Evolution
Die Antwort auf viele Fragen
Der Prozess der biologischen Evolution ist nach bisheriger Ansicht, sehr vereinfacht ausgedrückt, die von Generation zu Generation stattfindende, allmähliche Häufigkeitsveränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen, wobei durch Selektion von Mutationen über viele Generationen eine »Anpassung« der Organismen an vorherrschende Umweltbedingungen stattfindet. Anführungszeichen deshalb, weil sich die Organismen nicht selbst aktiv an ihre Umwelt anpassen, sondern dieser Eindruck nur rückblickend entsteht. Die Ursache hierfür ist die positive Selektion von »adaptiven Eigenschaften« an eine gegebene Umwelt. Im Verlauf vieler Generationen kann es so zu bedeutender Variation und Veränderung innerhalb einer Population kommen.
Ist eine Art mit ihrer genetischen Ausstattung einmal gut an die Gegebenheiten ihrer Umgebung »angepasst«, dauert es – je nach Merkmal – ziemlich lange bzw. viele Generationen, bis über Selektionsprozesse eine neuerliche »Anpassung« an gegebenenfalls neu auftretende geänderte Umweltbedingungen stattfindet. Bakterien haben hier einen entscheidenden Vorteil: Ihre Generationsdauer beträgt im optimalen Fall nur wenige Minuten. Aber bleiben wir zunächst bei uns Menschen.
Das wäre die einfache Sicht auf Darwins epochale Entdeckung. Seit damals sind viele, zum Teil heftige wissenschaftliche Diskussionen um das Thema Evolution geführt worden und heute wissen wir, dass Evolution und insbesondere der Prozess der Artbildung nicht ganz so »simpel« sein dürfte, wie ursprünglich gedacht.
Übrigens fiel mir auf, dass eine auffallend große Zahl von Menschen die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Evolution ablehnen, diese leugnen oder gar Verschwörungstheorien dahinter vermuten und stattdessen lieber göttliche Erklärungsmodelle heranziehen. Liebe Leserinnen und Leser, dass Evolution tatsächlich existiert, ist mittlerweile eine Tatsache. Obwohl wir immer noch von einer Evolutionstheorie sprechen, ist Evolution ein Umstand, der nicht mehr bewiesen werden muss, sondern ein beobachtbares, unbestrittenes Faktum. Im Übrigen lässt sich ein Glaube an Gott mit der Akzeptanz der Evolution durchaus vereinen, wie Papst Franziskus mit seiner beachtlichen Enzyklika »Laudato si’« unter Beweis gestellt hat.
Ein im Zuge der Diskussion über Evolution oft unzureichend berücksichtigter Umstand ist die Tatsache, dass Arten ihre Umwelt natürlich auch selbst gestalten. Das hat weitreichende Folgen. So bauen etwa Biber einen Biberdamm oder Termiten einen Termitenbau und verändern damit fundamental ihre Umgebung. Pflanzen brechen mit ihren Wurzeln die Erde auf und erleichtern damit das weitere Wurzelwachstum und das Vordringen in den Boden. Aus den Wurzeln scheiden sie kohlenhydratreiche Verbindungen aus, die Pilze und Bakterien anlocken. Deren Stoffwechselprodukte wiederum ernähren die Pflanze. Die Anwesenheit nützlicher Bakterien schützt die Pflanze vor Krankheitserregern.
Und allen voran verändern auch wir Menschen unsere Lebensumwelt immer schneller in beträchtlichem Ausmaß. Auf diese Weise bestimmen alle Arten auch ihre eigene Evolution mit. In der Biologie wird dieses Phänomen als Nischenkonstruktion bezeichnet. Es ist das stetige Wechselspiel der vielfältigen Lebewesen untereinander und mit ihrer Umwelt, ohne das eine evolutionäre Entwicklung kaum vorstellbar gewesen wäre.
Seit Darwin wird auch rege darüber diskutiert, ob die Ebene der Selektion im Individuum besteht oder ob evolutionäre Selektion auch auf einer darunter- und darüberliegenden Ebene stattfinden kann (sogenannte Multilevel-Selektion). Wenn eine Gruppe von Individuen zusammenarbeitet und sich so durch Kooperation (und z. B. Teilen von Ressourcen) einen Überlebens- und Reproduktionsvorteil verschafft, kommt dieser Vorteil der gesamten Gruppe, also allen Individuen zugute. Beim Menschen war dies zunächst das kooperative Verhalten (z. B. während der Jagd und dem anschließenden Teilen der Beute oder die gegenseitige Betreuung von Nachwuchs) und in weiterer Folge der Übergang vom Jäger und Sammler zur landwirtschaftlichen Lebensweise. Durch die resultierende Arbeitsteilung entstand ein gewisser »Selektionsvorteil« für die gesamte Bevölkerung. Fraglich ist hingegen, wie in Zukunft diese Selektion im Zeitalter von Überbevölkerung, Megacities und, allem Anschein nach, zunehmendem Egoismus verlaufen wird.
Die Vergangenheit in unseren Genen: Nobody is perfect
Die natürliche Selektion im Rahmen der Evolution wirkt vermutlich im Wesentlichen auf der Ebene des Individuums. Es ist gewissermaßen die »Zielscheibe der Evolution«. Genvarianten (sogenannte Allele) vermehren sich in einer Population durch Weitergabe an die Nachkommen nur dann, wenn sie über die damit verbundenen Eigenschaften des Individuums (im Bezug zur Umwelt) zu einer ausreichend hohen oder höheren Reproduktionsrate (= Weitergabe) führen. Dadurch ergibt sich aber auch, dass die evolutionäre Kraft der natürlichen Selektion Eigenschaften wie Gesundheit und Langlebigkeit (bzw. die damit verbundenen genetischen Eigenschaften) nur so weit fördert, als damit auch ein gewisser Reproduktionserfolg verbunden ist.
Genetische und daher vererbliche Eigenschaften, die sich negativ auf den Reproduktionserfolg auswirken, verschwinden über kurz oder lang. Warum gibt es dann aber noch immer schwere Erbkrankheiten und menschliche Gene, die mit gesundheitlichen Nachteilen verbunden sind? Müsste das nicht alles im Rahmen der Evolution früher oder später verschwunden sein? Die Antwort hierauf fällt vielfältig aus.
Zum einen gibt es genetisch verursachte Krankheiten, die sich erst nach der Reproduktionsphase manifestieren und daher keinen Zusammenhang mit dem Reproduktionserfolg aufweisen. Ein klassisches Lehrbuchbeispiel hierfür ist Chorea Huntington, eine schwere, unheilbare, erbliche Erkrankung, die mit einer fortschreitenden Zerstörung des Gehirns einhergeht und sich meist um das 40. Lebensjahr durch erste Krankheitssymptome bemerkbar macht. Zu spät, um einen nennenswerten Einfluss auf die Reproduktion zu haben.
Zum anderen können manche krankheitsassoziierten genetischen Eigenschaften zu einem anderen Zeitpunkt und/oder in einem anderen Umfeld mit einem gewissen Überlebensvorteil und damit einer höheren Reproduktionsrate verbunden gewesen sein. Dies klingt zunächst zwar etwas unlogisch, dürfte aber die Ursache dafür sein, dass es (immer noch) zahlreiche Krankheiten gibt, die auf gar nicht so seltenen genetischen Varianten beruhen. Während in unserer Gegenwart diese genetische Ausstattung ausschließlich mit einem mehr oder weniger schweren Krankheitsbild verknüpft ist, könnte ebendiese Genetik in einem anderen Szenario einen gewissen Überlebensvorteil mit sich gebracht haben. Auch wenn dieser Vorteil gegenüber anderen Genvarianten noch so gering ausfällt, kommt es aufgrund entsprechend höherer Reproduktionsraten zu einer gewissen Verbreitung dieser Allele innerhalb der Population – sprich Bevölkerung. Zwei klassische Beispiele hierfür wären die Sichelzellkrankheit und die Mukoviszidose (cystische Fibrose).
Die Sichelzellkrankheit (auch Sichelzellanämie genannt) ist in manchen Regionen der Erde eine der häufigsten Erbkrankheiten und geht mit einem veränderten Hämoglobinmolekül (HbS) einher. Personen, die sowohl im mütterlichen als auch im väterlichen Allel das HbS-Gen tragen, leiden an einer schweren Blutarmut mit wiederkehrenden Gefäßverschlüssen, starken Schmerzen und Schäden in multiplen Organsystemen. In manchen sogenannten Entwicklungsländern ist die Sichelzellkrankheit daher nach wie vor mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden. Obwohl die Auswirkungen diese Krankheit derart katastrophal sind, gibt es beispielsweise in Afrika Gegenden, in denen fast ein Drittel der Bevölkerung heterozygoter Träger für dieses Merkmal ist, also nur ein krankheitsverursachendes Allel besitzt. Wie lässt sich das mit der Tatsache vereinbaren, dass genetische Eigenschaften, die mit einem geringeren Reproduktionserfolg verknüpft sind, über kurz oder lang eigentlich verschwinden sollten?
Die Antwort darauf finden wir, wenn wir uns die geografische Verbreitung dieser Erkrankung näher ansehen. Zwar ist heute die Sichelzellerkrankung aufgrund von Migration global verbreitet, ursprünglich trat diese Krankheit aber vor allem bei Personen aus Subsahara-Afrika und deren Nachfahren auf. Bei noch genauerer Betrachtung stellte man fest, dass die auffällig hohe Frequenz des HbS-Gens mit dem Vorkommen der durch Stechmücken übertragenen Malaria in diesen Gebieten vergesellschaftet war. Die Wissenschaft ist sich heute einig, dass Träger von nur einem HbS-Allel einen geringen, aber dennoch entscheidenden