zu sprechen, dass ein System in einem bestimmten Zustand Arbeit oder Wärme besitzt. Beide Größen beschreiben nur die Art und Weise, wie der Zustand erreicht wurde (nämlich durch Übertragung von Energie in Form von Arbeit bzw. Wärme), nicht die Natur des Zustands selbst.
Mithilfe der mathematischen Eigenschaften von Zustandsfunktionen können wir weitreichende Schlüsse hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen physikalischen Eigenschaften ziehen. Wir werden Beziehungen entdecken, wo wir sie unter Umständen überhaupt nicht erwarten. Die praktische Bedeutung der Resultate liegt in der Möglichkeit, aus Messwerten verschiedener Eigenschaften zu Werten für eine andere, vielleicht schwer zu messende Eigenschaft zu gelangen.
2.4.1 Totale und nicht totale Differenziale
Wir denken uns ein System, das die in Abb. 2.19 skizzierten Zustandsänderungen durchläuft. Im Anfangszustand A besitzt das System die Innere Energie UA. Bei der adiabatischen Kompression (Weg 1) zu einem Endzustand E verrichtet das System die Arbeit w. Wir unterscheiden die Begriffe hier genau: U ist eine Eigenschaft des Zustands, w eine Größe, die sich auf den Weg bezieht. Nun betrachten wir einen anderen Prozess (Weg 2) mit demselben Anfangsund Endzustand, bei dem die Expansion jedoch nicht adiabatisch abläuft. Die Innere Energie von Anfangsund Endzustand ist die gleiche wie im ersten Prozess (U ist eine Zustandsfunktion). Allerdings wird hier dem System eine Wärmemenge q0 zugeführt, und die verrichtete Arbeit w0 unterscheidet sich von der Arbeit w des ersten Weges. Arbeit und Wärme sind Wegfunktionen.
Wenn ein System auf einem bestimmten Weg eine Zustandsänderung erfährt, ändert sich U von UA nach UE; die Gesamtänderung kann man als Summe aller infinitesimalen Änderungen auf jeweils infinitesimalen Wegabschnitten auffassen:
Der Wert von ΔU hängt nur vom Anfangs- und Endzustand des Systems, nicht vom Weg zwischen beiden Zuständen ab. Diese Wegunabhängigkeit drückt man mathematisch aus, indem man sagt, dU sei ein totales (oder vollständiges) Differenzial. Allgemein gilt: Wenn das Integral über eine infinitesimale Größe unabhängig vom Weg zwischen den Integrationsgrenzen ist, nennt man diese Größe totales Differenzial.
Abb. 2.19 Wenn sich Temperatur und Volumen eines Systems ändern (wie durch die verschiedenen Wege in der (T, V)-Ebene angedeutet), ändert sich auch seine Innere Energie (vertikale Achse). Die Wege 1 bzw. 2 gehören zu einem adiabatischen bzw. einem nicht adiabatischen Prozess; ihnen entsprechen unterschiedliche Werte von w und q, aber derselbe Wert von ΔU.
Wenn man ein System erhitzt, setzt sich die insgesamt zugeführte Wärmemenge aus kleinen Einzelbeiträgen für jeden infinitesimalen Abschnitt des Weges zusammen:
(2.36)
Die Unterschiede zwischen dieser Gleichung und Gl. (2.35) sind bedeutsam. Erstens schreiben wir hier nicht Δq, weil q keine Zustandsfunktion ist und die zugeführte Wärmemenge sich daher nicht als Differenz qE – qA schreiben lässt. Zweitens muss der gewählte Integrationsweg angegeben werden, weil q von diesem Weg abhängt (für einen adiabatischen Prozess gilt beispielsweise q = 0, während man für einen nicht adiabatischen Weg zwischen diesen Zuständen q ≠ 0 erhält). Diese Wegabhängigkeit bedeutet mathematisch: dq ist ein nicht totales (oder unvollständiges) Differenzial. Allgemein gilt: Wenn das Integral über eine infinitesimale Größe vom Weg zwischen den Integrationsgrenzen abhängt, nennt man diese Größe nicht totales Differenzial. Man verwendet dafür manchmal das Symbol δ und schreibt beispielsweise δq.
Auch die beim Übergang von einem Anfangs- in einen Endzustand an einem System verrichtete Arbeit hängt vom gewählten Weg ab: Auf einem adiabatischen Weg wird eine andere Arbeit verrichtet als auf einem nicht adiabatischen Weg zwischen den gleichen Zuständen. Folglich ist auch d^ ein unvollständiges Differenzial, es wird oft mit Sw bezeichnet.
Beispiel 2.6: Die Berechnung von Arbeit, Wärme und Innerer Energie
Wir betrachten ein ideales Gas in einem Zylinder, der an einem Ende von einem Kolben abgeschlossen wird. Der Anfangszustand des Gases sei festgelegt durch (T, VA), der Endzustand durch (T, VE). Diese Zustandsänderung kann man auf verschiedene Weise herbeiführen. Die beiden einfachsten Wege sind die freie, irreversible Expansion gegen einen äußeren Druck von 0 (Weg 1) und die reversible, isotherme Expansion (Weg 2). Berechnen Sie w, q und ΔU für beide Prozesse.
Vorgehensweise Um einen Lösungsansatz zu finden, ist es in der Thermodynamik oft nützlich, sich an grundlegende Begriffe zu erinnern und dann zu versuchen, die unbekannte Größe als Funktion bekannter oder leichter zu berechnender Größen auszudrücken. In Abschn. 2.2 hatten wir gesehen, dass die Innere Energie eines idealen Gases nur von der Temperatur (und nicht vom Volumen) abhängt, die den Molekülen zur Verfügung steht. Für jede isotherme Zustandsänderung gilt deshalb ΔU = 0. Außerdem kennen wir die allgemeine Beziehung ΔU = q + w. Wir müssen nun einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Beziehungen herstellen. Für die in verschiedenen Prozessen geleistete Arbeit haben wir in Abschn. 2.1 bereits Ausdrücke hergeleitet, aus denen wir die für unser Problem zutreffenden auswählen müssen.
Lösung Da für beide Wege ΔU = 0 und ΔU = q + w gilt, ist in beiden Fällen q = −w. Bei irreversibler Expansion ist die verrichtete Arbeit null (wegen pex = 0, siehe Gl. (2.7) in Abschn. 2.1); für Weg 1 ist also sowohl w = 0 als auch q = 0. Für Weg 2 ist die Arbeit durch Gl. (2.9) in Abschn. 2.1 gegeben, wir erhalten w = −nRT ln(VE/VA) und damit q = nRT ln(VE/VA).
Selbsttest 2.6
Berechnen Sie q, w und ΔU für eine irreversible isotherme Expansion eines idealen Gases gegen einen konstanten, von null verschiedenen äußeren Druck.
[Antwort: q = pexΔV, w = −pexΔV, ΔU = 0]
2.4.2 Änderungen der Inneren Energie
Wir werden nun untersuchen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, dass ΔU ein totales Differenzial ist. Dazu betrachten wir ein geschlossenes System konstanter Zusammensetzung (die Art von System, mit der wir uns in diesem Kapitel ausschließlich beschäftigen werden). Grundsätzlich ist U eine Funktion von V, T und p; diese Größen sind jedoch nicht unabhängig, sondern durch die Zustandsgleichung miteinander verknüpft (siehe Abschn. 1.1), weshalb bei Vorgabe von zwei Zustandsvariablen auch die dritte festgelegt