Natur war mit Sicherheit gespalten, denn die Menschen mussten sich permanent vor der Natur und ihren Naturgewalten schützen.
Dennoch wurden der Himmel, die Sonne und der Erdboden in vielen Kulturen über lange Zeiträume hinweg verehrt. Es waren die bestimmenden Größen ihres Überlebens. Manche Wissenschaftler vertreten die keinesfalls von der Hand zu weisende These, dass diese seit unglaublich langen Zeiträumen unserer Vergangenheit bestehende Verbindung zur Natur auch heute immer noch in uns schlummert.14
Die im Zuge der Sesshaftwerdung entstandenen Städte führten auch zu einer Veränderung der Gesellschaft, mit zunehmend patriarchalischen Strukturen, der Entstehung von sozialen Schichten, der Etablierung von Armeen, einer zunehmenden Verbesserung von Waffentechnik und landwirtschaftlichen Werkzeugen, um andere Menschen oder die Natur zu beherrschen. Man könnte dies als die früheste Periode bezeichnen, während der sich der Mensch zunehmend von der Natur zu lösen begann. Mit Ausnahmen, denn durch die Anlage von sogenannten Kalenderbauten wie Kreisgrabenanlagen, Sonnentempeln und Megalithanlagen war es den nun weitgehend standorttreuen Menschen auch möglich geworden, die periodischen Bewegungen der Himmelskörper zu studieren.
Die Höhepunkte der folgenden grundlegenden Veränderungen waren das hellenistische Griechenland, das Römische Reich, das mittelalterliche Europa und die Renaissance. Während dieser tiefgreifenden kulturellen Veränderungen blieben immer noch ein gewisser Respekt und eine Verbindung zur Natur bestehen. Detaillierte Naturbeobachtungen und die daraus abgeleiteten Weisheiten waren bis vor wenigen Jahrhunderten zutiefst mit dem täglichen Leben der Menschen verbunden.
Während des Mittelalters und dem alles beherrschenden Diktat des aufstrebenden Christentums in Mitteleuropa entfernte sich der Mensch allerdings zusehends rascher von der Natur. Infolge der sogenannten kleinen Eiszeit (ab Anfang des 15. Jahrhunderts) mit extremen, aber regional unterschiedlichen Klimaschwankungen, langen Wintern und kühleren Sommern fielen die Ernten immer wieder gering aus. Es kam zu Missernten, Lebensmittelknappheit und Hungersnöten. Epidemien breiteten sich aus. Die damals tonangebende Kirche stellte derartige Naturkräfte als das Werk des Teufels dar. Menschen, insbesondere Frauen, die sich mit der Heilkraft der Natur (z. B. Heilpflanzen und Kräutermedizin) beschäftigten und Wissen über natürliche, zyklisch wiederkehrende Phänomene besaßen, wurden als Hexen im Bund mit dem Teufel gesehen. Die offizielle Hexenjagd wurde bereits 1485 von Papst Innozenz VIII. eröffnet und dauerte zumindest 200 Jahre. Der sogenannte »Hexenhammer« gilt als eines der verheerendsten Bücher der Weltliteratur und brachte Zigtausenden Menschen den Tod. Er erschien 1487 und war ein mächtiges Instrument der Inquisition, um die Hexenverfolgungen durch den Papst zu legitimieren. Das Buch diente quasi als Anleitung zur Überführung und Verurteilung von vermeintlichen Hexen. Mit dem Ziel, die Gesellschaft von den Mächten des Bösen zu befreien, entstand daraus, in Verbindung mit der Reformation und dem Dreißigjährigen Krieg, eine Massenhysterie in Europa, die die Menschen lange Zeit lähmte, nur um schließlich ihr Heil in neuen Weltanschauungen zu finden. Protestantismus, Rationalismus und Empirismus begründeten schließlich den Beginn der wissenschaftlichen Revolution – den Ursprung unseres Wissenschaftsverständnisses.
Große Namen wie Galileo Galilei, Francis Bacon, Johannes Kepler, John Locke, Thomas Hobbes, Isaac Newton und René Descartes bestimmten das wissenschaftliche und philosophische Denken dieser Zeit (und sie tun es heute noch). Die erdrutschartigen Entwicklungen in Mathematik, Physik, Astronomie, menschlicher Anatomie, Biologie und Chemie veränderten grundlegend die Ansichten der Gesellschaft über die Natur und legten den Grundstein zur modernen Wissenschaftsmethodik. Diese wissenschaftliche Revolution fand gegen Ende der Renaissance in Europa statt, dauerte bis zum späten 18. Jahrhundert an und beeinflusste die intellektuelle und soziale Bewegung, die gemeinhin als Aufklärung bekannt ist. Es entstand eine neue Sicht der Natur und die Wissenschaft wurde zu einer autonomen Disziplin. Rationaler analytischer Reduktionismus wurde zu ihrem Kennzeichen. »Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt«