3.3 Die Messung der Entropie
Motivation
Um die Entropie quantifizieren zu können, müssen wir eine Möglichkeit finden, ihren Wert experimentell zu messen; in diesem Abschnitt beschreiben wir das hierzu nötige kalorimetrische Verfahren. Zur Angabe der Messwerte verwendet man den Dritten Hauptsatz der Thermodynamik.
Schlüsselideen
Die Entropie eines idealen Kristalls bei T = 0 ist gleich null.
Voraussetzungen
Sie sollten mit der Temperaturabhängigkeit der Entropie sowie mit der Berechnung der Entropien von Phasenübergängen vertraut sein (Abschn. 3.2). Bei der Vorstellung der Nullpunktsentropie greifen wir auf den Boltzmann‐Ausdruck für die Entropie zurück (Abschn. 3.1).
Die Entropie einer Substanz kann auf zwei Arten bestimmt werden. Die eine Methode, die wir in diesem Abschnitt ausführlich besprechen werden, ist die kalorimetrische Messung der Wärmemenge, die benötigt wird, um die Temperatur einer Probe von T = 0 auf die uns interessierende Temperatur zu erwärmen. Hierzu benötigen wir zwei Gleichungen: Zum einen die Beziehung für die Temperaturabhängigkeit der Entropie gemäß Gl. (3.18), die wir hier erneut angeben:
Als zweite Gleichung benötigen wir den Beitrag eines Phasenübergangs zur Entropie nach Gl. (3.16),
(3.20b)
wobei ΔTransH(TTrans) die Phasenübergangsenthalpie bei der Übergangstemperatur TTrans ist. Die andere Methode zur Entropiebestimmung, die wir in Abschn. 13.5 vorstellen werden, ist die Verwendung berechneter Parameter oder spektroskopischer Daten, aus denen die Entropie mithilfe der statistischen Verteilung nach dem Boltzmann‐Ausdruck berechnet werden kann.
3.3.1 Die kalorimetrische Messung der Entropie
Nach Gl. (3.20a) kann die Entropie eines Systems der Temperatur T auf seine Entropie bei T = 0 zurückgeführt werden, indem man die Wärmekapazität Cp bei verschiedenen Temperaturen misst und mithilfe dieser Daten das Integral in Gl. (3.20a) auswertet. Dabei muss man für jeden Phasenübergang zwischen T = 0 und der betrachteten Temperatur die jeweilige Phasenübergangsentropie ΔTransH/TTrans addieren. Wenn eine Substanz beispielsweise bei TSm schmilzt und bei TS siedet, ist ihre molare Entropie bei einer beliebigen Temperatur T oberhalb der Siedetemperatur
Die zu integrierende Variable ist in Gl. (3.21) mit T′ symbolisiert, um eine Verwechslung mit der uns interessierenden Temperatur T auszuschließen. Mit Ausnahme von Sm(0) können alle in dieser Gleichung auftretenden Größen kalorimetrisch bestimmt werden; die Integrale können entweder grafisch oder – wie heute üblich – durch Anpassung eines Polynoms an die Daten und dessen nachfolgende analytische Integration ausgewertet werden. Das erstgenannte Verfahren ist in Abb. 3.16 gezeigt; das gesuchte Integral entspricht der Fläche unter der Kurve, die man bei Auftragung von Cp,m(T)/T als Funktion von T erhält. Sofern alle Messungen bei einem Druck von 1 bar mit reinen Substanzen durchgeführt werden, erhalten wir auf diese Weise die Standardentropie, S⊖(T); teilen wir deren Wert durch die Stoffmenge n, erhalten wir die molare Standardentropie,
Abb. 3.16 Aus Daten zur Temperaturabhängigkeit von Cp/T lässt sich die Entropie berechnen: sie entspricht der Summe aus der Fläche unter der oberen Kurve und den Entropien aller durchlaufenen Phasenumwandlungen zwischen T = 0 und der uns interessierenden Temperatur T. Die Entropie, die auf der unteren Kurve mit einem gelben Punkt markiert ist, ergibt sich beispielsweise aus der dunkelgelb dargestellten Fläche unter der oberen Kurve.
Eine Schwierigkeit bei der Messung von Entropien ergibt sich daraus, dass die Bestimmung von Wärmekapazitäten nahe T = 0 sehr kompliziert ist. Eine theoretisch fundierte Näherung, die oft verwendet wird, ist die Annahme einer Proportionalität zwischen Wärmekapazität und der dritten Potenz der Temperatur bei tiefen Temperaturen (siehe Abschn. 7.1). Diese Beziehung liegt dem Debye'schen T3‐Gesetz zugrunde, das die Extrapolation der Wärmekapazität über den experimentell nicht erfassbaren Bereich hinaus bis zum absoluten Nullpunkt der Temperatur ermöglicht. Dabei wird Cp so weit wie möglich gemessen und anschließend eine Kurve der Form Cp,m = aT3 an die Messwerte angepasst. Die Anpassung liefert den Parameter a, mit dessen Hilfe dann Cp,m auf T = 0 extrapoliert wird.
Illustration 3.7
Die molare Standardentropie von gasförmigem Stickstoff bei 25 °C kann aus folgenden Beiträgen bestimmt werden:
Beitrag zu |
|
(J K−1 mol−1) | |
Debye'sches T3‐Gesetz (0 K bis 10 K) | 1,92 |
Integration (10 K bis 35,61 K) | 25,25 |
Phasenübergang (35,61 K) | 6,43 |
Integration (35,61 K bis 63,14 K) | 23,38 |
Phasenübergang (Schmelzen, 63,14 K) | 11,42 |
Integration (63,14 K bis 77,32 K) | 11,41 |
Phasenübergang (Verdampfung, 77,32 K) | 72,13 |
Integration (77,32 K bis 298,15 K) | 39,20 |